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NO BODY IS PERFECT

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NO BODY IS PERFECT
Von wegen perfekt, von wegen optimal angepasst! Pflanzen, Tiere und der Mensch schleppen jede Menge evolutionäre Altlasten mit sich herum. Das Leben funktioniert trotzdem.

Mauersegler stürzen in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft und fangen dabei winzige Insekten, Eisbären überleben mit ausgeklügelten Tricks den arktischen Winter, Wüstenpflanzen können vertrocknen und doch von Neuem sprießen – und erst der Mensch mit seinem enorm leistungsfähigen Gehirn: eine perfekte Welt voller optimal an ihre Umwelt angepasster Lebewesen. Dieser Eindruck drängt sich auf, selbst wenn man nicht glaubt, dass ein höheres Wesen das Leben designt hat. An die „optimale Anpassung“ glauben sogar manche Biologen. Dabei entspricht sie überhaupt nicht dem Wesen der Evolution.

„Die Resultate sehen zwar oft nach Perfektion aus, sind aber das genaue Gegenteil“, konstatiert der britische Evolutionsbiologe Steve Jones vom University College London. „ Wenn man sich die Baupläne und Gene der Organismen genauer anschaut, entdeckt man Flickschusterei an alten, inzwischen unbrauchbaren Konstruktionsprinzipien und gnadenlose Kosten-Nutzen-Rechnungen.“ Die Folgen können wir an uns selbst spüren. Denn unsere Evolution ist ein wichtiger Grund, warum wir in dieser scheinbar perfekten Welt trotzdem immer wieder krank werden.

Evolution funktioniert, weil die Lebewesen ihre Gene nie völlig intakt an die nächste Generation weitergeben. Bei der Produktion von Spermien und Eizellen treten immer Fehler auf – spontan oder ausgelöst durch Strahlen oder Gifte. Diese Mutationen können zum Beispiel Schreibfehler in der genetischen Information oder Gen-Verdopplungen sein. Einige Mutationen sind gefährlich und führen zum Tod der Nachkommen, aber manche erweisen sich als hilfreich und setzen sich durch. Soweit die Fakten, die man in der Schule lernt. Aber bei diesem Spiel von Mutation und Selektion gibt es ein Problem: Die Evolution kann nur mit Genen und Körperbauplänen arbeiten, die es bereits gibt. Doch die stammen von Lebewesen, die für ganz andere Umweltbedingungen „optimiert“ wurden. Und was einst für einen Einzeller, Wurm oder Fisch ausreichte, muss in einem Menschen oder Vogel noch lange nicht gut funktionieren.

PFUSCH AM AUGE

„Nehmen Sie nur unsere Augen – das ist eine völlig blödsinnige Konstruktion“, sagt der Medizinforscher Detlev Ganten vom Stiftungsrat der Charité in Berlin. Der Mensch ist das Resultat von 3,5 Milliarden Jahren Evolution. Bei manchen Abzweigungen, die zum Menschen führten, waren die Vorbedingungen nicht mehr zu ändern. Dies führte bei den Sehorganen der Wirbeltiere inklusive des Menschen zu einem seltsamen Konstrukt: dem inversen Auge. Bei uns liegen die lichtempfindlichen Zellen, die Stäbchen und Zapfen, ganz hinten im Auge. Davor jedoch – also zwischen dem, was man sehen möchte, und den Lichtrezeptoren – liegt ein dickes Paket von Nervenzellen: ein Nervennetz, das die Signale verarbeitet, und eines, das die Daten ins Gehirn leitet.

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Davor wiederum liegen die Blutgefäße, die die Neuronen mit Blut versorgen. Mehrere Zelllagen und eine gefärbte Flüssigkeit behindern also den Lichtfluss und werfen Schatten auf die Netzhaut. Außerdem muss der dicke Strang von Nervenleitungen und Gefäßen irgendwie wieder heraus aus dem Auge – und das geht bautechnisch nur mitten durch die lichtempfindliche Schicht. Die Folge ist ein blinder Fleck, an dem wir nichts sehen können. In der Praxis merken wir das nicht, da das Gehirn den wahrscheinlichen Bildinhalt errechnet. „Trotzdem ist das ein Konstruktionsfehler“, sagt der Evolutionsmediziner Randolph Nesse von der University of Michigan. Besonders verhängnisvoll: Weil das Nervennetz auf der falschen Seite sitzt, fehlt den Sinneszellen auf ihrer Rückseite eine solide Verankerung. Deshalb löst sich die Netzhaut beim Menschen relativ leicht ab. Außerdem führen Blutungen oder das Wachstum von Adern leicht zu Schattenbildung im Auge. Sehstörungen oder sogar Blindheit sind die Folgen.

Dass es auch anders geht, zeigt das Linsenauge des Tintenfischs. Hier liegen alle Komponenten auf der „richtigen“ Seite. Die Evolution musste keine Flickschusterei betreiben, um einen Designfehler zu korrigieren. Die Ursachen für diese getrennte Entwicklung liegen weit zurück in der Entwicklungsgeschichte der Organismen. Die Augen wurden in der Evolution etwa 40- mal unabhängig voneinander „erfunden“. Bei den Vorfahren der Tintenfische waren es Hautzellen, die lichtempfindlich wurden. Die ersten Vorfahren der Wirbeltiere, die Licht wahrnehmen konnten, hatten dagegen ein paar lichtempfindliche Zellen unter der Haut. Da all diese Urtierchen wahrscheinlich durchsichtig waren, spielte es anfangs keine Rolle, wie die Blutversorgung und die Nervenanbindung funktionierten. Erst als die Sehorgane immer komplexer wurden und sich über Grubenaugen zu Linsenaugen entwickelten, bekamen unsere Vorfahren ein Problem, für das dann eine Notlösung gezimmert werden musste. Bei dieser Nachbesserung zeigt sich allerdings auch die Kraft der Evolution, denn aus dieser Flickschusterei ist immerhin ein Hochleistungsorgan wie das Falkenauge entstanden.

ÜBLES ERBE AUS DER URZEIT

Der menschliche Körper ist voll von Planungspfusch. Wesentliche Teile unseres Bauplans wurden vor etwa einer halben Milliarde Jahren „entworfen“. Unsere Vorfahren waren primitive Fische. Atmen und Verdauen lief bei diesen Tieren über den sogenannten Kiemendarm, einen langen Schlauch, der vom Maul zum After lief. Nahrung und Wasser wurden zusammen aufgenommen. Gleich hinter dem Kopf waren Öffnungen, über die das Wasser hinausgedrückt wurde. Dabei filterte der Urfisch Sauerstoff heraus und hielt die festen Bestandteile zurück, die in den Darm weiterwanderten. Das funktionierte damals prima. Problematisch wurde es erst, als unsere Vorfahren an Land gingen. Jetzt brauchten sie etwas, um außerhalb des Wassers atmen zu können. Oberhalb des Schlunds bildeten sich an den Riechorganen Öffnungen, über die das Tier Luft einsaugen konnte. Unterhalb der Speiseröhre entstand ein Atemsack. Urnase und Urlunge waren über Röhren mit der Speiseröhre und dadurch miteinander verbunden. Kein Ingenieur würde auf solch einen Unsinn verfallen, wenn er einen Landatemapparat konstruieren müsste. Eine direkte Verbindung von der Nase zur Lunge wäre viel sicherer. Weichtiere und Insekten haben solch eine vernünftige Konstruktion. „Nur Wirbeltiere verfügen über die wenig beneidenswerte Fähigkeit, an ihrer Nahrung ersticken zu können“, lästert Evolutionsmediziner Nesse, „und einer von 100 000 Menschen pro Jahr erleidet dieses Schicksal.“

Unser Bauchraum wurde ebenfalls ursprünglich für einen Fisch entwickelt und dann für einen Vierbeiner modifiziert. „Das ist heute vor allem für Männer ein Problem“, sagt der Paläontologe Neil Shubin von der University of Chicago. Bei Fischen liegen die Hoden im Bauchraum. Als die Fische an Land gingen und ihre Nachfahren eine gleichbleibend hohe Körpertemperatur entwickelten, wanderten die Keimdrüsen aus dem Bauch in einen eigenen Sack. Spermien sind temperaturempfindlich, und der Hodensack kann seine Größe und seine Faltigkeit verändern, um die Wärmezufuhr zu regulieren. „Schauen Sie sich das mal mit kaltem Wasser unter der Dusche an“, empfiehlt Shubin. „Wenn es kalt wird, zieht er sich eng an den Körper, bei Wärme wird er wieder größer.“ Das klingt auf den ersten Blick wie eine geniale Lösung für ein altes evolutionäres Problem, ist aber beim zweiten Blick Pfusch: Der Samenstrang führt nicht direkt von den Hoden in den Penis. Stattdessen ist der Hodensack eine Ausbuchtung des Bauchs, und der Samenstrang führt erst hoch hinauf in den Bauchraum, von wo das Sperma wie bei einem Fisch nach außen geleitet wird.

Die Folge: Unten im Bauch ist ein überflüssiger Durchbruch, ein Schwachpunkt. Shubin: „Deshalb sind wir Männer besonders anfällig für Leistenbrüche.“ „Verschärft wird das Problem, weil unsere Bauchaufhängung immer noch die eines Vierbeiners ist“, sagt Ganten. Eigentlich sollte der ganze Eingeweidesack an einer waagerecht verlaufenden Wirbelsäule angebracht sein und nicht an einer senkrechten. Nun aber liegt beim Menschen viel Druck auf dem unteren Bauch – manchmal so viel, dass sogar bei den stabiler gebauten Frauen die Leisten brechen.

EMBRYONEN MIT KIEMEN

Wie diese Veränderungen während der Evolution abgelaufen sind, kann man heute sehr gut an der Embryonalentwicklung von Mensch und Tier nachverfolgen. Dort laufen viele uralte Prozesse bei allen Tieren sehr ähnlich ab. Alle Wirbeltier-Embryonen ähneln sich eine Zeit lang verblüffend und bilden zum Beispiel Kiemen und Schwänze aus. Oft kann man nicht auf den ersten Blick erkennen, ob es sich um den Nachwuchs eines Menschen oder einer Schildkröte handelt. Selbst bei so entfernt verwandten Organismen wie Tintenfischen sind die grundlegenden Prozesse gleich, und man kann gut beobachten, wie sich das Weichtierauge aus der Haut und das des Menschen aus Gehirnzellen entwickelt – so wie es vor Hunderten von Millionen Jahren zum ersten Mal stattgefunden hat. Auch die Wanderung der Hoden aus dem Bauchraum in den Hodensack gibt es immer noch. Sie findet gegen Ende der Schwangerschaft statt, manchmal sogar erst nach der Geburt. Die moderne Gen-Forschung bestätigt die Ergebnisse von Evolutions- und Entwicklungsbiologie: Wir Menschen und alle Mit-Tiere tragen die genetische Geschichte unserer Vorfahren in uns. Wir verfügen nicht nur über eine ähnliche Ausstattung an Genen, die für die Bildung unserer Organe sorgen, sondern auch an Steuer-Genen, die unsere Embryonalentwicklung regulieren. Sie sind zum Teil sogar austauschbar. Entwicklungs-Gene für menschliche Augen funktionieren auch in Taufliegen-Embryos.

Die Evolutionsgenetiker Tomislav Domazet-Loso und Diethard Tautz vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön veröffentlichten vor einigen Wochen eine Altersanalyse der über 4000 Chromosomen-Abschnitte, die etwas mit Erbkrankheiten zu tun haben. Das erstaunliche Ergebnis: Die meisten Krankheits-Gene existieren bereits seit dem Ursprung der ersten Zellen. „Große Gruppen dieser Gene entstanden außerdem während der Evolution der Vielzeller vor mehr als einer Milliarde Jahren sowie zur Zeit der Evolution der Knochenfische vor circa 400 Millionen Jahren“, sagt Tautz. Aber warum wurden diese Fehler in all den Jahrmilliarden Evolution nicht ausgemerzt? „Die Evolution strebt nicht nach Perfektion“, sagt Steve Jones. Sie „verbessert“ die Lebewesen nur so weit, dass sie ihre Gene erfolgreich in die nächste Generation bringen können. Was danach kommt, ist für die Evolution völlig belanglos. Darum sind junge Menschen relativ gut vor genetischen Krankheiten geschützt, etwa vor Krebs. In den ersten 40 Jahren betreibt der Körper einen großen Aufwand, um sich zu schützen, in der zweiten Lebenshälfte scheinen viele Sicherungssysteme zusammenzubrechen.

Die tödliche Erbkrankheit Chorea Huntington (Veitstanz) ist ein besonders drastisches Beispiel für das Wirken evolutionärer Kräfte. Diese Nervenerkrankung wird dominant vererbt, das heißt: Schon eine einzige defekte Gen-Kopie führt zwangsläufig zum Tod. Die ersten Symptome treten meist im Alter zwischen 40 und 50 auf: Die Erinnerung verblasst, die Muskeln beginnen unkontrolliert zu zucken, bis die Menschen nicht mehr gehen oder sich an ihren Namen erinnern können. Die Evolution hat das Veitstanz-Gen nicht eliminiert, stattdessen hat sie an sogenannten Modifizierungs-Genen „gearbeitet“. Sie sorgen nun dafür, dass die Krankheit nicht in jungen Jahren auftritt. Entscheidend ist allein, dass sich die Organismen erfolgreich fortpflanzen. In dieser Beziehung hat das Chorea-Huntington-Gen sogar eine Eigenschaft, die man als zynische Erfindung bezeichnen müsste, wenn sie von einem Bio-Ingenieur stammen würde: Bei Frauen scheint sie die Fruchtbarkeit zu erhöhen.

DIE EVOLUTION KNAUSERT

Außerdem ist die Evolution gnadenlos geizig. „Was an einem Körper nicht unbedingt gebraucht wird, fliegt raus, denn es kostet nur unnötig Energie und Rohstoffe“, ist die Quintessenz von Richard Dawkins. Ein Beispiel: Säugetiere können ein bedeutend kleineres Farbspektrum als viele Vögel und Insekten erkennen. Die Ursache: Wahrscheinlich waren unsere Vorfahren während der Dinosaurierzeit nachtaktive Tiere. Und nachts kann man kaum Farben erkennen. Also verschwanden diese Fähigkeiten teilweise. Nur die Affen und damit auch wir Menschen haben die alten Fähigkeiten teilweise wieder entwickelt: Wir können zumindest drei Farben erkennen. Doch die Farbe Ultraviolett bleibt uns verborgen.

DER DODO WAR KEIN DUMMKOPF

Diese unbarmherzige Kosten-Nutzen-Rechnung ist der Grund, warum es in der Evolution keinen generellen Trend zur „ Höherentwicklung“ gibt. Das Leben „schafft“ zwar immer neue Formen, aber die müssen nicht unbedingt stärker, schneller oder intelligenter sein. Die Tauben, die einst die einsam gelegene Insel Mauritius erreichten, waren elegante und ausdauernde Flieger. Gen-Analysen zeigten 2002, dass sie wahrscheinlich aus Südostasien kamen. Es waren Verwandte der heutigen Kragentaube. Sie überquerten den halben Indischen Ozean und ließen sich auf Mauritius nieder. Es war das Paradies. Hier gab es keine Raubtiere – also keinen Grund wegzufliegen. Die Flugmuskulatur auf einer Vogelbrust ist aber eine energieaufwendige Investition. „Ein Tier, das diese Energie dazu nutzen konnte, mehr Eier zu legen, war klar im Vorteil“, sagt Richard Dawkins. Und so verwandelte sich die Taube über Generationen aus einem Langstreckenflieger in einen metergroßen und bis zu 20 Kilogramm schweren Bodenbewohner mit Stummelflügeln, der keine Angst kannte. „Dodo“ nannten ihn die portugiesischen Seeleute, „ Dummkopf“, weil er sich ganz leicht totschlagen ließ. Dumm war der Dodo aber nicht – nur extrem angepasst an eine friedfertige Umwelt, die es nach der Ankunft von Menschen, Ratten und Schweinen im 16. Jahrhundert fast schlagartig nicht mehr gab. Auch Menschen in den Industrie- und Schwellenländern haben das Problem, dass die Umwelt, an die sie angepasst sind, verschwindet. „Es ist eine Welt, in der es wenig zu essen, zu trinken und wenig Salz gab. Eine Welt, in der man ständig aktiv sein musste, um etwas zu essen zu kriegen, in der es keine weichen Sitzgelegenheiten und keine Computerbildschirme gab“, sagt Ganten. Manche Folgen dieser verschwindenden Umwelt sind unangenehm, andere gefährlich. Dazu gehören Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Kurzsichtigkeit, Hämorrhoiden und Krampfadern. Ob diese Probleme durch die Evolution beseitigt werden, hängt natürlich davon ab, inwieweit sie die Fortpflanzung und Jungenaufzucht gefährden oder nicht. Und wenn die Evolution „ eingreifen“ sollte, darf man gespannt sein, mit welcher Art von Flickschusterei dies geschieht. ■

THOMAS WILLKE, bdw- Korrespondent in Lübeck, spürt „den Fisch in sich“ am stärksten, wenn er sich verschluckt.

von Thomas Willke

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Neil Shubin DER FISCH IN UNS Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers Fischer TB, Frankfurt am Main 2009, € 9,95

Stephen Jay Gould DER DAUMEN DES PANDA Betrachtungen zur Naturgeschichte Suhrkamp, Frankfurt 2009, € 13,–

Rudolph M. Nesse, George C. Williams WARUM WIR KRANK WERDEN Die Antworten der Evolutionsmedizin Goldmann, München 2002 (vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich)

Richard Dawkins UND ES ENTSPRANG EIN FLUSS IN EDEN Das Uhrwerk der Evolution Goldmann, München 2000 (vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich)

Detlev Ganten, Thomas Deichmann und Thilo Spahl DIE STEINZEIT STECKT UNS IN DEN KNOCHEN Gesundheit als Erbe der Evolution Piper, München, erscheint im Oktober 2009

HÖREN

Noch mehr zum Thema können Sie erfahren, wenn Sie am Samstag, 9. Mai, um 8.30 Uhr SWR2 einschalten. Dann berichtet Thomas Willke in der Reihe „SWR2 Wissen“ über den Pfusch in der Evolution. Näheres unter: www.swr2.de/wissen

WAS „WILL“ DIE EVOLUTION? NICHTS!

Wenn man als Journalist über die Evolution schreibt, hat man ein Problem: Man hat keine aktiv handelnde Hauptfigur. Normalerweise schreiben Journalisten über Wissenschaftler, Politiker oder Künstler. Diese Protagonisten haben Ideen, Ziele, Wünsche und setzen sie um. Aber die Evolution tut eigentlich nichts. Sie ist nur ein Mechanismus.

Auch die Natur „will“ nichts. Sie hat kein Ziel und keine Absichten. Die Natur hat nichts erfunden, um ein Problem zu lösen – auch wenn solche Formulierungen Biologen und Wissenschaftsjournalisten immer wieder aus dem Mund oder der Feder fließen. Auch mir ist es beim Schreiben immer wieder passiert, und ich musste mich selbst korrigieren.

Es stört aber den Fluss einer Geschichte ungemein, wenn man jedes Mal einen Mechanismus erklärt, statt ein Handeln zu beschreiben. Deshalb habe ich gelegentlich so getan, als ob die Evolution handeln würde. Diese Verben habe ich in Anführungszeichen gesetzt, um zu zeigen: Die Formulierung ist im übertragenen Sinne gemeint. TW

SURVIVAL OF THE FITTEST

Kaum eine Formulierung von Charles Darwin hat so viele Missverständnisse hervorgerufen wie „survival of the fittest“. Darwin meinte damit, dass in der Evolution diejenigen überleben und Nachkommen haben, die an eine Umwelt am besten angepasst sind. Wörtlich heißt der Ausspruch „Überleben des Angepasstesten“ . Die Sozialdarwinisten machten daraus: „Nur der Stärkste überlebt.“ Sie leiteten sogar ein „Recht des Stärkeren“ daraus ab. Auch heute spukt noch in vielen Köpfen die Vorstellung von Stärke als Ziel der Evolution. Das liegt aber vor allem an einem Übersetzungsfehler. Das Adjektiv „fit“ bedeutet heute im Deutschen „gut trainiert“. Im England des 19. Jahrhunderts verstand man darunter „passend“ oder „tauglich“, auch „bequem“ wie in „ein bequemer Schuh“.

FEHLKONSTRUKTION AUGE

Im menschlichen Auge liegt über der lichtempfindlichen Schicht, der Netzhaut II, eine Schicht aus Nervenzellen (Netzhaut I), die den Lichtdurchtritt behindert. Blutgefäße verlaufen nicht nur hinter der Netzhaut (in der Aderhaut), sondern auch davor – im Augeninneren. Wo der Sehnerv austritt (am Bildrand rechts), entsteht ein blinder Fleck.

Kompakt

· Die Evolution arbeitet mit Bauplänen unserer Vorfahren. Die sind zum Teil für ganz andere Umweltbedingungen optimiert.

· Außerdem kommt es nur auf erfolgreiche Fortpflanzung an. Alterskrankheiten werden deshalb nicht ausgemerzt.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
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Forst|wirt  〈m. 1〉 jmd., der Forstwissenschaft studiert u. die staatl. Prüfung abgelegt hat, aber noch vor der praktischen Ausbildung steht (Diplom~); →a. Forstreferendar … mehr

Pas|to|rel|le  〈f. 19; Mus.〉 kleines Hirtenlied (Zwiesprache zwischen Schäfer u. Schäferin); oV Pastourelle … mehr

Zo|on  〈[tsoon] n.; –s, –zo|en (nur in Zus. üblich)〉 Lebewesen ● ~ politikon geselliges Wesen (Bez. für den Menschen bei Aristoteles) … mehr

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