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Operation im Mutterleib

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Operation im Mutterleib
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Durch Fetalchirurgie können Fehlbildungen von Babys noch im Mutterleib behandelt werden. Bild: fraueva, Photocase
Immer mehr Babys werden schon im Mutterleib operiert. Gegenwärtig entstehen überall auf der Welt fetalchirurgische Zentren. Bei bestimmten Fehlbildungen ist der Eingriff inzwischen tatsächlich Routine und kann Leben retten. Für einige Erkrankungen ist die OP in der Gebärmutter allerdings nicht erprobt und kann für das Baby tödlich ausgehen.

Für die Eltern ist es ein schwerer Schock: Die Ultraschallaufnahme zeigt ein Loch im Zwerchfell des Babys. Die Leber hat sich durch die Öffnung in die Brusthöhle geschoben und drückt auf die Lunge, so dass diese nicht mehr richtig wachsen kann. Eine lebensbedrohliche Situation für das Baby. Es kann an der zu kleinen Lunge unmittelbar nach der Geburt sterben – die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig.

Zwar kommt diese Zwerchfellhernie nur bei einer von 2.500 Schwangerschaften vor. In diesen Fällen stürzt sie die Eltern aber in einen Entscheidungskonflikt. „Etwa ein Drittel entschließt sich zu einem Abbruch“, weiß Thomas Kohl, Leiter des Deutschen Zentrums für Fetalchirurgie und minimal-invasive Therapie (DZFT) am Universitätsklinikum Bonn. Aus seiner Sicht nicht nur bedauerlich, sondern unnötig, denn das Leiden kann operiert und das Leben des Kindes meistens gerettet werden.

In seiner Klinik behandelt Kohl jährlich mehrere Kinder mit einer schweren Zwerchfellhernie: Über ein fünf Millimeter großes Loch in der Bauchdecke schiebt er ein gebogenes Röhrchen in die Gebärmutter. Durch dieses Fetoskop wird ein kleiner Ballon in die Luftröhre des Ungeborenen manövriert und aufgeblasen. So wird der Lunge der nötige Platz eingeräumt und sie kann sich entfalten. Laut Kohl überleben 80 Prozent der behandelten Kinder, von denen viele später ein unbeschwertes Leben führten.

Mehr und mehr Babys werden im Mutterleib operiert. Überall auf der Welt entstehen derzeit fetalchirurgische Zentren. Bei Kindern mit offenem Rücken, mit Nierenschädigungen, mit Tumoren oder mit einem Herzfehler versuchen Ärzte, schon im Mutterleib zu operieren. Gegenwärtig konkurrieren die Kliniken jedoch um die wenigen Schwangeren, die für eine Operation infrage kommen, berichtet Michael Tchirikov von der Klinik für Frauenheilkunde an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Wettbewerb und Erfolgsdruck gereichen dabei nicht immer zum Wohl des Kindes, kritisiert er: Die vermeintliche Rettungsaktion kann für das Kind tödlich enden, wenn der Chirurg nicht entsprechend erfahren und versiert ist.

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„Jede Therapie muss erst einmal am trächtigen Schaf erprobt werden, bevor man das am Menschen machen darf“, fordert er, wissend, dass einige Kollegen forscher zur Sache gehen. Mit großer Skepsis beobachtet er, dass Eingriffe bei Kindern mit offenem Rücken, der sogenannten Spina bifida, angeboten werden. Menschen mit diesem Leiden können meist nicht ohne Hilfe laufen und nicht normal auf die Toilette gehen – eine schwere Beeinträchtigung. „Die Ergebnisse einer OP im Mutterleib sind aber richtig schlecht“, wettert Tchirikov. Teilweise seien die Kinder nach solchen Korrekturen übler dran als vorher.

Thomas Kohl gehört zu jenen Ärzten, die Babys mit offenem Rücken operieren. „Sieben bis neun von zehn Schwangeren entscheiden sich in Deutschland für eine Beendigung der Schwangerschaft, wenn ihr Baby einen offenen Rücken hat“, verteidigt er seine Position. Gelingt es dagegen, den Rücken in der 19. bis 25. Schwangerschaftswoche in einer OP zu verschließen, könnten die Kinder laut Kohl später besser laufen und zeigten auch weniger starke Schädigungen des Hirns.

Er räumt jedoch ein: „Wir befinden uns in einem Pilotstadium. Wir haben von der Ethikkommission die Genehmigung, zunächst 30 Schwangere zu operieren.“ Bis heute hat er bei 15 Kindern mit offenem Rücken den Eingriff im Mutterleib gewagt. Bei zweien sei der Rücken nach der Geburt soweit zugewachsen gewesen, dass sie nicht noch einmal operiert werden mussten. Ihre Beine und Gehirne hätten von dem Eingriff profitiert, legt Kohl dar. Allerdings konnte er bei drei Kindern die Fehlbildung „wegen technischer Schwierigkeiten“ nicht korrigieren. Drei weitere Babys starben – entweder bei dem Eingriff oder an Komplikationen nach der Geburt, so Kohl. „Diese gemischte Bilanz macht es für betroffene Schwangere zu Recht sehr schwierig, sich für den Eingriff zu entscheiden“, gesteht Kohl ein. Dennoch hofft er, dass sich weiterhin Frauen für eine OP melden und er die Methode weiter verbessern kann.

Andere Komplikationen lassen sich im Mutterleib mittlerweile routinemäßig beheben: Etwa beim sogenannten feto-fetalen Transfusionssyndrom, bei dem sich eineiige Zwillinge einen Mutterkuchen teilen und über Blutgefäße miteinander verbunden sind. Dabei bekommt manchmal ein Kind weniger Blut als das andere. Wenn nichts unternommen wird, sterben beide Kinder in mindestens 80 Prozent der Fälle im Laufe der Schwangerschaft, eines an einer Unterversorgung mit Blut, das andere an einer Überlastung seines Kreislaufes. Fetalchirurgen können indes mit einem Laser die Blutgefäße zwischen beiden Babys trennen. Bei neun von zehn Frauen überlebt mindestens ein Kind.

Allerdings führen alle Operationen am Ungeborenen zu einer Frühgeburt. „Eventuelle Schäden, die die Kinder davontragen, sind vor allem dadurch bedingt“, erläutert Tchirikov. Weshalb die OP die Schwangerschaft verkürzt, wissen die Mediziner nicht. Sie vermuten, dass dieser Effekt umso drastischer ausfällt, je größer die Öffnung zur Gebärmutter und der Stress für das Kind sind. „Wir versuchen, die minimal-invasive Technik noch minimaler zu machen“, skizziert Tchirikov die künftige Entwicklung. In einigen Jahren werde man nur noch über eine haarfeine Nadel zum Baby vordringen, glaubt er.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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