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PARADIES PANGUANA

Erde|Umwelt

PARADIES PANGUANA
Der Urwald rettete ihr einst das Leben. Jetzt versucht Juliane Diller ein Stück Urwald zu retten.

„Die Reise nach Panguana ist ein Abenteuer, aber die Ankunft dort hat für mich immer etwas von Nachhausekommen“, sagt Juliane Diller. Die biologische Forschungsstation im Tieflandregenwald von Zentral-Peru leistet seit 43 Jahren ökologische Grundlagenforschung. Juliane Diller, 1954 in Lima geboren, verbrachte hier prägende Jahre ihrer Jugend. Seit 2000 leitet sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Erich Diller die Station. „Die Artenvielfalt von Panguana und das vielfältige Beziehungsgefüge dort sind zwar mittlerweile gründlich erforscht – doch längst ist noch nicht alles Leben hier erfasst“, sagt die Biologin. „Der Regenwald ist so unbeschreiblich mannigfaltig, und auch heute begreifen wir erst einen Bruchteil dessen, was ihn ausmacht.“

1968 gründeten Dillers Eltern, das Zoologen-Ehepaar Maria und Hans-Wilhelm Koepcke, Panguana. Sie waren am Naturhistorischen Museum der Universität Lima beschäftigt und wollten im Regenwald fünf Jahre intensiv Feldforschung betreiben, um später in die Stadt zurückzukehren und ihre Funde auszuwerten. Ihre Tochter Juliane wuchs in der peruanischen Hauptstadt Lima und den Forschungsgebieten ihrer Eltern im Dschungel auf. Doch 1971 veränderte eine Katastrophe ihr Leben von Grund auf: Bei einem Flugzeugabsturz kam Maria Koepcke ums Leben. Die damals 17-jährige Juliane saß ebenfalls in der Maschine von Lima nach Pucallpa – und überlebte den Sturz aus 3000 Meter Höhe als Einzige von 91 Passagieren. Elf Tage irrte sie durch den Dschungel, bis sie von Einheimischen gerettet wurde.

DAS ERBE DER ELTERN

Den dramatischen Wendepunkt ihres Lebens hat sie als Herausforderung begriffen. Mit dem Regisseur Werner Herzog kehrte sie 1998 zurück zum Absturzort – für den Dokumentarfilm „Wings of Hope – Julianes Sturz in den Dschungel“. Und in dem bewegenden, unter ihrem Mädchennamen Koepcke erschienenen Buch „Als ich vom Himmel fiel“ erzählt sie jetzt selbst ihre Lebensgeschichte. Ein Jahr nach dem Unfall ging Juliane Koepcke nach Deutschland, um das Abitur zu machen und zu studieren. Doch Panguana ließ sie nicht los. Ihr Studium schloss sie mit einer Diplomarbeit über die dortige Schmetterlingsfauna ab, und in ihrer Doktorarbeit ging es um Panguanas Fledermäuse. Heute arbeitet Juliane Diller an der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM), wo sie die umfangreiche zoologische Fachbibliothek leitet. Und sie hat das Erbe ihrer Eltern angetreten: Sie hat Panguana zu einer international bekannten Forschungsstätte ausgebaut und dank der Unterstützung eines Sponsors, der Münchner Hofpfisterei, von zwei auf sieben Quadratkilometer vergrößert. Noch 2011 soll Panguana, seit zehn Jahren der ZSM angegliedert, offiziell zum Naturschutzgebiet erklärt und dauerhaft unter Schutz gestellt werden.

Die beiden Stationshäuser bieten zehn Wissenschaftlern Unterkunft. Um die Funde der Feldforschung auszuwerten, gibt es ein Labor. Bewirtschaftet wird die Station vom Besitzer der benachbarten Farm und seiner Familie. „In Panguana ist die Natur Gastgeberin, und wir sind die Besucher. Ständig forschen hier internationale Biologenteams unterschiedlichster Fachrichtungen“, erzählt Diller. „Mehr als 150 Publikationen sind bisher entstanden.“

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Der Weg in die abgelegene Station ist anstrengend. Sie liegt am Ufer des Río Yuyapichis, in 260 Meter Höhe, am Fuße der peruanischen Cordillera Oriental. In Pucallpa, Hauptstadt der Provinz Ucayali, startet die Tagesreise im Allrad-Pickup. Dann muss der Río Pachitea per Boot überquert werden. Letzte Etappe ist ein strapaziöser Fußmarsch durch den Dschungel.

Unglaubliche Insekten

Der Leben spendende Fluss und die zuführenden Bäche sorgen für die besonders hohe Artenvielfalt des kleinen Areals. Auch das nahe Sira-Gebirge gilt als Hotspot der Biodiversität. Die Amazonasmündung ist etwa 5000 Kilometer entfernt. Panguana grenzt sowohl an weiträumige Regenwaldgebiete als auch an Plantagen und Viehweiden. Im Osten der Station liegt das Gebiet der Asháninka, eines Ureinwohner-Volkes. Charakteristisch ist die Vielfalt von Biotopen: Überschwemmungsfreier Hochwald, Sekundär- und Auwälder, Schwarz-, Weiß- und Klarwasser wechseln sich auf kleinstem Raum ab. Ein Netz von Beobachtungspfaden durchzieht das Gebiet, um die Feldforschung zu erleichtern.

Panguana spiegelt die amazonische Vielfalt im Kleinen: Allein 500 Baumarten, darunter 15 Palmenarten, wachsen auf dem Gebiet. Über 600 verschiedene Wirbeltierspezies leben hier – etwa 353 Vogel- und 111 Säugetierarten. Dazu kommen rund 70 verschiedene Amphibien und genauso viele Reptilien. Noch kaum untersucht sind die 35 Fischarten.

Die Südamerikaforschung der ZSM, die 2011 ihr 200-jähriges Bestehen feiert, hat eine lange Tradition: Schon 1817 brach die erste Expedition nach Brasilien auf. „Wer zum ersten Mal in die Tropen reist, ist beeindruckt von der üppigen Pflanzenwelt. Zunächst sind keine Tiere zu sehen, alles erscheint nur grün“, sagt Ernst-Gerhard Burmeister, Stellvertretender Direktor der ZSM und Leiter der Abteilungen für Entomologie und Wasserinsekten. Er kennt Panguana sehr gut, 1982 war er zum ersten Mal hier. Der weit gereiste Insektenforscher und Artenschutz-Experte hat einen ausgeprägten Blick für Details: „Die Fauna erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Doch dann entdeckt man immer Neues. Ständig stellen sich neue Fragen nach den Zusammenhängen.“

Allein über 300 Ameisenarten lassen sich in Panguana nachweisen – zum Vergleich: In Deutschland sind es 111. Etwa 250 Arten tagfliegender Schmetterlinge konnten bisher ausgemacht werden. Bei den Klein- und Nachtschmetterlingen, die auf 10 000 bis 12 000 Arten geschätzt werden, stehen die Forscher noch ganz am Anfang. Immer neue Spezies werden beschrieben. „Die Insekten faszinieren durch eine unglaubliche Formenfülle“, schwärmt Burmeister. „Neben den zahlreichen verschiedenen Anpassungen an den besonders konkurrenzreichen Lebensraum zeigen sich auch vielfältige Schutzmechanismen vor Fressfeinden und eindrucksvolle Strategien von Pflanzen, gefräßige Larven abzuwehren.“

Burmeister berichtet von Heuschreckenlarven, die in den wassergefüllten, trichterförmigen Blattrosetten von Bromelien sitzen und auf andere Insekten warten, um sie zu fressen – etwa Libellen, die dort ihre Eier ablegen wollen. Und von schillernden Prachtbienen, die wie auf geheime Absprache erscheinen, sobald man einen Köder mit synthetischem Orchideenduft aufhängt. Denn sie sammeln nicht Nektar und Pollen, sondern Duftstoffe. Warum, ist noch ungeklärt. Denkbar ist, dass die Männchen damit Partnerinnen anlocken.

SPEKTAKULÄRE LIBELLENLARVE

Burmeisters Spezialgebiet sind die Wasserinsekten. In Panguana gilt sein Hauptaugenmerk den Libellen. Etwa 70 Arten konnte er hier gemeinsam mit einem ungarischen Kollegen nachweisen. Das sind in dem so kleinen Gebiet fast so viele wie in ganz Deutschland. „2003 konnte ich eine neue Art beschreiben, eine besonders große, farbenprächtige Libelle“, berichtet Burmeister. „ Erstaunlich, dass sie nicht längst bekannt war. Das eigentlich Spektakuläre war die zugehörige Larve. Ich entdeckte sie verborgen im Schotter eines kleinen Bachs, der besonders stark durchströmt wird. Inzwischen konnte ich auch die Ei-ablage dieser Art beobachten.“ Das Areal rund um Panguana steht beispielhaft für eine kleinräumige Nutzung der Landschaft durch den Menschen, bei der die großen, ursprünglichen Waldflächen geschont werden. Baumeinschlag und Jagd sind in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Mit positivem Effekt: Die Zahl der Großtiere auf der Station – Krokodile, Affen, ab und zu ein Jaguar – nahm deutlich zu.

Hans-Wilhelm Koepcke strebte schon in den 1970-er Jahren an, Panguana in ein offizielles Naturschutzgebiet zu verwandeln. Doch immer wieder standen zahlreiche bürokratische Hürden im Weg. Seit zwei Jahren gibt es aber realistische Hoffnungen: „In der peruanischen Umweltpolitik hat sich einiges geändert“, berichtet Diller. „War der Naturschutz früher dem Landwirtschaftsministerium unterstellt, so gibt es seit 2009 ein neu geschaffenes Umweltministerium. Durch diese Umstrukturierung wurde es möglich, auch private und kleinere Gebiete unter Naturschutz zu stellen.“ Für die Vorgaben des Ministeriums müssen etliche Auflagen erfüllt und Dokumente eingereicht werden – dazu gehört auch eine detaillierte Liste der bedrohten Arten in Panguana. Die ZSM und die peruanische Naturschutzbehörde INRENA unterstützen einen Antrag, dieses Primärwaldgebiet aufgrund seiner einmaligen Artenvielfalt dauerhaft unter Schutz zu stellen und für die Forschung verfügbar zu halten. Auch die direkten Nachbarn sowie die Bevölkerung der nächstgrößeren Kommunen sehen das Vorhaben heute positiv. Im April 2011 wurden die erforderlichen Unterlagen eingereicht. Derzeit steht Diller in entscheidenden Verhandlungen mit den örtlichen Behörden.

Generell sei in der peruanischen Bevölkerung ein wachsendes Umweltbewusstsein zu beobachten, meint Diller. „In den vergangenen 30 Jahren fand ein Umdenken statt. Das Verständnis und die Akzeptanz unserer Nachbarn sind enorm wichtig für unsere Arbeit. Denn was nützt es, wenn wir mit Panguana einen winzigen Fleck ‚heile Welt‘ schaffen, ringsumher aber der Regenwald zerstört wird?“

VERTRAUEN GARANTIERT

Auch der renommierte Evolutionsbiologe und ehemalige ZSM-Mitarbeiter Josef Reichholf beurteilt die Lage positiv. „ Juliane Diller führt die ursprüngliche Idee ihrer Eltern konsequent fort“, lobt er. „Sie ist eine starke Persönlichkeit und genießt das Vertrauen der örtlichen Bevölkerung.“ Das sei ein ganz entscheidender Vorteil: „Bei großen Nationalparks ist dieses Vertrauensverhältnis oftmals nicht gegeben. Es beste- hen dann auch keine Hemmungen, Verbotenes zu tun, etwa zu wildern oder Brandrodung zu betreiben.“ Die Erfassung der Artenvielfalt und ihrer Entwicklung, die wertvollen über Jahrzehnte hinweg gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auf andere Regionen übertragen. „Schon heute hat Panguana als Forschungsstation Modellcharakter. Auch als Naturschutzgebiet könnte es diesen erreichen“, beschreibt Juliane Diller ihre Vision. „Es müssen nicht immer riesige Nationalparks sein, auch kleine Flächen sind sinnvoll. Das ist unser Beitrag, um die grüne Lunge der Erde zu erhalten.“ ■

GUNNAR HENZE hat ein Stück Tropenwelt an seinem Wohnort München entdeckt: die Gewächshäuser des Botanischen Gartens.

von Gunnar Henze

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LESEN

Autobiografie der Juliane Diller (geborene Koepcke) mit der Geschichte Panguanas: Juliane Koepcke ALS ICH VOM HIMMEL FIEL Wie mir der Dschungel mein Leben zurückgab Malik, München 2011 € 19,95

Neuauflage eines Standardwerks: Josef H. Reichholf DER TROPISCHE REGENWALD Die Ökobiologie des artenreichsten Naturraums der Erde Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2010, € 9,95

INTERNET

Panguana – Informationen, Bilder, Hintergrund: www.panguana.de

Zoologische Staatssammlung München: www.zsm.mwn.de

KOMPAKT

· Die kleine Forschungsstation Panguana im peruanischen Urwald beweist, dass Privatinitiative Erfolge im Naturschutz anstoßen kann.

· Eine wichtige Rolle dabei spielt die Leiterin Juliane Diller, die in Peru aufgewachsen ist und das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung genießt.

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