Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Pflanzen geben Stress-Laute von sich

Botanische Akustik

Pflanzen geben Stress-Laute von sich
Durch akustische Technik haben Forscher das „Klicken“ von Pflanzen hörbar gemacht. © Tel Aviv University

Zum ersten Mal haben Forscher Pflanzen offenbar „richtig“ zugehört: Tomate und Co geben artspezifische Ultraschalltöne von sich und zwar mit speziellem Informationsgehalt, zeigt ihre Studie. Ob die Pflanzen „zufrieden“ oder aber verletzt oder „durstig“ sind, spiegelt sich demnach in speziellen Mustern dieser Klicklaute wider. Im Gegensatz zu uns könnten manche Lebewesen die pflanzlichen Ultraschalltöne hören und sie vielleicht sogar „verstehen“. Möglicherweise haben die Geräusche somit eine ökologische Bedeutung, sagen die Wissenschaftler.

Wind lässt Blätter rauschen und Äste knarzen – doch von sich aus scheinen Pflanzen keine Töne von sich zu geben. Doch hören wir sie vielleicht einfach nur nicht? Diese Frage stand im Zentrum des Teams aus israelischen und US-amerikanischen Forschern. „Aus früheren Studien war bekannt, dass an Pflanzen angebrachte Vibrometer Schwingungen aufzeichnen. Aber es war unklar, inwieweit diese Vibrationen auch zu Luftschallwellen führen – also zu Geräuschen, die sich über Distanzen ausbreiten und aufzeichnen lassen“, sagt Seniorautorin Lilach Hadany von der Universität Tel Aviv.

Um dieser Frage nachzugehen, führten die Wissenschaftler Versuche mit Tomaten- sowie Tabakpflanzen durch und später auch mit anderen Gewächsen. Sie platzierten dazu Ultraschallmikrofone vor den Versuchspflanzen – zunächst in einer schallgedämmten Akustikkammer und später auch in einer Gewächshausumgebung. Um zu untersuchen, inwieweit der Zustand einer Pflanze mit speziellen Geräuschen verbunden sein könnte, setzten die Forscher ihre grünen Probanden auch unter Stress: Einige wurden dazu mehrere Tage lang nicht bewässert, an anderen wurden Schnitte angebracht.

Charakteristisches Ultraschall-Klicken

Wie das Team berichtet, ergab das „genaue Hinhören“: Pflanzen geben tatsächlich hohe Töne mit Frequenzen von 40 bis 80 Kilohertz von sich. Zum Vergleich: Die maximale Frequenz, die ein erwachsener Mensch wahrnimmt, liegt bei etwa 16 Kilohertz. In eine für uns hörbare Version transformiert, ähneln die Töne Knall- oder Klickgeräuschen. Unbelastete Pflanzen lassen nur etwa einen Klick pro Stunde ertönen, stellten die Forscher fest. „Wenn es Tomaten gut geht, sind sie sehr ruhig“, so Hadany. Doch bei den beiden Stresszuständen gaben einzelne Pflanze etwa 30 bis 50 dieser Klickgeräusche pro Stunde von sich, ergaben die Auswertungen.

Anzeige

In eine für uns wahrnehmbare Form gebracht, hört sich eine gestresste Pflanze so an:

© Khait et al.

Im nächsten Schritt analysierten die Wissenschaftler die Aufnahmen durch ein System der künstlichen Intelligenz: Nach einem „Training“ konnten die Algorithmen für maschinelles Lernen zwischen den Tönen verschiedener Pflanzen unterscheiden sowie die Art und den Grad des Stresses anhand der Geräuschmuster identifizieren. Das bedeutet: Eine „durstige“ Pflanze klingt in charakteristischer Weise anders als eine verletzte. Darüber hinaus identifizierten und klassifizierten die Algorithmen die Pflanzengeräusche auch dann, wenn die Pflanzen in einem Gewächshaus mit Hintergrundgeräuschen untergebracht waren.

Obwohl sich die Studie auf Tomaten- und Tabakpflanzen konzentrierte, weil sie im Labor leicht zu kultivieren sind, nahm das Forschungsteam auch eine Vielzahl anderer Pflanzenarten auf. „Wir haben festgestellt, dass viele Pflanzen – zum Beispiel Mais-, Weizen-, Wein- und Kaktuspflanzen – Geräusche aussenden, wenn sie gestresst sind“, sagt Hadany. Der genaue Mechanismus, der hinter diesen Geräuschen steckt, muss erst noch geklärt werden. Die Forscher vermuten aber, dass er auf die Bildung und das Zerplatzen von Luftblasen im Gefäßsystem der Pflanzen zurückzuführen sein könnte – ein Prozess, der als Kavitation bezeichnet wird.

Ein Phänomen mit Bedeutung?

Den Forschern zufolge könnte das Phänomen im Hinblick auf zwei Aspekte eine Bedeutung haben: Durch Sensorsysteme könnte man es möglicherweise im Pflanzenbau nutzen, um genau zu erfassen, wann Pflanzen bewässert werden sollten. Doch vor allem sehen die Wissenschaftler eine mögliche ökologische Bedeutung in den pflanzlichen Geräuschen: „Es ist möglich, dass sich bestimmte Organismen so entwickelt haben, dass sie diese Töne hören und darauf reagieren können“, sagt Hadany. „Zum Beispiel könnte ein Insekt, das seine Eier auf einer Pflanze ablegen will, oder ein Tier, das eine Pflanze fressen will, die Töne als Entscheidungshilfe nutzen“.

Eine weitere spannende Möglichkeit ist: Auch andere Pflanzen könnten die Geräusche „hören“ und sie als Information nutzen. Aus früheren Forschungen ist in diesem Zusammenhang bereits bekannt, dass Pflanzen auf Geräusche und Vibrationen reagieren können. „Wenn Pflanzen von anderen Informationen über Stress bekommen, bevor er bei ihnen selbst auftritt, könnten sie sich darauf vorbereiten“, sagt Hadany.

Die Studie hat also spannende Fragen aufgeworfen, denen die Forscher nun auch weiter nachgehen wollen: Welcher Mechanismus steckt hinter den Pflanzengeräuschen? Inwieweit erkennen und reagieren bestimmte Tiere oder Pflanzen auf diese Töne? „Da wir nun wissen, dass Pflanzen Geräusche aussenden, steht vor allem die Frage im Raum: Wer könnte zuhören?“, so Hadany abschließend.

Quelle: Cell Press, Tel-Aviv University, Fachartikel: Cell, doi: 10.1016/j.cell.2023.03.009

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Erd|fer|kel  〈n. 13; Zool.〉 urtümliches, plumpes Säugetier mit rüsselförmig verlängertem Kopf u. langem Schwanz, verschläft den Tag in Erdgruben: Tubulidentata

Dög|ling  〈m. 1; Zool.〉 Schnabelwal mit blasenförmig aufgetriebenem Kopf u. entenschnabelförmig abgesetzter Schnauze: Hyperoodon; Sy Entenwal … mehr

Schü|ler  〈m. 3〉 1 Angehöriger einer Schule, Schulkind 2 Lernender (bei einem Meister) … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige