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Pflanzen: Wie Chloroplasten vererbt werden

Erde|Umwelt

Pflanzen: Wie Chloroplasten vererbt werden
Tabakpflanze
Tabakpflanze mit von der Vaterpflanze geerbten Chloroplasten (grün).© MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie

Wenn Pflanzen sich geschlechtlich vermehren, wird das Erbgut aus den Zellkernen von Vater und Mutter kombiniert. Die für die Photosynthese wichtigen Chloroplasten werden dagegen lediglich von der Mutterpflanze an die Nachkommen weitergegeben – so dachte man bisher. Eine neue Studie zeigt nun, dass unter bestimmten Umständen, darunter Kälteeinfluss, auch väterliches Chloroplasten-Erbgut vererbt werden kann. Das könnte neue Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung eröffnen.

Als sich vor mehr als einer Milliarde Jahre die Vorläufer der heutigen Tier- und Pflanzenzellen entwickelten, entstand eine bis heute erfolgreiche Symbiose: Ehemals selbstständige Einzeller mit nützlichen Eigenschaften wurden in andere Zellen aufgenommen und integrierten sich in deren Zellstoffwechsel. Aus solchen Einzellern entstanden die Mitochondrien, die Kraftwerke von Tier- und Pflanzenzellen, sowie die Chloroplasten, die es den Pflanzenzellen ermöglichen, Photosynthese zu betreiben. Bisherigen Annahmen zufolge werden diese Zellorganellen aber nur von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben. Bei Pflanzen, so die Überzeugung, kommen die Chloroplasten entweder gar nicht erst ins Pollenkorn hinein, oder sie werden abgebaut, bevor der Pollen eine weibliche Eizelle befruchtet. Eine Rekombination von mütterlichem und väterlichem Chloroplasten-Erbgut schien daher ausgeschlossen.

Pollen unter Stress

Dem widerspricht nun eine Studie von einem Team um Kin Pan Chung vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam. Demnach ist die Vererbung von väterlichen Chloroplasten zwar selten, kommt aber unter bestimmten Bedingungen verstärkt vor. „Da davon auszugehen ist, dass die Vererbung durch beide Eltern die Stabilität und Evolution des Genoms der Organellen stark beeinflusst, haben wir untersucht, welche Umwelt- und genetischen Faktoren bestimmen, wie Chloroplasten vererbt werden“, berichten die Forscher.

Über vier Millionen Tabakpflanzen haben Chung und sein Team dafür unter verschiedenen Umweltbedingungen untersucht. Um väterliche Chloroplasten von mütterlichen unterscheiden zu können, züchteten die Forscher zunächst Vaterpflanzen, deren Chloroplasten resistent gegen ein Antibiotikum sind. Anschließend setzten sie diese Pflanzen während der Pollenreife verschiedenen Stressoren wie Hitze, Kälte, Trockenheit und Starklicht aus. Mit den auf diese Weise behandelten Pollen bestäubten sie anschließend unbehandelte Mutterpflanzen.

Grüne Flecken in der Keimlingskultur

Die aus dieser Kreuzung hervorgegangen Samen ließen Chung und seine Kollegen auf einem Nährmedium wachsen, dass mit dem entsprechenden Antibiotikum versetzt war. Da die mütterlichen Chloroplasten durch das Antibiotikum zugrunde gingen, blieben Keimlinge, die nur die Chloroplasten der Mutterpflanze erhalten hatten, farblos. War ein Keimling grün, musste er hingegen Chloroplasten von der Vaterpflanze geerbt haben. „Es ist nicht leicht motiviert zu bleiben, wenn man tausende Pflänzchen anschaut, immer auf der Suche nach dem einen grünen Fleck. Entsprechend begeistert waren wir, als sich bei den Kälteexperimenten tatsächlich ein Effekt abzeichnete“, erzählt Chungs Kollegin Stephanie Ruf.

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Im nächsten Schritt untersuchte das Team, welcher Mechanismus dafür sorgt, dass ausgerechnet bei Kälte väterliche Chloroplasten mit höherer Wahrscheinlichkeit vererbt werden. „Wir wissen, dass Kälte die Arbeit von Enzymen im Stoffwechsel der Pflanzen verlangsamt. Daher hatten wir den Verdacht, dass ein Enzym daran beteiligt sein könnte, die väterliche Vererbung von Chloroplasten zu blockieren“, erläutert Chungs Kollege Enrique Gonzalez-Duran. Tatsächlich stießen die Forscher auf ein Enzym namens DPD1, dass normalerweise während der Reifung der Pollen das darin enthaltene Erbgut der Chloroplasten zerstört. Züchteten sie Pflanzen, in denen dieses Protein defekt war, enthielten die Pollen tatsächlich Chloroplasten-Erbgut, wie die Forscher mit Hilfe von Laserscan-Mikroskopie und PCR-Tests nachwiesen.

Neue Perspektiven für Pflanzenzüchtung und Evolutionsbiologie

Obwohl die auf diese Weise manipulierten Vaterpflanzen etwas weniger funktionsfähige Pollen produzierten als Pflanzen mit intaktem DPD1, gelang es den Forschern, auch mit diesen Pollen weibliche Pflanzen zu bestäuben und Keimlinge zu züchten. Und tatsächlich: Die Rate der väterlichen Chloroplastenvererbung war ähnlich wie bei Kälteeinwirkung deutlich erhöht. Kombinierten die Forscher Genmanipulation und Kältestress, stieg die Vererbungsrate auf zwei bis drei Prozent. „Das mag erst einmal wenig klingen, ist aber gigantisch im Vergleich zu einer eins zu 100.000 Chance, dass so etwas unter Normalbedingungen stattfindet“, sagt Chung.

Die Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für die Pflanzenzüchtung: „Da man bisher dachte, Mitochondrien und Chloroplasten würden immer nur zusammen und nur von der Mutter vererbt, gab es keine Möglichkeit, die in ihrem Erbgut verschlüsselten Eigenschaften getrennt voneinander weiterzugeben. Die Möglichkeit, durch eine simple Kältebehandlung auch die Chloroplasten der väterlichen Seite zu vererben, könnte die Tür zu ganz neuen Züchtungsprogrammen öffnen“, erklärt Chungs Kollege Ralph Bock. Auch für die Evolutionsbiologie ist die Einsicht bedeutsam. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, Umweltbedingungen in der genetischen Forschung mit zu berücksichtigen“, so Bock. „Es wird nun spannend zu untersuchen, ob mütterlich und väterlich vererbte Chloroplasten tatsächlich Erbgut untereinander austauschen“, ergänzt Chung.

Quelle: Kin Pan Chung (Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie, Potsdam) et al., Nature Plants, doi: 10.1038/s41477-022-01323-7

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