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Plädoyer für den Schamanen

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Plädoyer für den Schamanen
Heilkunst erfordert mehr als High-Tech. Psychologische und immunologische Erkenntnisse legen nahe: Beim Arzt der Zukunft sollte der Patient als Einheit von Körper und Seele künftig wieder in den Mittelpunkt rücken.

Sie sind Magier und Medizinmänner in einem. Rhythmische Tänze und Gesänge gehören ebenso zu ihren Heilmethoden wie Zauberformeln, sanfte Streichbewegungen und Meditation: Schamanen suchen stets den intensiven Kontakt zu ihren Patienten. In frühen menschlichen Kulturen und auch heute bei Naturvölkern sind sie für das Behandeln von Krankheiten da. Ihre Kompetenz liegt vor allem im „tiefen Einfühlungsvermögen in die psychosoziale Situation des Patienten“, so der Medizinhistoriker Prof. Wolfgang Eckart, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin an der Universität Heidelberg.
Die modernen Medizinmänner der westlichen Industrienationen können von den Schamanen einiges lernen. Daß die Beziehung zwischen Arzt und Patient für den Erfolg einer Behandlung sehr wichtig ist, hat die Medizin bereits in den achtziger Jahren dieses Jahrhunderts wiederentdeckt. Fachrichtungen wie die Medizinische Psychologie und die Psychoneuroimmunologie, die den Zusammenhang zwischen Seele und Körper des Menschen untersuchen, etablieren sich zunehmend an den medizinischen Fakultäten.
Auch die Gesundheitspolitik hat längst auf den Trend reagiert. Seit dem 1. Oktober 1987 werden „zuwendungsorientierte Leistungen“, zum Beispiel Gespräche mit dem Patienten, bei der Abrechnung höher bewertet. Diese Entwicklung schlägt sich in den Praxen positiv nieder.
Untersuchungen in den sechziger und siebziger Jahren ergaben, daß der Dialog zwischen Arzt und Patient beim Erstgespräch durchnittlich 5,8 Minuten und bei Langzeitpatienten 2,3 Minuten dauerte. Heute leert sich das Sprechzimmer nicht so rasch. Eine aktuelle Untersuchung von Dr. Erich Kasten, Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie der Universität Magdeburg, weist aus: Etwa zwei Drittel der befragten Patienten sprechen mehr als zehn Minuten mit ihrem Arzt.
Zwischen der Dauer des Gesprächs und dem Vertrauen, das der Kranke seinem Arzt entgegenbringt, besteht – so Erich Kasten – ein signifikanter Zusammenhang: Ärzte, die sich viel Zeit nehmen, genießen höheres Vertrauen. Der Patient ist dann entspannter und eher bereit, auch über persönliche Dinge zu sprechen und die Anweisungen des Arztes zu befolgen. Diese im Fachjargon „Compliance“ genannte Therapietreue ist für den Behandlungserfolg ausschlaggebend.
Doch ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis hat nicht nur auf das Durchhaltevermögen des Kranken einen positiven Effekt, sondern auch direkt auf sein Immunsystem. Seit den dreißiger Jahren mehren sich die Indizien, daß emotionaler Streß das Immunsystem beeinflußt. Seit etwa 15 Jahren können Biologen und Mediziner auch auf zellulärer Ebene die Zusammenhänge erklären.
In Streßsituationen, zum Beispiel vor einer wichtigen Prüfung, nimmt die Zahl der Lymphozyten – auf die Immunabwehr spezialisierte Blutzellen – deutlich zu. Das versetzt den Körper in die Lage, bei Verletzungen schnell zu reagieren. Deswegen ist Dauerstreß von Nachteil, zum Beispiel bei chronisch Kranken, die sich ständig mit belastenden Untersuchungen und Therapien auseinanderzusetzen haben. Denn das System, das den Anstieg der Immunzellen bewirkt, wird bei einer Dauerbelastung heruntergeregelt: Der Immunstatus geht in den Keller.
Mittlerweile belegt eine Vielzahl von medizinischen Studien den Zusammenhang zwischen psychosozialer Belastung und Immunstatus. Daher spielt eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre, in der ein Patient sich auch mit seelischen Nöten seinem Arzt anvertraut, für seine Gesundung eine große Rolle.
Die Schamanen wissen dies, auch wenn sie den Begriff „Immunsystem“ und das Gedankengebäude dahinter nicht kennen. Durch ihre auf Körper und Seele des Kranken gerichtete Heilkunst beeinflussen sie das Krankheitsempfinden des Patienten und dessen Bereitschaft, über die Entstehung seiner Beschwerden nachzudenken. „Die Erwartungs- und Wissenskreise von Heiler und Patient treten in Interaktion“, beschreibt Wolfgang Eckart in seiner „Geschichte der Medizin“ die Beziehung zwischen Kranken und Schamanen bei der Behandlung, „an deren Ende beim Patienten eine Versöhnung mit dem eigenen Schicksal steht.“
Auch moderne Mediziner sind sich bewußt, daß psychische Probleme an der Entstehung vieler Krankheiten beteiligt sind. Medizinstudenten lernen heute selbstverständlich den Einsatz gesprächstherapeutischer Techniken, um die Kommunikation mit dem Patienten möglichst so zu gestalten, daß sie auch zu den psychischen Wurzeln der Erkrankung vordringen können.
Wichtig ist vor allem, daß die Patienten sich in ihrem Leiden ernstgenommen fühlen. Und da hakt es anscheinend. Die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Gesine Grande an der Universität Bielefeld fand heraus: Die Krankheitsdefinition des Arztes und das Krankheitsempfinden des Patienten weichen immer mehr voneinander ab. Der Arzt in Deutschland hält seinen Patienten für gesünder als dieser sich selbst.
Das hat Folgen für das Verhalten der Patienten, denn: „Wer sich als schwerer erkrankt ansah, veränderte sein Verhalten in den folgenden drei Jahren eher nicht und zeigte nach drei Jahren ausgeprägtere negative psychosoziale Krankheitsfolgen“, faßt Grande ihre Untersuchungsergebnisse zusammen. Das subjektive Krankheitsempfinden des Patienten müsse daher in die ärztlichen Überlegungen und therapeutischen Pläne stärker einbezogen werden, fordert die Diplom-Psychologin. „Nur dann wären ärztliche Entscheidungen im Erleben verankert, in der Perspektive des Patienten.“
Das hat Folgen für das Verhalten der Patienten, denn: „Wer sich als schwerer erkrankt ansah, veränderte sein Verhalten in den folgenden drei Jahren eher nicht und zeigte nach drei Jahren ausgeprägtere negative psychosoziale Krankheitsfolgen“, faßt Grande ihre Untersuchungsergebnisse zusammen. Das subjektive Krankheitsempfinden des Patienten müsse daher in die ärztlichen Überlegungen und therapeutischen Pläne stärker einbezogen werden, fordert die Diplom-Psychologin. „Nur dann wären ärztliche Entscheidungen im Erleben verankert, in der Perspektive des Patienten.“
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