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„Plastikfresser“ im Ozean

Erde|Umwelt

„Plastikfresser“ im Ozean
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Die Filterreuse von Bathochordaeus wird einen Meter groß, das Tier selbst nur wenige Zentimeter (Foto: Monterey Bay Aquarium Research Institute)
Larvaceen sind bizarre Tiere: Diese transparenten Verwandten der Seescheiden und Salpen schweben im Ozean und filtern mit gut einen Meter großen, klebrigen Filterreusen Futterpartikel aus dem Wasser. Doch wie sich jetzt zeigt, könnten diese Manteltiere auch eine wichtige Rolle bei der Verteilung des Mikroplastiks im Ozean spielen. Denn die Larvaceen fangen und fressen die Plastikpartikel und transportieren sie dann mit ihrem Kot und ihren ausgedienten Filterreusen zum Meeresgrund.

Das Grundproblem ist längst bekannt: Unser Plastikabfall vermüllt die Ozeane. Inzwischen finden sich massenhaft Kunststoffreste sogar in der Tiefsee, dem arktischen Meer oder an den Stränden unbewohnter Inseln. Die Reste von Plastiktüten, Fischernetzen oder Konsumprodukten kontaminieren das Wasser und sind für Vögel und Meerestiere eine tödliche Gefahr. Viele verenden, weil sie versehentlich Plastik gefressen haben. Und jedes Jahr kommen fast zehn Millionen Tonnen Plastikabfall dazu, wie Forscher ausrechneten.

Noch gravierender ist die Mikroplastikbelastung der Meere. Inzwischen schwimmen in manchen Regionen schon mehr dieser weniger als fünf Millimeter kleinen Partikel im Wasser als Organismen. Allein der Rhein schwemmt täglich im Durchschnitt eine Fracht von 191 Millionen Plastikteilchen in Richtung Nordsee. Das Mikroplastik entsteht durch den Zerfall größerer Plastikreste, wird aber auch direkt aus Funktionstextilien, Kosmetik und anderen Konsumartikeln freigesetzt und mit dem Abwasser in den Ozean transportiert. Dort gefährdet es Tiere, die die Teilchen fressen und dann mit vollem Magen verhungern. An der Kunststoffoberfläche reichern sich zudem Schadstoffe an und verstärken so die Kontamination. Wo jedoch das Mikroplastik im Ozean bleibt und wie es sich unterhalb der Wasseroberfläche verteilt, ist bisher nur in Teilen bekannt. Dadurch ist es für Biologen auch schwer, die Gefahr für verschiedene Meeresbewohner abzuschätzen.

Schwebender „Wurm“ mit Riesenreuse

Kakani Katija vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) und ihre Kollegen haben nun einen bisher unerkannten „Plastikfresser“ des offenen Ozeans aufgespürt. Die Forscherin wollte eigentlich nur das Fressverhalten des Riesen-Larvaceen Bathochordaeus charon aufklären. Dieses zu den Manteltieren gehörende Lebewesen ist selbst eher unauffällig: Es ähnelt einer wenige Zentimeter langen, transparenten Kaulquappe. Doch um seine Nahrung aus dem Wasser zu filtern – organische Partikel – konstruiert dieses Tier eine teilweise mehr als einen Meter große Filterreuse. Diese schleimbeschichtete Reuse schwebt als zartes Gebilde durch das Wasser und setzt sich dabei allmählich mit Partikeln zu. Bathochordaeus weidet dann diese Partikel nach und nach ab. Ist der Filter nach einiger Zeit zu stark mit ungenießbaren Teilchen verklebt, stößt das Tier dieses Haus ab und es sinkt auf dem Meeresgrund.

Um die Fressgewohnheiten dieses seltsamen Meeresbewohners näher zu studieren, nutzten Katija und ihre Kollegen einen der ferngesteuerten Tauchroboter des Instituts. Mit diesem tauchten sie in den Monterey Canyon – eine Unterwasserschlucht vor der kalifornischen Küste, in der viele Larvaceen leben. In der Nähe der Filterreusen dieser Tiere setzte das Tauchboot farbig fluoreszierende Plastikpartikel in verschiedenen Größen frei und filmte, was passierte. Es zeigte sich: Bei elf der 25 getesteten Larvaceen setzte sich das Mikroplastik in den inneren Filtern der zarten Konstruktion fest. Als diese Filter dann zugesetzt waren und Bathochordaeus sie abstieß, sanken sie mitsamt ihrer Mikroplastik-Fracht zum Meeresboden ab. „Dieser Transport passiert relativ schnell, mit bis zu 800 Metern pro Tag“, berichten Katija und ihre Kollegen. Diese „Entsorgung“ führt dazu, dass das Mikroplastik deutlich schneller aus der Wassersäule verschwindet als normalerweise – und das hat Vorteile: „Die schnelle Sinkrate reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass diese Partikel eingefangen und gefressen werden oder im Wasser degradieren“, erklären die Forscher.

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Bathochordaeus in Aktion (Video: Monterey Bay Aquarium Research Institute)

Mit dem Kot zum Meeresgrund

Aber nicht nur das: Zur Überraschung der Biologen verschmähten einige der Larvaceen das in ihren Filtern klebende Mikroplastik nicht, sondern fraßen es, als wenn es Futter wäre. Die bunten Plastikpartikel waren anschließen deutlich im halbtransparenten Darm der Tiere zu erkennen. Weitere Beobachtungen ergaben, dass das Mikroplastik nach rund zwölf Stunden den Darm der Larvaceen passiert hatte und dann mit ihren Kotklümpchen zu Boden sank. Auch dies beschleunigte den Transport der Plastikpartikel ins Sediment. „Unsere Ergebnisse repräsentieren einen neuen biologischen Transport-Mechanismus, der große Mengen von Mikroplastik vom oberflächennahem Wasser in die Tiefsee befördern könnte“, konstatieren die Wissenschaftler. Sie vermuten, dass nicht nur die Larvaceen diesen Prozess fördern, sondern auch andere Filtrierer der mittleren und oberen Wasserschichten. Zumindest für die dort lebenden Organismen könnte dies die Kontamination verringern.

Allerdings: Auch in der Tiefsee und im Meeresboden ist das Mikroplastik nicht völlig aus der Welt. Denn auch in diesen Bereichen leben Tiere, die diese Partikel aufnehmen und an ihnen zugrundegehen können, wie die Forscher betonen. „Bisher hat jedoch keiner so richtig untersucht, was mit dem Plastik im tieferen Wasser passiert“, sagt Katija. Hier seien dringend weitere Untersuchungen nötig.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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