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Puffer gegen Todesangst

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Puffer gegen Todesangst
Der unangenehme Gedanke an die eigene Sterblichkeit weckt bei Menschen eine Art psychischen Schutzmechanismus, bei dem der Selbstwert gestärkt und die eigenen kulturellen Werte verteidigt werden. Das funktioniert bei westlich geprägten Menschen allerdings anders als bei Asiaten, haben jetzt zwei Psychologen von der University of California gezeigt: Während Erstere das unabhängige, individuelle Selbst hochhalten, nutzen Letztere eher das Gefühl von Gemeinschaft und Gruppenzugehörigkeit als Angstpuffer.

Wird der Mensch mit seinem Tod konfrontiert, stellt das einen Angriff auf sein Selbstwertgefühl dar. Seine eigene Weltanschauung zu betonen, hilft dabei, sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen, das einen selbst überdauert. Dazu gehört bei Europäern in solchen Momenten auch, Personen abzulehnen, die ihnen unähnlich sind. Das Selbstwertgefühl von Asiaten ist hingegen grundsätzlich stark an andere Personen geknüpft, schreiben Christine Ma-Kellams und Jim Blascovich. Das würde bedeuten, dass bei ihnen das Todesbewusstsein mit der Angst vor dem Verlust sozialer Bande einhergehen müsste, so die ursprüngliche Vermutung der Psychologen. Um diese These zu überprüfen, baten die beiden Forscher 22 junge US-Amerikaner mit europäischer und 20 mit asiatischer Abstammung zu einem Experiment.

Ein Teil der Versuchspersonen sollte über den eigenen Tod schreiben, während sich eine Kontrollgruppe mit dem Thema Zahnschmerzen beschäftigte. Danach bekamen beide Gruppen einen vermeintlich echten juristischen Schriftsatz vorgelegt, in dem es um die Kaution für eine inhaftierte Prostituierte ging. Die Probanden wurden aufgefordert, einen Betrag zwischen 0 und 999 Dollar als Kaution festzulegen. Außerdem wurde mit einem Fragebogen ihre Einstellung zur Prostitution abgefragt. Das Ergebnis: Die Asiaten äußerten sich negativer über Prostitution und forderten insgesamt auch eine höhere Kaution. Allerdings veranschlagten die asiatisch geprägten Probanden mit Todesgedanken weniger Kaution als die entsprechende, ebenfalls asiatische Kontrollgruppe. Die europäisch-stämmigen Amerikaner forderten hingegen eine etwas höhere Kaution, wenn bei ihnen das Bewusstsein für den eigenen Tod geweckt wurde, als die zugehörige Kontrollgruppe. Vereinfacht gesagt: Westlich geprägte Menschen sanktionieren unter Todesangst Personen stärker, die ihre Überzeugungen verletzen. Östlich geprägte Personen sehen in Anbetracht ihrer Sterblichkeit zugunsten einer sozialen Verbindung über unerwünschtes Verhalten hinweg.

In einem zweiten Experiment mit 48 europäischen und 23 asiatischen Amerikanern wollten die Psychologen dann herausfinden, ob die Angst vor dem Tod auch einen Einfluss darauf hat, wie Menschen unterschiedlicher Kulturen die Notlage eines unschuldigen Opfers einschätzen. Sie ließen wiederum einige Probanden über ihre Sterblichkeit schreiben und die Kontrollgruppe über Zahnschmerzen. Dann legten sie allen Teilnehmern einen angeblichen Zeitungsartikel über einen schweren Autounfall vor, bei dem ein Universitätsangestellter namens Steve angeblich Lähmungen davon getragen hatte. Es wurde betont, dass Steve alle Verkehrsregeln beachtet hätte. Die Forscher wollten wissen, wie viel Schuld die Probanden dennoch dem Verletzten an dem Unfall gaben. Ihre Voraussage bestätigte sich: Die Asiaten sprachen dem Opfer ? mit ihrem eigenen Tod vor Augen ? weniger Schuld zu, die Europäer mit der gleichen Angst hingegen mehr. Letztere wollten sich wohl mit der Schuldzuweisung vom Opfer distanzieren, vermuten die Psychologen. Letztlich erreichen beide Kulturgruppen mit ihrer Strategie dasselbe Ziel, nämlich angesichts des Todes die eigenen Vorstellungen und Überzeugungen zu verteidigen ? auch wenn das auf unterschiedlichen Wegen geschieht.

Christine Ma-Kellams und Jim Blascovich (University of California, Santa Barbara): Psychological Science, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1177/0956797611413935 wissenschaft.de ? Cornelia Varwig
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