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Rätsel um „nacktes“ Fossil

Erde|Umwelt

Rätsel um „nacktes“ Fossil
Allonnia nuda
Aufnahmen des neuentdeckten Fossils von Allonnia nuda (Foto: Derek Siveter/Tom Harvey/Peiyun Cong)

Schon seit 100 Jahren rätseln Paläontologen über eine Tiergruppe, die vor rund einer halben Milliarde Jahren lebte. Denn diese einem gestachelten Sack ähnelnden Meerestiere ließen sich keinem Ast des Organismenstammbaums eindeutig zuordnen. Jetzt liefert ein neues Fossil dieser sogenannten Chancelloriiden weitere Einblicke – wirft aber auch neue Fragen auf. Denn entgegen bisherigen Funden ist dieses Exemplar ungewöhnlich groß und fast nackt – ihm fehlt die dichte Bestachelung.

Die Lebenswelt des Kambrium erscheint manchmal so, als hätte die Evolution damals noch „geübt“. Denn in dieser Zeit vor rund 500 Millionen Jahren existierten viele Lebewesen, die keinem der heutigen Großgruppen im Tierreich ähnlich sehen. Ob es sich bei diesen Organismen um „Sackgassen“ der Evolution handelte, die kurze Zeit später wieder ausstarben, oder ob sie sich so veränderten, dass aus ihnen doch Vorfahren heutiger Tiergruppen hervorgingen, ist in vielen Fällen bisher unbekannt. Zu diesen Rätselwesen gehören auch die Chancelloriiden. „Auf den ersten Blick ähneln die Chancelloriiden Schwämmen, weil sie einen stachelbesetzten, sackähnlichen Körper mit Radiärsymmetrie besitzen, ein Mundöffnung an einem Ende und eine Art Stiel am anderen“, berichten Pei-Yun Cong von der Universität Yunnan und seine Kollegen. Andere Merkmale jedoch passten nicht zu den Schwämmen, weshalb einige Forscher diese Tiere eher den Vorfahren der Mollusken zuordneten.

Neues Fossil ist verblüffend anders

„Seit ihrer Entdeckung vor rund 100 Jahren haben sich die Chancelloriiden allen Versuchen widersetzt, sie irgendwo im Stammbaum des Lebens unterzubringen“, sagt Co-Autor Thomas Harvey von der University of Leicester. Das lag zum Teil auch daran, dass bisher nur wenige Fossilien dieser rätselhaften Tiergruppe gefunden wurden. Jetzt jedoch haben die Forscher in China eine neue Art der Chancelloriiden entdeckt – und sie ist verblüffend anders als ihre Verwandten. Gefunden haben die Paläontologen die neuen Fossilien in einer rund 500 Millionen Jahre alten Gesteinsformation in der chinesischen Provinz Yunnan.

Bei den Funden handelt es sich um überraschend große Fossilien: Die Allonnia nuda getaufte Art wurde zu Lebzeiten offenbar bis zu 50 Zentimeter und vielleicht sogar noch mehr groß, wie die Forscher berichten. Ähnlich wie die bisher bekannten Chancelloriiden ähnelt auch diese Art einem länglichen Gewebesack ohne sichtbare innere Organe. „Es gibt keine Spuren eines Darms oder anderer innerer Organe“, so Cong und seine Kollegen. „Alle Belege sprechen dafür, dass auch dieser Chancelloriide als Körper einen dünnwandigen Sack mit einer Mundöffnung an einem Ende besaß.“ Nach Ansicht der Forscher spricht dieser extrem einfache Körperbau dagegen, dass diese Tiere frühe Vertreter der Mollusken oder Nesseltiere waren, wie teilweise angenommen.

Seltsam „nackt“

Seltsam auch: Im Gegensatz zu den bisher bekannten Chancelloriiden ist Allonnia nuda fast „nackt“: Ihre Oberfläche ist nur um die Mundgegend von Stacheln besetzt, am restlichen Körper sind sie dagegen dünn gesät oder fehlen völlig. Wie Cong und seine Kollegen erklären, sprechen dieses Muster und die Größenverteilung der Schuppenstacheln dafür, dass diese Wesen vom Mundende her wuchsen. Dabei wurden dort neue Stacheln angelegt, die dann aber im Laufe der Zeit wieder ausfielen. Auch dieses Wachstumsmuster spricht nach Ansicht der Forscher eher gegen eine Zuordnung zu den höheren Mehrzellern. „Wir argumentieren, dass das Muster ihres Körperwachstums eine enge Verbindung mit den Schwämmen unterstreicht – was die alte Hypothese der Chancelloriiden als schwammähnliche Tiere stützen würde“, sagt Harvey.

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Angesichts dieses neuen, ungewöhnlichen Vertreters der Chancelloriiden plädieren die Paläontologen dafür, den Fall dieser rätselhaften Tiere und ihrer Position im Stammbaum neu aufzurollen. Denn sollte sich bestätigen, dass sie doch zu den Schwammvorfahren gehören, könnten diese Urzeit-Tiere wertvolle Einblicke in die frühe Evolution dieser Tiergruppe bieten. Wir sagen nicht, dass der Fall für die Chancelloriiden abgeschlossen ist“, betont Harvey. „Aber wir hoffen, dass unsere Ergebnisse neue Forschungen zur Natur der frühesten Tiere anstoßen werden.“

Quelle: Pei-Yun Cong (Yunnan University, Kunming) et al., Proceedings of the Royal Society B, doi: 10.1098/rspb.2018.0296

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