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Fontanes Wasserwelt

Reizvolle Regionen

Fontanes Wasserwelt
Foto: Andreas Vitting /Mauritius Images

Gerade mal eine gute Autostunde von Berlin entfernt liegt das Ruppiner Land. Es ist die Heimat von Störchen, Bibern, Fischottern – und von Theodor Fontane, der die Seenlandschaft im 19. Jahrhundert zu Fuß und mit dem Blick des Dichters erkundet hat.

Text: Sigrid Krügel

Routiniert rudert Martina Bauchrowitz das Boot über den Stechlinsee. Eins, zwei, eins, zwei, noch wenige Meter, dann legen wir an. Vom Ufer aus erinnert das Gebilde mitten im See an eine kleine Ölplattform. Erst beim Näherkommen erkennt man die Ansammlung kreisrunder Zylinder. Das Seelabor! Eine Konstruktion aus 24 Röhren, jede hat neun Meter Durchmesser und reicht 20 Meter in die Tiefe – bis auf den Grund. „Über fünf Millionen Euro hat die Anlage gekostet, 2012 wurde sie eingeweiht“, erzählt die Biologin des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Wissenschaftler lassen hier Sommerstürme toben und simulieren das Himmelsleuchten, um die Auswirkungen auf das Ökosystem See und seine Bewohner zu studieren. In wenigen Tagen startet der nächste Versuch. Menschen wuseln auf der Plattform durcheinander. Schläuche werden verlegt, Pumpen installiert.
Wie entwickeln sich Binnengewässer, die miteinander durch Flüsse oder Kanäle verbunden sind, wollen die Forscher des Seelabors wissen. Wie schnell und in welcher Konzentration werden Algen zum nächsten See weitertransportiert oder Huminstoffe, die starker Regen aus den Böden wäscht und die das Wasser braun werden lassen wie eine Tasse Tee? Der Klimawandel rüttelt an alten Gewissheiten. „Wir wollen die generellen Mechanismen herausfinden.“ Denn längst steht fest: „Der See verändert sich sehr stark.“

Seelabor im Stechlinsee; Foto: Martin Oczipka

Der einzige Ort in unmittelbarer Nähe ist Neuglobsow, staatlich anerkannter Erholungsort mit knapp 300 Einwohnern und Strandbad.  Das klare Wasser macht den Stechlinsee zu einem beliebten Badesee, den Fischbestand dominieren Kleine Maräne, Barsche, Plötze und Ukelei. Vor einigen Jahren haben Forscher des IGB zudem nachweisen können, dass eine besondere Form der Kleinen Maräne, die in tieferem Wasser lebt, eine eigene neue Fischart ist. Sie haben sie nach dem berühmtesten Sohn der Region Fontane-Maräne (Coregonus fontanae) benannt.

Auf den Spuren des Dichters

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An Theodor Fontane kommt im Norden Brandenburgs niemand vorbei. Es gibt Fontane-Wanderwege, Fontane-Radtouren, Fontane-Festspiele und einen Fontane-Marathon. Vor 200 Jahren in Neuruppin geboren, nur 30 Kilometer vom Großen Stechlinsee entfernt, hat er nicht nur seinen letzten Roman nach dem See benannt („Der Stechlin“). 1858 fasste er den Entschluss, das damalige Kurfürstentum Brandenburg zu Fuß und mit der Postkutsche zu bereisen. Fast 30 Jahre dauerte es, bis der letzte Satz geschrieben war. „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ hat Theodor Fontane sein monumentales Werk genannt. Fünf Bände, 2500 Seiten. Als Reiseführer denkbar ungeeignet. Zu dick, zu schwer. Aber ein Stück Zeitgeschichte: „Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheimnisvoll, einem Stummen gleich, den es zu sprechen drängt“, beschreibt Fontane den Großen Stechlinsee darin. „Kein Boot, kein Vogel; auch kein Gewölk. Nur Grün und Blau und Sonne.“ Bereits 1938 wurde das Gebiet, in dem mittendrin der Stechlinsee liegt, Naturschutzgebiet.
Das hat die frühere DDR-Regierung freilich nicht gehindert, auf der Landenge zwischen Stechlinsee und dem benachbarten Nehmitzsee das erste deutsche Atomkraftwerk zu bauen. 1966 ging das AKW Rheinsberg in Betrieb, kurz nach der Wiedervereinigung wurde es stillgelegt. Das Kühlwasser haben die Ingenieure 24 Jahre lang aus dem Nehmitzsee bezogen – fast 300 Millionen Liter täglich – und rund zehn Grad wärmer in den Stechlinsee geleitet. Ein „gewässerökologisches Großexperiment mit ungewissem Ausgang“ sagen die Leute vom Leibniz-Institut ironisch. „Der See hat sich im Laufe der Jahre um 1,5 Grad Celsius erwärmt“, erklärt Martina Bauchrowitz. Als das Kernkraftwerk 1990 stillgelegt wurde, erholten sich die Wasserwerte, aber leider nicht für lange. Durch den Klimawandel sind sie wieder gestiegen und haben einen neuen Höchststand erreicht.
Im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land, zu dem das Naturschutzgebiet Stechlin gehört, haben sie derweil mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen. Seit 23 Jahren fährt Rangerin Anke Rudnik hier Streife. Sie zählt seltene Orchideen, sucht Bäume, auf denen der geschützte Eremit, auch Juchtenkäfer genannt, lebt und muss zwischen Bauern und Bibern vermitteln. Auf einer Tour durch den Naturpark will Anke Rudnik uns die dichten Buchenwälder und einsamen Badestrände zeigen, die Dämme des fleißigen Bibers und das unheimliche Moor.

Durch Wald und Moor

Wir starten am Naturparkhaus, dort beginnt ein Moorlehrpfad, der auf zwölf Kilometern im großen Bogen um den Roofensee führt. Oh schaurig ist’s, übers Moor zu gehen, hat Fontanes Schriftstellerkollegin Annette von Droste-Hülshoff gedichtet. Doch der hölzerne Steg trägt uns sicher zum „Großen Barschsee“, einem sogenannten Moorauge. Es ist der kleine Rest eines einstmals großen Sees, der durch Verlandung immer kleiner wurde, erklärt die Rangerin. Seinen Namen verdankt das Moorauge den Fischen, die darin schwimmen. „Aber sie werden nicht groß, weil das Wasser so sauer und nährstoffarm ist.“ Bonsai-Barsche, auf die jeder Angler gerne verzichtet. 50 Jahre alt und immer noch so klein wie ein Goldfisch. Der Boden um solche Mooraugen ist meist extrem feucht. Man könnte jederzeit versinken und als Moorleiche konserviert werden. Im Ernst? „Ja klar! Wenn Sie hier reingehen“, zeigt Anke Rudnik auf die unscheinbare grüne Fläche vor uns, „und kräftig rumzappeln, sinken sie durch Ihr Eigengewicht immer tiefer ein.“ Zur Strafe im Moor versenkt – das Menzer Kirchenbuch kennt etliche solche Fälle.

Die Rangerin lässt den Blick schweifen, runzelt die Stirn. Rechts von uns hat sie Blaubeerbüsche entdeckt. „Die dürften hier nicht Fuß fassen.“ Offenbar gibt es im Moor bereits einige zu trockene Stellen. Die Natur hat sich kaum von dem trockenen Sommer 2018 erholt – und schon wieder gibt es viel zu viele heiße Tage. Dabei brauchen wir das Moor in Zeiten des Klimawandels so dringend! „Es ist Wasser- und Nährstoffspeicher, es bindet Kohlendioxid.“

Noch gibt es genügend Wasser im regenarmen Ruppiner Land. Aber auch dort wird es weniger. „Die Tümpel trocknen uns aus“, erzählt Anke Rudnik. Mit ihnen verschwinden das Wassergeflügel und die Amphibien. „Es ist ein Trauerspiel.“ Kein Regen, kein Schnee, und nun der dritte trockene Sommer. Am Schwarzen See muss die Rangerin grinsen. Gleich dahinter liegt der Große Zechliner See, erzählt sie. „Da kriechen wir in der Dämmerung durch den Busch und zählen Singschwäne.“ Am Wummsee gerät sie ins Schwärmen. „Das ist ein Klarwassersee von unglaublich hoher Qualität.“ Je nach Sonnenstand glitzert er von Grün bis Azurblau. Am Roofensee besichtigen wir die Menzer Staufstufe. Das unscheinbare Brettchen im Kanal hat Auswirkungen auf 850 Hektar Land. Roofensee, Teufelssee, Nehmitzsee, Stechlinsee – überall wird der Wasserstand im Rahmen eines von der EU geförderten Projektes durch die Staustufen hier und an zwei anderen Stellen angehoben. Dadurch steigt nicht nur das Wasservolumen der Seen, sondern auch deren Selbstreinigungskraft.

Auch Wölfe gibt es im Naturpark. Zwei Rudel. Kollegen haben sie gesichtet. Hat sie jetzt Angst, gefressen zu werden? Die Rangerin schüttelt den Kopf. „Was soll der Wolf mit uns: Wir sind krank, nehmen Medikamente, sind meistens zu fett, stinken nach Parfüm und schmieren uns mit Creme ein. Da fängt er sich doch lieber ein schönes Wild.“ Der Schäfer aus dem Wolfsgebiet habe dank zweier Herdenschutzhunde keine Probleme. Klagen gebe es eher von Hobbyschäfern. „Die sind auf den Wolf noch nicht eingestellt.“ Nicht nur der Wolf, etliche Tierarten sind zurück in Brandenburg, erzählt die Rangerin stolz. Die Bestände von Kranich und Silberreiher, Biber und Fischotter, See- und Fischadler steigen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: „Es sind nur noch 30 Prozent der seltenen Amphibien da.“ Die Trockenheit saugt das letzte Wasser aus ihren Laichplätzen. Und mit ihnen verschwinden die Störche.

Verfressene Jungstörche

Sie wollen wir auf unserem letzten Teil der Reise durchs Ruppiner Land suchen. Am Rande des Naturparks, im Storchendorf Linum, kommen auf 750 Einwohner 16 Storchennester. Unser Ziel ist ein gelbes Gebäude in der Nauener Straße. Seit 1991 engagiert sich der Nabu Berlin für die Linumer Teichlandschaft mit 36 Teichen, von denen nur noch ein kleiner Teil der Fischzucht dient. Das Naturschutzzentrum „Storchenschmiede“ beherbergt Ausstellungen, Büros, ein Café und einen Laden, in dem regionale Produkte verkauft werden. Seit Mai leitet Lisa Hörig das Haus kommissarisch. Auch auf dem Schornstein der Storchenschmiede brütet ein Storchenpaar, eine Webcam zeigt Livebilder vom Dach.

Störche auf dem Dach der „Storchenschmiede“ Bild: NABU / Storchendorf Linum

Mit Fernglas und Spektiv ausgestattet, machen auch wir uns auf den Weg. Schmale Pfade führen zwischen den Teichen hindurch. An einigen Stellen wurden hölzerne Beobachtungstürme eingerichtet. Es ist Mittagszeit und viel zu heiß, die Vogelwelt schläft. Immer wieder stoßen wir auf Biberrutschen – Wege aus und in die Teiche, die der Nager sich geschaffen hat. Vor uns schwirrt eine Blutrote Heidelibelle durchs Schilf, Moorfrösche platschen neben uns ins Wasser. In dem Wäldchen vor uns hat ein Fischadler sein Nest gebaut und zieht drei Junge groß, erzählt Lisa Hörig.
Nach ein paar Hundert Metern haben wir die Brutinsel der Seeschwalben erreicht. Gespannt zählt Hörig den Nachwuchs durch: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs!“ Ein halbes Dutzend Jungvögel. „Das ist die zweite Brut“, erklärt die Biologin. Die erste hat der Waschbär sich geholt. Trotz des Elektrozauns rund um die kleine Insel. „Entweder er hat ein Schlupfloch gefunden oder der Strom ist ausgefallen.“ Man weiß es nicht.  Auch der Marderhund holt sich Eier und Jungvögel aus den Nestern. „Das Ökosystem ist auf diese nichtheimischen Tiere noch nicht eingestellt.“ Dennoch ist die Linumer Teichlandschaft nach wie vor ein Vogelparadies. Beutelmeise und Drosselrohrsänger können hier beobachtet werden, Schellente und Haubentaucher. Auch Eisvögel fischen hier. Insgesamt fast 200 Arten. Und erst kürzlich wurde ein Seggenrohrsänger im Schutzgebiet entdeckt.
Theodor Fontane hat sich übrigens wenig für Vögel interessiert. Für ihn war Linum nur eine Erwähnung wert – als Ort, an dem Prinz Friedrich von Hessen-Homburg die Schweden besiegte, die in die Mark Brandenburg eingefallen waren. So wie heute die rund 40 000 Touristen, die hier im Herbst mit dem Fernglas auf Kranichjagd gehen. Die Glücksvögel sind keine Opfer, sondern Nutznießer der Landwirtschaft rund um Linum. Seit den 90er Jahren kommen sie hierher. Das Teichgebiet gehört mittlerweile zu den größten Rastplätzen in Europa und ist eine der größten Touristenattraktionen.

Der vollständige Text erschien in der Ausgabe natur 10/19, welche Sie hier bestellen können.

 

Tipps fürs Ruppiner Land

Der perfekte Einstieg
Zum Start in die Ferien empfiehlt sich der Besuch des Naturparkhauses in Menz. Nicht nur Kinder lieben die Erlebnisausstellung, in der sie mit einem Igel telefonieren oder durch die Augen einer Libelle schauen können. Im Schau- und Sinnesgarten gibt es eine Wurm-WG und man kann einen „Erlebnis-Rucksack“ mit Fernglas, Becherlupe und vielen anderen Dingen, die der kleine Entdecker braucht, ausleihen, um für den Wald- und Wassererlebnispfad gerüstet zu sein. Wer an den Originalschauplätzen die Sagen vom Roten Hahn im Stechlin oder der Mordbuche und andere Legenden hören möchte, bekommt hier die Wegbeschreibung und das Hörspielequipment für die Naturpark-Tour „Landschaft zum Hören“ – eine 30-Kilometer-Radrundfahrt zu den sagenumwobenen Plätzen der Menzer Heide.

Gute Nacht
Gruppenbild mit Ziegen: Bei Monique Haegele  können die Feriengäste Sattelschweine erleben und Hühner, die grüne Eier legen, kennenlernen. Familie Haegele ist Mitglied bei der Gesellschaft für alte und gefährdete Haustierrassen. In dem schönen alten Dreiseitenhof gibt es acht Ferienwohnungen in verschiedenen Größen. Die Produkte des Betriebs werden im eigenen Hofladen verkauft.

Mit dem Kajak auf dem Rhin
180 Seen gibt es im Ruppiner Land, das direkt an die Mecklenburger Seenplatte angrenzt. Entsprechend groß ist das Angebot an Bootsverleihern. Empfehlenswert ist auch eine Kajaktour auf dem schmalen Rheinsberger Rhin – in vier bis fünf Stunden von Rheinsberg bis Zippernförde. Die Saison geht vom 15. Juni bis 31. Oktober.

Frischer Fisch
Die Kleine Maräne ist im Gegensatz zu ihrer noch kleineren Schwester, der Fontane-Maräne, nicht geschützt und beim Fischer vom Stechlinsee besonders frisch. Es gibt sie gebacken, geräuchert und sauer eingelegt.

Wildwuchs
Beim Urlaub im Ruppiner Land darf ein Abstecher in Fontanes Geburtsstadt nicht fehlen. Wer nach dem Besuch des Museums hungrig ist: Direkt gegenüber haben Jahnavi Seydlitz und Ulrike Lehmann ihr veganes Café-Restaurant Wildwuchs eröffnet. Die meisten Zutaten stammen vom Aulenhof Pabstthum, der nach den Prinzipien der Permakultur arbeitet. Einziges nicht-veganes Angebot: der Ziegenkäse, der ebenfalls vom Aulenhof stammt.

Unbedingt mitnehmen!
Die Zahl der Reiseführer aus dem Ruppiner Land ist überschaubar, umso erfreulicher, dass einer der wenigen absolut empfehlenswert ist: der „Wegbegleiter“ von Joachim Nölte. In fünf Kapiteln berichtet der Autor über die Fontane-Stadt Neuruppin, die Ruppiner Schweiz, den Naturpark Stechlin-Ruppiner Land, Rheinsberg und seine Seenkette und das Rhinluch. Ergänzt durch Orientierungskarten und Fotos sowie kleine Geschichten wie der von Luise Hensel, im Storchendorf Linum geboren und Dichterin des berühmten Schlafliedes: „Müde bin ich, geh zur Ruh“.
Joachim Nölte: Seenland Ruppin. Ein Wegbegleiter. terra press. 200 Seiten, 14,80 €

Weitere Adressen:
www.stechlin-ruppiner-land-naturpark.de
www.ruppiner-reiseland.de
www.seelabor.de / www.igb-berlin.de
www.storchenschmiede.de

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