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Revolution im Erdreich

Erde|Umwelt

Revolution im Erdreich
Der Boden lebt: Statt der erwarteten Humusstoffe gibt es darin massenhaft Bakterien und Pilze. Und das hat großen Einfluss auf das Weltklima.

Sie trafen sich in einem abgeschiedenen ehemaligen Kartäuser-Kloster in der Schweiz: eine bunte Truppe aus 15 renommierten Bodenkundlern, Mikrobiologen und Geochemikern, die jahrelang in ihren Laboren und draußen im Feld gemessen und gewerkelt hatten. Und immer wieder über ihre Resultate gestaunt hatten. Sie wussten: Sie und andere Kollegen weltweit hatten Hunderte wichtige Ergebnisse im Säckel. Es war Zeit für eine Bestandsaufnahme, damals im Oktober 2009.

„Wir fühlten uns wie in einer wissenschaftlichen Midlife-Crisis“, erinnert sich Michael Schmidt von der Universität Zürich, der die Klausur organisiert hatte. Es fehlte das große Ganze, der Fingerzeig für die Zukunft. Trotzdem sollten die Puzzleteile zu einem fundamental neuen Bild der Bodenchemie zusammengefügt werden. Oder besser gesagt: der Boden-Biochemie. Die Frage lautete: Was passiert wann und wie im Boden mit den gigantischen Mengen Kohlenstoff, der weitgehend aus abgestorbenen Pflanzen und anderen Lebewesen stammt?

Binnen Tagen erwuchs die neue Botschaft ganz von selbst: Dieser organische Kohlenstoff ist weit weniger stabil in der Krume gebunden, als die Bodenkundler immer dachten. Er wird im Gegenteil meist binnen Wochen bis Monaten umgesetzt, abhängig von den Umweltbedingungen im Boden. Da unten ist, chemisch und biologisch gesehen, jede Menge los – und was da abläuft, ist gar nicht so simpel.

„Vor allem Bakterien und Pilze sind wichtig“, resümiert Georg Guggenberger, Chef des Instituts für Bodenkunde der Leibniz-Universität Hannover, einer der Klausur-Teilnehmer. Sie produzieren aus den organischen Kohlenstoffverbindungen beispielsweise Kohlendioxid und Methan – beides prominente Treibhausgase, die aus der Erde in den Himmel entweichen können.

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Mehr noch: Höhere CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre heizen die CO2-Produktion im Untergrund zusätzlich an. Ginge es nach den Bodenkundlern, müssten die Prognosen zur Erderwärmung völlig umgeschrieben werden: Sie könnte wesentlich schneller ablaufen als bisher gedacht. Der Treibhauseffekt würde durch einen zusätzlichen Motor angetrieben. „Was unter unseren Füßen mit dem Kohlenstoff passiert“, sagt Guggenberger, „zieht erst langsam in die Modelle zur Erderwärmung ein.“

AUFBRUCH IN HANNOVER

Dass die Geldgeber der Forschung das Problem erkannt haben, deutet der neue bodenkundliche Campus in Hannover an, der direkt neben den malerischen Herrenhäuser Gärten gelegen ist. Zwar muss sich Exil-Bayer Guggenberger derzeit mit einem Container-Büro begnügen – die alten Gebäude des Geländes werden saniert. Doch eines der Laborhäuser ist schon fertig. Hier analysiert sein Team mit einem millionenschweren Maschinenpark neuesten Zuschnitts bis in den Bereich eines Millionstel Milligramms, was mit dem Kohlenstoff im Boden passiert. Der Rohstoff stammt aus Afrika, Brasilien oder Sibirien, auch aus permanent gefrorenen Gebieten (Permafrost). Das Kohlenstoff-Problem ist ein globales.

Hightech-Methoden wie in Hannover ließen zunächst zwei Dogmen der Bodenkundler wie Eisen im Hochofen schmelzen. Das erste: Jahrzehntelang hatten die Experten angenommen, allein die molekulare Struktur der pflanzlichen Biomasse würde bestimmen, was wie schnell mit dem Kohlenstoff im Boden passiert. Lignin etwa – ein Molekül, das für die Verholzung sorgt – oder bestimmte Fette galten nach dem Tod von Pflanzen als kaum abbaubar. „Dann haben wir gesehen: Nur wenig Lignin und wenige Fette bleiben unverändert“, beschreibt es Michael Schmidt. „Wenn wir viel Lignin im Ausgangsmaterial hatten“, ergänzt Guggenberger, „dann haben wir auch viel Lignin im Boden erwartet.“ Irrtum! Das Lignin wurde abgebaut. Andere Stoffe wie Zucker indes entgingen zuweilen wider Erwarten jahrzehntelang jeglicher Umsetzung.

Das zweite geschmolzene Dogma: Beim Abbau organischer Substanz sollten als Endprodukte Humusstoffe wie Huminsäuren entstehen, die den Kohlenstoff dauerhaft binden und stabile Verhältnisse sichern. Doch mit den neuen exakten Verfahren fanden die Forscher keine solchen Substanzen, berichtet der Hannoveraner. Dass man sie früher fand, schiebt er auf die alten Analysemethoden, sie hätten „Labor-Artefakte“ produziert. Humusstoffe wären demnach nichts als eine Legende, die auch manche Lehrbücher verbreiten.

RiesigER KOHLENSTOFF-SPEICHER

Somit ist die Vorstellung vom stabilen Kohlenstoff im Boden dahin – und die Annahme passé, die Freisetzung von Treibhausgasen aus dem Untergrund sei leicht abzuschätzen oder gar zu vernachlässigen. Von der „Black Box“ Boden ist plötzlich die Rede. Und das angesichts eines gewaltigen Reservoirs: Der Boden weltweit birgt in Form verschiedener Moleküle (inklusive des CO2) gut dreimal so viel Kohlenstoff wie die Atmosphäre und doppelt bis dreimal so viel Kohlenstoff wie die überirdische Vegetation.

„Wenn nur zehn Prozent des unterirdischen Kohlenstoffs entweichen würden, hätten wir einen Kohlendioxid- Anstieg von 30 bis 40 Prozent in der Atmosphäre“, macht Guggenberger die Dimensionen und die potenzielle Gefahr deutlich. „Schon kleine Veränderungen des Kohlenstoff-Speichers im Boden bewirken relativ große Veränderungen des CO2-Gehalts der Atmosphäre.“ Himmel und Erde hängen untrennbar zusammen.

Erst allmählich begreifen die Forscher, was in den etwa 25 offiziell geführten Basis-Bodentypen mit dem Kohlenstoff biologisch und chemisch passiert und wie die Krume selbst die Prozesse beeinflusst. In ihrer Kloster-Klausur haben die 15 Forscher die wesentlichen Faktoren in der weltweiten Boden-Umwelt aufgelistet. Ein wichtiger Punkt: Der Boden ist prinzipiell aufgebaut wie eine Wüste mit eingesprenkelten Oasen. Der größte Teil ist zu nass oder zu trocken. Ungünstig für die Bakterien, die organischen Kohlenstoff verwerten: Zu viel Feuchtigkeit hemmt den Abbau der Biomasse, im Trockenen verweigern Bakterien und Pilze ihren Dienst. Je tiefer die Forscher in den Boden graben, umso seltener treffen sie auf Oasen. Trotzdem ist in großer Tiefe, sagt Schmidt, „die absolute Menge des Kohlenstoffs sehr groß“. Zwei Fakten, die lange ignoriert wurden.

Wichtige Wurzeln

Die Verteilung der Oasen beeinflusst die Umsetzung des Kohlenstoffs. Sie unterscheidet sich von Bodentyp zu Bodentyp und kann selbst innerhalb eines begrenzten Standorts stark variieren. Wichtig ist auch, wie die organische Substanz im Boden vorliegt. Haftet sie den mineralischen Partikeln im Boden an oder ist sie gar von derlei Partikeln eingeschlossen, wird sie weitaus schwerer und langsamer abgebaut. Die Mineralien wiederum können aufgelöst werden von Stoffen, die die Wurzeln der Pflanzen abgeben – ein Prozess, dessen Bedeutung erst jüngst erkannt wurde.

Zudem müssen die Forscher die Architektur des Bodens verstehen, den sie inzwischen sogar mit Computertomografen durchleuchten. „Sie müssen sich vorstellen, dass es da unten Millionen Strukturen gibt, die sich in Nuancen unterscheiden“, sagt Georg Guggenberger. Die genauen Prozesse in den globalen Böden zu beschreiben, kommt einer Sisyphus-Arbeit gleich – selbst mit den Hightech-Methoden dieser Tage. „Was die Mikroorganismen machen, wissen wir längst noch nicht“, bedauert der Hannoveraner. Nur maximal fünf Prozent aller Arten von Bodenbakterien sind bisher überhaupt bekannt.

Begaste Buscheichen

Sorgen bereitet den Experten auch ein Effekt, den sie „Priming“ nennen: US-Forscher beobachteten ihn bei einem Langzeitexperiment in der Nähe des Kennedy Space Center in Florida – auf einem Boden, der mit Buscheichen bewachsen war. Sie hatten um einzelne Bäume eine oben geöffnete Hülle aus Plastik gespannt und kontinuierlich Kohlendioxid um die Blätter gepumpt – in einer so hohen Konzentration, wie sie in etwa 70 Jahren in der Atmosphäre erwartet wird. Immer wieder hoben die Wissenschaftler drei Meter tiefe Bodenproben um die Bäume aus. Nach elf Jahren war die Analyse fertig. Ergebnis: Zum einen hatten die Bäume mehr CO2 aufgenommen und waren stärker gewachsen als Bäume in derselben Gegend, die man nicht mit dem Gas angepustet hatte. Zum anderen, völlig unerwartet, war die Kohlenstoff-Menge im Boden um die Test-Bäume um 15 Prozent gesunken.

Die Erklärung: Die Mikroorganismen im Boden hatten ein üppigeres Mahl als üblich vorgesetzt bekommen. Je mehr Nährstoffe die Pflanzen – angefacht durch die opulente CO2-Versorgung – produzierten, desto mehr organische Verbindungen hatten sie abgegeben. Diese wurden wiederum von den Einzellern in Kohlendioxid und Methan umgesetzt und waren in die Atmosphäre entwichen. So verlor der Boden den zuvor gebundenen Kohlenstoff.

Jüngst haben Kees van Groenigen vom Trinity College Dublin und seine Kollegen 49 internationale Studien in einer Meta-Analyse neu bewertet. In den Experimenten hatten Forscher in verschiedenen Boden-Typen – in Waldboden, Grasland, Feuchtboden und Feldern – ermittelt, wie sich eine erhöhte atmosphärische CO2-Konzentration auf die Produktion der Treibhausgase Methan und Lachgas auswirkt. Das Ergebnis ist eindeutig: Je mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre ist, desto mehr Treibhausgas wird im Boden hergestellt und wieder abgegeben – aus allen Böden Lachgas, aus feuchten und nassen Böden vor allem Methan.

ZEITBOMBE PERMAFROST

Einen ähnlichen Effekt haben Forscher im Permafrost beobachtet, der durch die Erderwärmung in den Sommermonaten zunehmend auftaut. „Da tickt eine Zeitbombe“, ist Guggenberger überzeugt, „die wir nicht entschärfen können.“ In den entstehenden kleinen Seen werden die Mikroorganismen aktiv und stellen aus dem organischen Kohlenstoff Treibhausgase her. Hält man über diese Seen einen brennenden Zweig, gibt es eine Stichflamme wegen des Methans. „Wir müssen unbedingt herausfinden, wie groß das Problem ist“, sagt Guggenberger, „und unter welchen Bedingungen die Methan-Produktion anläuft.“ Der Experte beklagt: „Insgesamt verlieren wir weltweit leider Gottes mehr Kohlenstoff aus dem Boden als wir reinbekommen.“

Dies gilt besonders dann, wenn der Boden bewirtschaftet wird. Allerdings kommt es auch darauf an, wie die Bauern die Krume bestellen. Denn je mehr man den Boden stört, desto mehr belüftet man ihn, und desto stärker werden die mineralischen Aggregate zerschlagen, die mit dem organischen Kohlenstoff verbunden sind. Das fördert die Zersetzung durch Bakterien.

„Für das Klima ist es wichtig, die bakteriellen Prozesse im Boden möglichst auf Sparflamme zu halten“, betont der Hannoveraner Bodenkundler. Diesem Ziel kämen die Landwirte näher, wenn sie darauf verzichten würden, den Boden zu pflügen: „Das würde schon einiges bringen.“ ■

KLAUS WILHELM war sehr erstaunt, was im Boden unter unseren Füßen abgeht – und dass sich kaum jemand dafür interessiert.

von Klaus Wilhelm

Kompakt

· Wenn der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft steigt und das Pflanzenwachstum ankurbelt, entweicht Kohlenstoff aus dem Boden und verstärkt die Klimaerwärmung.

· Auch andere Treibhausgase wie Lachgas und Methan werden aus dem Erdreich frei, wenn mehr CO2 in der Luft ist.

· Hinter diesen Effekten stecken Mikroorganismen, deren Rolle bisher weit unterschätzt wurde.

Das neue Bild vom Boden

Nach überlieferter Vorstellung ist die molekulare Struktur des jeweiligen Bodentyps verantwortlich für den Kohlenstoffkreislauf im Boden (1). Doch nach neueren Erkenntnissen spielen reaktionsträge Humusstoffe (2) eine untergeordnete Rolle für diese Prozesse. Stattdessen müssen Folgen von Wald- und Steppenbränden (3), Absonderungen von Wurzeln (4), die räumliche Verteilung etwa von feuchten und trockenen Stellen (5) und der tief im Boden gelagerte Kohlenstoff (6) mit einbezogen werden. Auftauende und wieder gefrierende Permafrostböden (7) spielen eine Sonderrolle. Und bei allem sind Boden-Mikroorganismen (8) involviert.

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