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Sahelanthropus ging aufrecht – aber kletterte auch

Erde|Umwelt

Sahelanthropus ging aufrecht – aber kletterte auch
Fortbewegung
Der Sahelanthropus kletterte auf Bäumen umher, konnte aber auch schon aufrecht gehen. © Sabine Riffaut, Guillaume Daver, Franck Guy / Palevoprim / CNRS – Université de Poitiers

Auch wenn die frühen Vormenschen den Menschenaffen äußerlich noch ziemlich ähnlich sahen – in einem Punkt zeigten sie deutliche Unterschiede: in ihrer Bewegungsweise. Denn ihre Beine, Hüften und Füße waren schon daran angepasst, zumindest zeitweise aufrecht auf zwei Beinen zu gehen. Jetzt präsentieren Paläoanthropologen neue Hinweise darauf, dass schon die frühesten Vertreter der Homininen diesen aufrechten Gang beherrschten. Belege dafür liefern Analysen von sieben Millionen Jahre alten Bein- und Armknochen des Vormenschen Sahelanthropus tchadensis. Sie sprechen dafür, dass dieser zwar noch viel Zeit kletternd und hangelnd auf Bäumen verbrachte, aber auch schon häufiger auf zwei Beinen lief.

Der aufrechte Gang gilt als eines der prägenden Merkmale des Menschen und seiner direkten Vorfahren. Das Laufen auf zwei Beinen unterscheidet uns bis heute von unseren engsten Verwandten, den Schimpansen, die vorwiegend auf allen Vieren unterwegs sind. Doch bisher ist unklar, wann sich der aufrechte Gang bei unseren frühen Vorfahren entwickelt hat. Fossilien der Vormenschengattung Australopithecus belegen, dass die Füße dieser vor gut drei Millionen Jahren lebenden Vertreter der Homininen bereits klar an das zweibeinige Laufen angepasst waren – obwohl diese Vormenschen auch noch einen Teil ihrer Zeit auf den Bäumen verbrachten. Beinknochen von noch früheren Vormenschenformen wie Ardipithecus und dem vor rund sechs Millionen Jahren lebenden Orrorin legen nahe, dass auch sie zumindest ab und zu zweibeinig durch die Landschaft liefen. Damit rückt die Entwicklung des aufrechten Gangs schon relativ nahe an die Aufspaltung der Stammeslinien von Mensch und Schimpanse heran, die vor sieben bis acht Millionen Jahren stattfand.

Sahelanthropus-Knochen
Oberschenkel- und Unterarmknochen des Sahelanthropus. © Franck Guy / PALEVOPRIM / CNRS – University of Poitiers

Wie bewegte sich Sahelanthropus?

Noch näher kommen dem nun neue Indizien dafür, dass auch einer der frühesten bekannten Vertreter der Homininen, der Sahelanthropus tchadensis, schon aufrecht gehen konnte. Erste Fossilien dieses vor rund sieben Millionen Jahren lebenden Vormenschen wurden 2001 im Tschad entdeckt. Wissenschaftler bargen damals einen fast vollständigen Schädel, Kiefer und mehrere einzelne Zähne dieser Spezies. Schon damals lieferte die Lage des Hinterhauptslochs am Schädel erste Hinweise darauf, dass dieser Vormensch nicht auf vier Beinen lief, sondern meist eine aufrechte Körperhaltung einnahm. Die Öffnung, die den Kopf mit der Wirbelsäule verbindet, lag bei diesem Fossil relativ weit vorn und mittig unter dem Schädel, während sie bei vierbeinig laufenden Säugetieren typischerweise weiter hinten liegt. Ohne Fossilien von Beinen oder Füßen blieb es aber umstritten, ob der Sahelanthropus wirklich schon aufrecht lief oder vielleicht nur viel in aufrechter Haltung kletterte und hangelte.

Jetzt könnten weitere höchstwahrscheinlich vom Sahelanthropus stammende Fossilien das fehlende Puzzlestück geliefert haben. Es handelt sich um einen Oberschenkelknochen und zwei Ellen (Ulna) aus dem Unterarm von Sahelanthropus, die an der gleichen Fundstätte wie der Schädel gefunden worden waren, aber zunächst nicht zugeordnet werden konnten. Erst 2009 ergaben vergleichende Analysen, dass sie wahrscheinlich ebenfalls vom Sahelanthropus tchadensis stammen. Diese drei Knochen haben nun Guillaume Daver von der Universität von Poitiers in Frankreich und seine Kollegen gezielt auf Merkmale hin untersucht, die Auskunft über die Bewegungsweise dieses Vormenschen geben können.

Beinknochen zeigen Spuren des aufrechten Gangs

Die Untersuchung des Oberschenkelknochens ergab, dass seine obere Partie leicht abgeflacht und nach vorne ausgerichtet ist – dies gilt als typisch für aufrechtgehende Wesen. Die Ansatzstellen des für den aufrechten Gang wichtigen großen Gesäßmuskels, Gluteus maximus, sind zudem relativ robust und ähneln darin den unsrigen, wie die Forscher berichten. In ihren Analysen der Knochendichte von virtuellen Femurquerschnitten zeigten sich zudem leichte Verdickungen an den Stellen, die beim aufrechten Gehen stärkeren seitlichen Kräften ausgesetzt sind. „Die hominin-ähnliche Dichteverteilung des Oberschenkelknochens stützt die Annahme, dass das individuelle Bewegungsmuster von Sahelanthropus tchadensis auch den zweibeinigen Gang umfasste“, schreiben Daver und seine Kollegen. „Auf Basis mehrerer Indizien schlussfolgern wir, dass der im Tschad entdeckte Beinknochen Merkmale für einen habituellen Bipedalismus zeigt.“ Mit anderen Worten: Sahelanthropus lief zumindest einen Teil seiner Zeit schon aufrecht.

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Ein etwas anderes Bild zeichnen allerdings die Armknochen dieses Vormenschen. Die gekrümmte Form der Elle und die Morphologie des Ellenbogens legen nahe, dass Sahelanthropus oft kletternd und hangelnd unterwegs war. „Die Ulnae zeigen eine Reihe morphologischer Merkmale, die für ein erhebliches arboreales Verhalten sprechen“, berichten die Forscher. Sahelanthropus muss sich demnach noch einen großen Teil seiner Zeit auf Bäumen aufgehalten haben. Dazu passt, dass dieser Vormensch in einer Umgebung lebte, in der sich Waldgebiete, Savanne und Feuchtwiesen mit Gewässern abwechselten. „Die Homininen aus dem Tschad konnten dadurch sowohl in den Bäumen wie am Boden nach Futter suchen und Wasserressourcen aufsuchen“, erklären Daver und seine Kollegen. Dies könnte es dem Sahelanthropus und den nach ihm kommenden Vormenschen ermöglicht haben, eine eigene ökologische Nische zu besetzen und sich so erfolgreich weiterzuentwickeln. Im Laufe der Zeit hielten sich die Vormenschen dann immer weniger auf Bäumen auf und passten sich immer besser an den zweibeinigen Gang an.

Quelle: Guillaume Daver (CNRS, Université de Poitiers) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04901-z

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