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SAURER, WÄRMER, ARTENÄRMER

Erde|Umwelt

SAURER, WÄRMER, ARTENÄRMER
Der Klimawandel wird das Gesicht der Weltmeere völlig verändern. Fische und Fischer bekommen den Beginn der globalen Umwälzungen bereits zu spüren.

SORGENVOLL KOMMENTIERT Jeremy Mathis von der Universität in Fairbanks das Resultat seiner letztjährigen Forschungsfahrt durch den Golf von Alaska. Der Assistant Professor für Chemische Ozeanographie und seine Arbeitsgruppe hatten auf See fleißig Wasserproben gesammelt. Das Ergebnis: „An allen Entnahmestellen in den küstennahen Gewässern Alaskas gab es Anzeichen für zunehmende Versauerung. Das kann vernichtende Auswirkungen auf unsere kommerzielle Fischerei haben. Und dieses Problem wird uns bereits im kommenden Jahrzehnt beschäftigen, nicht erst im kommenden Jahrhundert.”

Zum einen identifizierte Mathis Seegebiete, wo als Folge der Versauerung die Konzentration an Carbonat-Ionen (CO32-) – dem Rohstoff für den Aufbau von Kalkschalen – so niedrig lag, dass Muscheln und andere Meeresbewohner seiner Überzeugung nach bald keine stabilen Schalen mehr bilden können. Die zweite prekäre Erkenntnis: Auch Fische dürften unter Druck geraten, weil es künftig durch den Carbonat-Mangel wohl immer weniger Flügelschnecken gibt – und die sind ein wichtiger Teil der Nahrungskette. Dies ist ein Effekt, der auch Ulf Riebesell in Kiel tief beunruhigt. Denn was Jeremy Mathis im Nordpazifik vor Alaska beobachtet, sieht der deutsche Forscher genauso auf den nördlichsten Teil des Atlantiks vor Europas Haustür zukommen.

Riebesell ist Biologischer Ozeanograph am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-Geomar). Er ist stellvertretender Koordinator des EU-Forschungsprojekts „Epoca” und leitet zusammen mit seinem Bremerhavener Kollegen Hans-Otto Pörtner das deutsche Forschungsprojekt „Bioacid”. Beide Vorhaben haben das Ziel, die Folgen der kommenden Ozeanversauerung vorauszusagen. Über die Ursache herrscht, anders als beim Thema Klimaerwärmung, weltweit Einigkeit. Ulf Riebesell erklärt: „Der Grad der Versauerung hängt direkt von der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ab.”

Zurzeit lösen sich etwa 30 Prozent der atmosphärischen CO2-Emissionen im Wasser der Ozeane. Somit puffern die sieben Weltmeere den Klimawandel ab – ohne sie wäre es höchstwahrscheinlich um einiges wärmer. Allerdings schlucken die Ozeane das Treibhausgas nicht folgenlos: Das CO2 löst sich nicht nur physikalisch im Seewasser, sondern reagiert auch chemisch zu Kohlensäure. Dadurch werden die Ozeane saurer, üblicherweise gemessen als Abnahme des „pH-Wertes”. Je saurer eine Flüssigkeit, desto kleiner ihr pH-Wert. Meerwasser reagiert aufgrund der gelösten Salze leicht alkalisch: In vorindustrieller Zeit betrug der pH-Wert von Seewasser etwa 8,2 – bis heute ist er, aufgrund der CO2-Zunahme in der Atmosphäre, auf knapp unter 8,1 gesunken. Das klingt belanglos, doch dieser Eindruck täuscht. Denn die pH-Skala ist logarithmisch: Eine Abnahme um 0,1 Einheiten entspricht einer Zunahme an Wasserstoff-Ionen – sie bestimmen den sauren Charakter einer wässrigen Lösung – um etwa 30 Prozent.

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VIELE BRAUCHEN STÜTZENDEN KALK

Korallen, Muscheln, Seeigel, Seesterne, Schnecken und große Teile des pflanzlichen Planktons bilden Schalen oder Stützstrukturen aus Kalk. Nimmt der pH-Wert ab, fällt es ihnen immer schwerer, das Mineral aufzubauen (siehe Kasten links „Zu sauer fürs Baumaterial”). Ab einem bestimmten Grad der Versauerung löst sich Kalk sogar allmählich auf, wie ein Stück Kreide, das in ein Glas Mineralwasser geworfen wird. Die Schalenträger des Meeres müssten unter solchen Bedingungen massiven Aufwand betreiben, um ihre Gehäuse und inneren Stützen aufrechtzuerhalten. Diese Energie würde an anderer Stelle fehlen, zum Beispiel bei den Investitionen in Fortpflanzung und Körperwachstum – in korrosivem Wasser wären daher Kalkbildner langfristig nicht konkurrenzfähig.

VERHÄNGNIS FÜR FLÜGELSCHNECKEN

Unter den ersten Opfern sieht Ulf Riebesell Flügelschnecken und Korallen: „Beide Gruppen nutzen eine besonders leicht lösliche Form von Kalk, den Aragonit, zum Aufbau ihrer Strukturen.” Flügelschnecken tragen ihren Namen wegen ihres Fußes, der sich als Anpassung an das Leben im Wasser in zwei Flügellappen umgewandelt hat. Die Tiere sind besonders in hohen Breiten beheimatet, in den Polarmeeren von Arktis und Antarktis sowie in Teilen des Nordpazifiks. „In kalten Ozeanen kann sich wegen der niedrigen Temperaturen mehr CO2 lösen”, erklärt Riebesell. „Wir müssen davon ausgehen, dass ohne baldige Reduktion der CO2-Emissionen Teile des arktischen Ozeans bereits 2016 vollständig korrosiv für Aragonit sein werden. In 50 bis 60 Jahren wird das auf 75 Prozent aller Polarmeere zutreffen”, prognostiziert der Kieler Ozeanograph. Hierin liegt die große Gefahr. Denn in diesen Gebieten dominieren die Flügelschnecken das Mittelstück der Nahrungskette. Sie sind das wichtigste Bindeglied zwischen dem unteren Stockwerk – den einzelligen Algen des Planktons – und den oberen Stockwerken mit Fischen, Robben und Walen.

Nehmen die Populationen der Weichtiere drastisch ab, könnten in weiten Teilen der Polarmeere die Nahrungsnetze zusammenbrechen. Das würden sowohl die Fischer als auch die Konsumenten an Land empfindlich zu spüren bekommen: Der Königslachs zum Beispiel, einer der beliebtesten und teuersten Speisefische auf dem Weltmarkt, frisst in seiner Jugend ausschließlich Flügelschnecken. Oder: Der vor Alaska gefischte Buckellachs, sagt Jeremy Mathis, ernährt sich zur Hälfte von Flügelschnecken. 10 Prozent Abnahme bei der Zahl der Weichtiere würden 20 Prozent Gewichtsverlust bei den ausgewachsenen Buckellachsen bedeuten.

RIFFE stecken IN DER FALLE

Schlecht sieht es auch für die Korallen aus, die ebenfalls leicht löslichen Aragonit zum Aufbau ihrer Skelette nutzen. In den Tropen sind schon jetzt riffbildende Korallen, Kinderstube und Lebensraum für zahllose Fischarten, großflächig abgestorben – allerdings als Folge der Erwärmung des Wassers. Nun kommt die Versauerung als zusätzlicher Stress hinzu und beschleunigt noch die Erosion bereits toter Riffe. Ulf Riebesell ahnt Schlimmes: „ Wenn wir die CO2-Emissionen nicht reduzieren, werden die Ozeane 2050 in einem pH-Bereich liegen, der für Korallenwachstum nicht mehr geeignet ist.” Die tropischen Riffe sitzen dann in der Falle: Die Temperatur ist zum Überleben vor Ort zu hoch, aber ein Ausweichen in kältere Gebiete nicht möglich, weil es dort noch weniger verfügbares Carbonat gibt als in der Heimat.

Für Artenvielfalt, Tourismus und Küstenschutz droht Unheil, wenn die Riffe komplett verschwinden. Natürlich mag man die ständigen Katastrophenwarnungen nicht mehr hören – aber lassen die Fakten Hoffnung auf einen guten Ausgang? Riebesell verweist nüchtern auf die kontinuierlich steigende Kurve der CO2-Konzentration in der Atmosphäre – von 280 ppm (parts per million) seit Beginn der Industrialisierung auf 387 ppm heute. So viel CO2 in der Luft hat die Erde seit mindestens 25 Millionen Jahren nicht mehr erlebt. Gehen die Emissionen ungebremst weiter, wird der CO2-Gehalt der Atmosphäre bis 2100 auf bis zu 800 ppm steigen, sagt der Kieler Forscher. Die direkte Folge wäre dann eine Senkung des pH-Werts in den Ozeanen gegenüber heute um mindestens 0,3 Einheiten auf 7,8.

Hier passt kein anderer Begriff mehr als „katastrophal”. Denn das würde zum Ende des 21. Jahrhunderts die Chemie der Meere in einer Weise verändern, wie es die meisten der heute dort lebenden Organismen in ihrer Evolutionsgeschichte nie erlebt haben. Parallel steigt die Temperatur des Meerwassers weiter an. Hans-Otto Pörtner, Physiologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und Experte für die Auswirkungen der Wassertemperatur, erläutert: „Durch die Erwärmung gibt es schon heute in vielen Meeresgebieten Verschiebungen in der Artenzusammensetzung, auf die sich nicht zuletzt die Fischerei einstellen muss. Gerade in den Polarmeeren und den Tropen, wo einerseits die Kälteliebhaber und andererseits die Korallenriffe mitsamt ihren Bewohnern in der Falle sitzen, werden Arten verschwinden.” Riebesell ergänzt: „Es wird ganz klar eine artenärmere Lebensgemeinschaft im Ozean sein, dominiert von konkurrenzstarken Opportunisten.” Sobald die Bestände der Kalkbildner abnehmen oder lokal verschwinden, steigen die Chancen der Opportunisten: wenig spezialisierter, unempfindlicher Arten mit hohen Wachstums- und Reproduktionsraten. Riebesell nennt Quallen als Beispiel. Falls die heute hoch spezialisierten Fische nicht auf diese neuen Gewinner als Nahrungsquellen umsteigen können, werden sie ebenfalls auf der Strecke bleiben. Auch in der Pflanzenwelt des Meeres werden – wenn sich am gegenwärtigen CO2-Eintrag nichts ändert – die Opportunisten vom saurer gewordenen Wasser profitieren: Wiesen aus simplem Seegras, so weit das Auge reicht, könnten dann die heutige Vielfalt am Meeresgrund ablösen. Auch Grünalgen zählen möglicherweise zu den Gewinnern bei den Pflanzen.

SÜDLÄNDER IN DER NORDSEE

Noch ist es nicht so weit. Aber dass allein durch die Erwärmung bereits ein großräumiger Umbau der Meere begonnen hat, erleben heute schon die deutschen Fischer. Kabeljau, Makrele, Hering, Wittling und Köhler („Seelachs”) stellten seit Jahrhunderten das Gros der Speisefische in der Nordsee. Heute jedoch wundert sich kein Kutterkapitän mehr, wenn ihm vor Helgoland neben immer weniger „Eingeborenen” auch Streifenbarben und Sardellen ins Netz gehen. Begegnungen mit solch exotischen Gästen, die ursprünglich aus dem subtropischen Atlantik und dem Mittelmeer stammen, sind in der Deutschen Bucht längst keine Seltenheit mehr.

Streifenbarben, den Feinschmeckern als teure Delikatessfische der mediterranen Küche bekannt, und Sardellen, die in gepökelter Form als Anchovis ihren Weg auf die Pizza finden, fühlen sich in der Nordsee zusehends wohler. Waren es in der Vergangenheit nur einzelne Tiere, die es in unsere Breiten verschlug, finden sich heute südlich von Helgoland regelmäßig große Schwärme laichreifer Tiere nebst Nachwuchs. Auch Sardine, Meeräsche und Wolfsbarsch, der in der französischen Küche gerühmte „Loup de mer”, haben die Nordsee für sich entdeckt. Im Gegenzug hat der Kabeljau, bei uns bislang der beliebteste Speisefisch, die Zelte abgebrochen und sich ins Nordmeer zwischen Island und Norwegen zurückgezogen (siehe Interview „Tintenfisch vor Helgoland”). Auch Wittling, Hering, Köhler und Makrele machen sich in der Deutschen Bucht rar. Überall lässt sich eine massive Völkerwanderung im Ozean beobachten – und die Nordsee mutiert zum Mittelmeer.

Ist dies gar kein klimabedingter Effekt, sondern in Wahrheit die Folge hemmungsloser Überfischung heimischer Arten? Hans-Otto Pörtner glaubt nicht daran. „Dass sich die Lebensräume so vieler heimischer Meeresorganismen nach Norden verschieben, während gleichzeitig Arten aus dem Süden in die Nordsee einwandern, lässt sich nicht mit Überfischung erklären. Das ist eine Folge der globalen Erwärmung”, stellt der Bremerhavener fest. Die Klimawissenschaftler konstatieren seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1960er-Jahren eine stetige Erwärmung der Nordsee um bislang etwas mehr als ein Grad Celsius. Auch global geht der Trend nach oben: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts stieg die Oberflächentemperatur der Ozeane durchschnittlich um 0,6 Grad Celsius. „Weltweit verschieben sich die Klimazonen in Richtung der Pole, und die Organismen ziehen mit”, erklärt Pörtner. „Und das Nahrungsspektrum wichtiger Arten verändert sich.”

Neben den mediterranen Neulingen breiten sich jüngst auch gebietsfremde Arten in der Nordsee aus, die aus weit entfernten Gegenden eingeschleppt wurden. In der Biologie spricht man von Neozoen, „Neutieren”. Sie gelangten entweder unbemerkt über Schiffsballastwasser in die Nordsee oder wurden von Menschen eingeführt. Das beste Beispiel ist die Japanische Felsenauster, die vor mehr als 25 Jahren vor Sylt zu Zuchtzwecken angesiedelt wurde („Sylter Royal”, siehe den folgenden Beitrag) und deren unkontrollierte Ausbreitung man wegen der niedrigen Wassertemperaturen der Nordsee für unwahrscheinlich hielt. Inzwischen aber profitiert die Auster von den milden Wintern und überwuchert rasant die Miesmuschelbänke im nordfriesischen Wattenmeer. Für die Nordsee umfasst der Neozoen-Katalog heute mehr als 40 Arten, darunter so klangvolle wie Australische Seepocke und Meerwalnuss – eine aus Amerika stammende Rippenqualle.

Warum ist die Erwärmung der Nordsee um nur gut ein Grad so folgenreich? Hans-Otto Pörtner erklärt: „Jede Art hat ein bestimmtes Temperaturfenster, in dem sie lebt und an das sie angepasst ist.” Dieses Fenster hat einen optimalen mittleren Temperaturbereich, in dem die Organismen besonders leistungsfähig sind. Schon wenig außerhalb dieses Optimums leidet die „Fitness”: Die Tiere sind weniger mobil und bei Nahrungssuche und Fortpflanzung gehandicapt. Für die Nordseeorganismen ist schon geringfügig wärmeres Wasser ein großer Nachteil gegenüber der einwandernden, besser angepassten Konkurrenz: Sie müssen ausweichen und ihren Lebensraum in Richtung Temperatur-Optimum verlagern. Verändert sich die Temperatur gar über das Toleranzfenster der Art hinaus, ist sie im betreffenden Gebiet überhaupt nicht mehr lebensfähig. Gleichzeitig profitieren die wärmeliebenden Arten davon, dass kalte Winter zunehmend ausbleiben.

DIE ACHILLESFERSE DES KABELJAUS

„Ob ein Fisch sich in einem wärmer werdenden Lebensraum noch behaupten kann, hängt aber auch von der Temperatur- toleranz der Arten ab, von denen er sich ernährt”, gibt Pörtner zu bedenken. Auch aus diesem Grund kann der Niedergang der Flügelschnecken die Lachspopulationen hart treffen. Der bei den Deutschen so beliebte Kabeljau hat ebenfalls eine solche Achillesferse: Er verspeist in seiner Jugend besonders gern winzige Ruderfußkrebse, die Copepoden. Doch deren Zahl nimmt ab: In den letzten Jahren hat in großen Teilen der Nordsee eine noch kleinere, wärmeliebende Copepoden-Art die einheimischen Krebschen verdrängt.

„Die Jungfische sahen sich dadurch mit viel kleineren Nahrungspartikeln konfrontiert, die sie gar nicht oder nur mit stark erhöhtem Bewegungsaufwand fressen konnten”, berichtet Pörtner. Hinzu kam die direkte Wirkung der Temperatur auf den Kabeljau. Die Folge waren massive Einbrüche der Bestände. In einer Räuber-Beute-Beziehung reicht bereits der Hitzekoller des Futters, um auch den darauf spezialisierten Fressfeind in die Kälte zu vertreiben. Zu viel auf einmal für Kabeljau und Co: In der Nordsee ohnedies überfischt, sorgt die Erwärmung für weniger Fitness, den Zuzug besser angepasster Auslandskonkurrenz und Nahrungsmangel beim Nachwuchs – gleich vier gute Gründe, die Sachen zu packen. „Die heimischen Arten sterben aber nicht aus”, betont Pörtner. „Der Kabeljau wird den Lebensraum, den er bei uns verliert, in der Barentssee hinzugewinnen – neuerdings gibt es ihn auch vor Grönland.” Dennoch wird die Erwärmung global Opfer fordern. Für Pörtner besteht kein Zweifel: „Nicht alle Ökosysteme können sich ohne Weiteres geographisch verlagern. In den äußersten Polarmeer-Regionen in Arktis und Antarktis werden Arten auf der Strecke bleiben.” ■

NILS EHRENBERG hat nach dem Studium der Meeresbiologie bei bdw hospitiert. Bei der Recherche nutzte er seine Kontakte zur Fachszene.

von Nils Ehrenberg

DER GROSSE TRECK GEN NORDEN

Das überall wärmer gewordene Meerwasser wird für die Fische zum Problem. Jede Art ist an ein bestimmtes Temperatur-Optimum angepasst. Außerhalb davon büßen die Tiere einen großen Teil ihrer Konkurrenzfähigkeit ein und sind gezwungen, in kälteres Wasser auszuweichen. So ist der Kabeljau heute in der Nordsee rar geworden – und neue Arten wie Sardelle und Streifenbarbe, die früher nur südlich des Ärmelkanals anzutreffen waren, rücken nach.

OZEANE IMMER SAURER

So hat sich der mittlere Säuregrad der Ozeane – gemessen als pH-Wert – entwickelt. Heute liegt er mit durchschnittlich 8,07 um etwas mehr als 0,1 Einheiten unter dem vorindustriellen Wert. Gehen die CO2-Emissionen bis 2100 so weiter wie bisher, prophezeien Ozeanographen eine Versauerung bis auf pH 7,8. Eine international anerkannte „Versauerungsleitplanke” könnte verhindern helfen, dass der mittlere pH-Wert der Meeresoberflächen jemals um mehr als 0,2 Einheiten unter den vorindustriellen Wert sinkt.

WACHWECHSEL IN DER NORDSEE

Wissenschaftler des Johann Heinrich von Thünen-Instituts in Hamburg befischen jedes Jahr bestimmte Daueruntersuchungsgebiete und sortieren ihre Fänge nach Arten. Hier die Entwicklung seit 1992 in der „Box H”, in der zentralen Nordsee. Sie zeigt exemplarisch an zwei Arten, welcher weiträumige Wechsel seit Jahren stattfindet. Der vormals wichtige Kaltwasser-Raubfisch Kabeljau hat dem zugewanderten Grauen Knurrhahn Platz gemacht.

KOMPAKT

· Weil die Temperaturen der Ozeane steigen, verschieben sich die Verbreitungsräume der Meeresorganismen in Richtung der Pole.

· Gelöstes CO2 macht das Meerwasser saurer. Lebewesen, die Schalen und Skelette aus Kalk bilden, sind dadurch stark beeinträchtigt.

· Wenn die CO2-Emissionen durch den Menschen nicht deutlich reduziert werden, droht ein massiver Artenverlust auf allen Ebenen der Nahrungskette.

TINTENFISCH VOR HELGOLAND

Herr Huthsfeldt, Ihr Unternehmen fängt, verarbeitet und vermarktet Fisch in Eigenregie. Was und wo fischen Sie?

Unsere Kutter fischen in der mittleren Nordsee und im Skagerrak bis zu den Färöer-Inseln, im Sommer auch vor Island. Brotfisch ist für uns der Köhler, Handelsname Seelachs. Kabeljau, Seeteufel, Schellfisch und Wittling kommen als Beifang hinzu.

Wieso fischen Sie nicht direkt vor der Haustür?

Das haben wir früher getan. Aber der Kabeljau ist seit Ende der 1980er-Jahre aus der südlichen Nordsee verschwunden. Andere Fische wie Wittling und Seelachs kommen hier nicht in befischbaren Mengen vor. Außer Krabbenkuttern fischt zwischen Cuxhaven und Helgoland keiner mehr.

Ist Überfischung oder der Klimawandel dafür verantwortlich?

Die Wissenschaft hat uns gesagt, dass die Überfischung schuld ist. Weil wir selbst nicht schlauer waren, haben wir das geglaubt. Dann haben uns Anfang der 1990er-Jahre unsere Kutterkapitäne gesagt: „Mensch, wir haben Tintenfisch vor Helgoland gefangen!” Immer häufiger gingen auch Fische ins Netz, die eigentlich im Ärmelkanal oder im Mittelmeer leben. Unsere Fischer hatten schon damals gestiegene Wassertemperaturen in Verdacht. Aber erst vor vier bis fünf Jahren haben die Wissenschaftler zugegeben, dass es in der Deutschen Bucht zu einer Erwärmung von 1 bis 1,5 Grad Celsius gekommen ist.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Wir fahren weiter in den Norden – dort gibt es Kabeljau und Seelachs in rauen Mengen. Für die Schiffe haben wir einen neuen Basishafen: Hanstholm in Dänemark. Von da holen wir die Ware per Kühllaster. Der Fisch wird dann nach wie vor hier in Cuxhaven verarbeitet.

ZU SAUER FÜRS BAUMATERIAL

Die Ozeanversauerung beruht auf einfachen chemischen Reaktionen. CO2 aus der Atmosphäre löst sich im Meer und bildet zusammen mit Wassermolekülen (H2O) Kohlensäure (H2CO3). Der größte Teil dieser instabilen Säure zerfällt formal in Wasserstoff-Ionen (Protonen, H+), die den Säurecharakter einer wässrigen Lösung bedingen, und in Hydrogencarbonat-Ionen (HCO3– ):

CO2 + H2O H2CO3 H+ + HCO3–

Die Wasserstoff-Ionen-Konzentration wird üblicherweise als deren negativer dekadischer Logarithmus angegeben, als sogenannter pH-Wert des Wassers. Je mehr CO2 sich im Meerwasser löst, desto stärker verschiebt sich das Gleichgewicht von der linken Seite des Gleichungssystems nach rechts – der pH-Wert wird kleiner und das Wasser saurer.

Viele Meereslebewesen wie Muscheln und Korallen brauchen Skelette aus Kalk (Calciumcarbonat, CaCO3), der aus der Verbindung von Calcium- (Ca2+) und Carbonat-Ionen (CO32– ) aufgebaut werden kann. Beide Ionensorten stammen ursprünglich aus dem Eintrag von Flüssen und werden aus den Sedimenten am Meeresgrund nach der Gleichung

CaCO3 Ca2+ + CO32–

in geringer Konzentration freigesetzt. Je saurer jedoch das Wasser wird, desto stärker verringern die hinzukommenden Wasserstoff-Ionen die Menge der freien Carbonat-Ionen im Wasser. Chemiker sagen: Das Carbonat puffert die Säure teilweise ab. Es wird dabei selbst zu Hydrogencarbonat …

H+ + CO32– HCO3–

… sodass den Lebewesen das benötigte Baumaterial Carbonat fehlt. Resultat: kleinwüchsige Tiere, schwache Schalen.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Guter Überblick über die Effekte von Erwärmung und Versauerung auf das Leben in Nord- und Ostsee: Umweltbundesamt KLIMAWANDEL UND MARINE ÖKOSYSTEME 2009, kostenloser Download unter: www.umweltdaten.de/publikationen/ fpdf-l/3805.pdf

Auswirkungen des Klimawandels auf die Fischereiwirtschaft, zusammengestellt von der Welternährungsorganisation FAO: CLIMATE CHANGE IMPLICATIONS FOR FISHERIES AND AGRICULTURE Overview of current scientific knowledge 2009, kostenloser Download unter: www.fao.org/fileadmin/user_upload/ newsroom/docs/i0994e.pdf

INTERNET

European Project on Ocean Acidification, „Epoca” – das europäische Großprojekt zur Ozeanversauerung: www.epoca-project.eu/

Biological Impacts of Ocean Acidification, „Bioacid” – das deutsche Projekt zur Ozeanversauerung: bioacid.ifm-geomar.de/

Hervorragende Datenbank für Fische weltweit, zu jeder Art ein Datenblatt mit Verbreitungsraumkarten und genauer Beschreibung: www.fishbase.org/search.php

Staatliches französisches Forschungsinstitut für Meeresnutzung, Ifremer: www.ifremer.fr

CO2 SCHADET DEM MEER

Zu viel CO2 in der Atmosphäre sorgt nicht nur für steigende Temperaturen an Land und im Wasser, sondern lässt obendrein das Meer saurer werden. Amerikanische Wissenschaftler dokumentieren in Messstationen auf Hawaii beide Trends, die gegenläufig sind: Während die atmosphärische Konzentration des Kohlendioxids zunimmt, sinkt der pH-Wert des Seewassers. Je niedriger der pH-Wert, desto saurer ist eine Flüssigkeit.

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