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Schädling macht sich Pflanzenabwehr zunutze

Raffinierter Kohlfresser

Schädling macht sich Pflanzenabwehr zunutze
Die Kohlmotte ist ein weltweit gefürchteter Schädling an den zahlreichen Vertretern der Kohlgewächse. (Bild: Benjamin Fabian, Max Planck Institute for Chemical Ecology)

Die berüchtigte Kohlmotte dreht den Spieß um: Bei dem Schädling versagen die Abwehrstoffe der Kohlgewächse nicht nur, sondern werden zu einem Lockstoff, berichten Forscher. Sie haben aufgedeckt, auf welche Weise die Verteidigungssubstanzen dieser Pflanzen den Kohlmotten-Weibchen als Duftsignale dienen, damit sie ihre Eier auf den Blättern ablegen können. In den Ergebnissen steckt Potenzial für die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien ohne Pestizide, sagen die Wissenschaftler.

Blumenkohl und Co sowie Raps, Senf, Meerrettich…: Viele Vertreter der Kohlgewächse (Brassica) sind wichtige Nutz- und Nahrungspflanzen des Menschen. Sie schmecken allerdings nicht nur uns gut: Auf ihre Blätter haben es auch einige Insektenarten abgesehen. Die Kohlgewächse sind ihnen allerdings nicht hilflos ausgeliefert. Beißen Insekten in ihre Blätter, bilden sie sogenannte Isothiocyanate, die den Angreifern schlecht bekommen und deren Geruch sie zudem abschreckt. Doch bei einem der schlimmsten Schädlinge im Anbau von Kohlgewächsen versagen diese pflanzlichen Abwehrstoffe: Die Kohlmotte (Plutella xylostella) hat im Laufe der Evolution Resistenz gegen dieses Verteidigungssystem entwickelt und kann dadurch die Vertreter der Kohlgewächse erfolgreich befallen. Ihre Raupen können ohne Bekämpfungsmaßnahmen große Schäden in der Landwirtschaft verursachen.

Abwehrstoff fungiert als Lockstoff

Es gab bereits frühere Studien, aus denen hervorging, dass die Schädlinge die Abwehrstoffe nicht nur gut vertragen, sondern sogar attraktiv finden. Die Wissenschaftler um Shuang-Lin Dong von der Landwirtschaftlichen Universität in Nanjing haben nun untersucht, inwieweit die Kohlmotte die Isothiocyanate tatsächlich als Dufthinweise nutzt, um ihre Wirtspflanzen zu finden, und vor allem, welche molekularen Mechanismen dem Konzept zugrunde liegen. Zunächst führten die Wissenschaftler Versuche durch, um die Lockwirkung der Isothiocyanate auszuloten. „Wir konnten durch Verhaltensexperimente mit weiblichen Kohlmotten zeigen, dass drei bestimmte Isothiocyanate Schlüsselsignale für die Eiablage darstellen,“ berichtet Shuang-Lin Dong.

Anschließend gingen die Wissenschaftler der Frage nach, welche Sensoren der Insekten für die Wahrnehmung dieser Substanzen verantwortlich sind. Sie erfassten dazu zunächst alle Geruchsrezeptoren, die speziell bei den weiblichen Faltern gebildet werden. Die Gene dieser Rezeptoren exprimierten sie dann in Eizellen von Fröschen, um Versuche mit den gebildeten Sensoren durchführen zu können. „Durch diese Methode konnten wir bestimmen, welche der einzelnen Geruchsrezeptoren auf welchen Duft reagieren. Es zeigte sich, dass die Rezeptoren OR35 und OR49 speziell auf die drei Isothiocyanate ansprechen, die wir zuvor als entscheidend für die Eiablage identifiziert hatten“, sagt Co-Autor Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Auf andere Pflanzenduftstoffe oder die Sexuallockstoffe der Falter reagierten die beiden Rezeptoren hingegen nicht, zeigten die Experimente.

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Potenzial für den Pflanzenschutz

Um weiter zu überprüfen, ob die beiden Sensoren tatsächlich eine Rolle bei der Wahrnehmung der Kohlmotten-Weibchen spielen, erzeugten die Forscher auf gentechnischem Wege Linien der Insekten, die einen oder beide Rezeptoren nicht mehr ausbilden konnten. Die Versuche mit diesen sogenannten Knockout-Mutanten zeigten: War einer der beiden Geruchsrezeptoren der Motten inaktiviert, legten sie deutlich weniger Eier auf die normalerweise bevorzugten, nach Isothiocyanaten duftenden Pflanzen ab. Waren beide Rezeptoren ausgeschaltet, waren die Motten schließlich gar nicht mehr in der Lage, die normalerweise lockenden Abwehrstoffe wahrzunehmen. Vermutlich haben sich OR35 und OR49 zielgerichtet entwickelt, um genau die Isothiocyanate als Eiablage-Signale aufzuspüren, resümieren die Wissenschaftler.

„Dass es zwei Rezeptoren gibt, erscheint überraschend. Die Rezeptoren spüren die Isothiocyanate allerdings unterschiedlich empfindlich auf“, sagt Shuang-Lin Dong. Der sensiblere Rezeptor könnte daher dafür sorgen, dass weibliche Falter Pflanzen schon von weitem lokalisieren können, während der andere dabei hilft, höhere Konzentrationen der Substanzen auf der Pflanze zu entdecken“, erklärt der Wissenschaftler. Die Forscher planen nun weitere Untersuchungen, um zu überprüfen, ob auch andere Schädlinge spezielle Rezeptoren nutzen, um Abwehrstoffe von Pflanzen als Informationsquelle für sich zu nutzen.

Die Informationen über die raffinierten Strategien der Kohlmotte könnten nun dazu beitragen, die Bekämpfung des weitverbreiteten Ernteschädlings zu verbessern: „Unsere Ergebnisse bieten dazu zwei Ansätze,“ sagt Shuang-Lin Dong: „Einerseits könnten wir die identifizierten Isothiocyanate oder ähnlich attraktive Substanzen als Lockstoffe nutzen. Andererseits könnten wir versuchen, durch andere Substanzen die Wahrnehmung der Isothiocyanate so zu manipulieren, dass die Falter ihre Wirtspflanzen nicht mehr finden können,“ so der Wissenschaftler.

Quelle: Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2020.08.047

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