Eine Grundlage unsere Sprache ist die Kombination von einzelnen Wörtern zu sinnvollen Wortkombinationen und Sätzen. Jetzt haben Biologen erste Ansätze einer solchen kompositionellen Syntax auch bei Schimpansen beobachtetet. Diese kombinieren in bestimmten Situationen – beispielsweise bei der plötzlichen Konfrontation mit einer potenziell gefährlichen Schlange – Alarm- und Hilferufe. Diese Lautkombination löst dann bei ihren Artgenossen eine entsprechende Reaktion aus.
Menschenaffen sind unsere engsten Verwandten im Tierreich. Ihr Verhalten erlaubt daher einige Rückschlüsse auf unsere gemeinsamen Vorfahren und die Entwicklung zum Menschen. Dies gilt auch für die Sprache und die Frage, ob die grundlegenden Voraussetzungen dafür erst in der menschlichen Stammeslinie entstanden oder aber schon bei urzeitlichen Primaten. Klar ist, dass auch Menschenaffen verschiedenste Lautäußerungen verwenden, um zu kommunizieren. Sie drücken damit Aggression, Wohlbehagen oder Angst aus und nutzen spezielle Alarmlaute, um ihre Artgenossen zu warnen. Bisher galten diese Laute aber vorwiegend als instinktgesteuert und wenig veränderbar.
Sind Schimpansen Kombinierer?
Doch eine erste Vorstufe echter Sprache könnten Schimpansen schon beherrschen: die Fähigkeit, einzelne Laute zu neuen Einheiten zusammenzufügen. Wir nutzen diese kompositionelle Syntax beispielsweise, um einzelne Wörter zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen oder um Dinge näher zu beschreiben – aus “Ball” wird der “rote Ball”. Wann unsere Vorfahren diese Fähigkeit zur Kompositionalität entwickelten, ist jedoch unklar. “Bisher ist umstritten, ob die kompositionelle Syntax ein einzigartiges Merkmal nur der menschlichen Kommunikation ist”, erklären Maël Leroux von der Universität Zürich und seine Kollegen. Einzelne Beobachtungen legten zwar nahe, dass einige Affenarten Laute kombinieren, es fehlt aber an systematischen Untersuchungen.
Deshalb haben Leroux und sein Team nun wilde Schimpansen in Uganda auf die Probe gestellt. Sie wollten wissen, ob diese Menschenaffen in spezifischen Situationen eine kompositionelle Syntax nutzen. “Schimpansen produzieren Huu-Rufe, wenn sie überrascht werden, und ein Waa-Gebrüll, wenn sie bei Aggressionen oder bei der Jagd Unterstützung brauchen”, erklärt Leroux. Was aber passiert, wenn die Primaten von einer Bedrohung überrascht werden, bei der sie die Hilfe ihrer Artgenossen benötigen? Für ihr Experiment versteckten die Biologen eine von einer echten Pythonhaut überzogenen Gummischlange im Gebüsch. Kam ein Schimpanse vorbei, zogen sie an einer Schnur, sodass die Schlange abrupt vor dem Schimpansen auftauchte. Anschließend zeichnete das Team die ausgestoßenen Laute des überraschten Affen auf und beobachten, wie die Artgenossen auf seine Rufe reagierten.
Alarm- und Hilferufe zugleich
Bei der Auswertung der Beobachtungen zeigte sich, dass die Schimpansen beim überraschenden Auftauchen der bedrohlichen Schlange manchmal nur den Alarmruf Huu ausstießen. In neun von 21 Tests kombinierten sie den Huu-Laut aber mit dem Waa-Ruf nach Unterstützung. “Unsere Beobachtungen legen nahe, dass die Tiere mehrere Rufe kombinieren, wenn sie einer Bedrohung ausgesetzt sind und andere Gruppenmitglieder zur Verteidigung rekrutieren wollen. So zum Beispiel bei der Begegnung mit einer Schlange”, sagt Leroux. Tatsächlich bewirkte die Huu-Waa-Lautkombination bei den Artgenossenen des rufenden Schimpansen eine spezifische Reaktion: Während sie bei bloßen Alarmrufen meist wegblieben, eilten sie bei der Rufkombination deutlich häufiger herbei.
Nach Ansicht von Leroux und seinem Team deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Schimpansen zumindest erste Ansätze einer kompositionellen Syntax zeigen: Sie kombinieren Alarm- und Hilferufe, um ihre Artgenosse zu warnen und Hilfe anzufordern. “Die Bedeutung der Ruf-Kombination ergibt sich damit aus der Bedeutung ihrer einzelnen Teile – damit repräsentiert dies eine der kompositionellen Syntax ähnliche Struktur”, schreiben die Forschenden. Dies wirft auch neues Licht auf den Ursprung dieser Fähigkeit: “Menschen und Schimpansen hatten vor etwa sechs Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren. Unsere Daten deuten also darauf hin, dass die Fähigkeit, sinnvolle Vokalisationen miteinander zu kombinieren, mindestens sechs Millionen Jahre alt ist – wenn nicht sogar älter”, sagt Leroux. Das Kombinieren von Lauten könnte demnach schon vor dem Auftreten einer echten Sprache entstanden sein.
Quelle: Universität Zürich; Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-37816-y