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Schlangensterne sehen ohne Augen

Erde|Umwelt

Schlangensterne sehen ohne Augen
Schlangenstern
Der Schlangenstern Ophiocoma wendtii kann sehen, obwohl er keine Augen hat. (Bild: Lauren Sumner-Rooney)

Sie besitzen keine Augen im herkömmlichen Sinne. Trotzdem können manche Schlangensterne erstaunlich gut sehen. Eine bestimmte Art dieser Meeresbewohner nimmt nicht nur diffuse Helligkeitsunterschiede in ihrer Umgebung wahr. Die Tiere reagieren auch auf konkrete visuelle Reize und verfügen über die Fähigkeit räumlichen Sehens, wie Experimente nun bestätigen. Damit sind sie erst das zweite bekannte Beispiel für augenlose Tiere, die sehen können – neben manchen Seeigeln. Verantwortlich für diesen „Durchblick“ könnte unter anderem die charakteristische Farbänderung der Schlangensterne sein, berichten die Forscher.

Um zu sehen, braucht es Augen – dies scheint in der Tierwelt eine allgemeingültige Regel zu sein. Zwar gibt es Spezies, die zum Beispiel in ihrer Haut lichtempfindliche Rezeptoren besitzen. Damit können sie jedoch lediglich wahrnehmen, ob Licht vorhanden ist oder nicht. Seine Einfallsrichtung, Formen oder Kontraste können diese Tiere ohne Augen nicht erkennen. Doch es gibt Ausnahmen: Biologen wissen, dass sich bestimmte Seeigel auch ohne die klassischen Sehorgane ein erstaunlich genaues Bild von ihrer Umgebung machen. Sie können nachweislich sehen, obwohl sie keine Augen besitzen.

Auch bestimmte Schlangensterne orientieren sich offenbar visuell in ihrem Lebensraum. Konkrete Hinweise darauf haben Forscher  bei Ophiocoma wendtii gefunden. Dieser in der Karibik heimische Verwandte von Seesternen und Seeigeln  ist für seine faszinierenden Farbwechsel bekannt: Während er bei Tageslicht in einem dunklen rotbraun erscheint, weist er im Dunkel der Nacht ein helles Streifenmuster auf. Bekannt ist, dass O. wendtii empfindlich auf Licht reagiert und sein Körper mit Tausenden lichtempfindlichen Zellen übersät ist. Was der Stachelhäuter damit genau wahrnimmt, blieb bisher aber unklar.

Alles andere als blind

Um dieses Geheimnis zu lüften, haben Lauren Sumner-Rooney von der Oxford University und ihre Kollegen eine Vielzahl von Sehtests mit Schlangensternen dieser Art durchgeführt. Dabei konfrontierten sie die Meeresbewohner mit visuellen Reizen wie schwarzen Balken vor unterschiedlichen Hintergründen. In manchen Fällen veränderte sich dadurch die Lichtintensität in der Testumgebung insgesamt, in anderen Fällen nicht. Würden die Tiere auch auf letztere Reize reagieren? Tatsächlich offenbarte sich: O. wendtii reagierte auf alle präsentierten Stimuli und orientierte sich in deren Richtung. Er bewegte sich deutlich auf dunkle Reize zu, wie das Forscherteam berichtet. Damit scheint klar, dass der Schlangenstern nicht nur diffuse Helligkeitsunterschiede in seiner Umwelt erkennt. „Er scheint auch visuelle Reize wahrzunehmen, die eine räumliche Sicht erfordern“, erklären die Wissenschaftler.

Wie sie berichten, erkennt O. wendtii Kontraste und könnte so zum Beispiel Strukturen am Meeresboden ausmachen, die ihm Schutz vor Feinden bieten. Zwar sieht der Stachelhäuter offenbar weder scharf noch weit. Doch um ein nahegelegenes Versteck wie eine Felsspalte zu finden, sei dies auch nicht unbedingt nötig, so die Forscher. „Unsere Experimente bestätigen, dass Schlangensterne sehen können“, konstatiert Sumner-Rooney. „Sie sind damit erst das zweite bekannte Beispiel für ein Sehvermögen bei Tieren ohne Augen.“

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Farbenspiel als Schlüssel

Überraschenderweise funktioniert der Sehsinn der Schlangensterne allerdings nicht zu jeder Tageszeit: „Die von uns beobachteten Reaktionen verschwanden, wenn die Tiere nachts getestet wurden, obwohl ihre lichtempfindlichen Zellen noch aktiv zu sein schienen“, berichtet Sumner-Rooney. Auf der Suche nach einer Erklärung für diesen rätselhaften Sehverlust schlossen die Wissenschaftler mithilfe weiterer Versuche eine Reihe von Einflussfaktoren als Ursache aus – darunter die geringere Lichtintensität und auch eine möglicherweise andere Motivation der Stachelhäuter, auf die Reize zu reagieren. Stattdessen zeichnete sich ab: Womöglich spielt der Farbwechsel der Tiere eine Rolle für ihr räumliches Orientierungsvermögen.

Tests mit einem nahen Verwandten von O. wendtii bestärkten diesen ersten Verdacht. Denn O. pumila besitzt zwar ebenfalls eine Reihe von Photorezeptoren. Dieser Schlangenstern scheiterte bei den Sehtests aber – und er ist hell gefärbt und verändert seine Farbe nicht so wie sein Verwandter. Wie Sumner-Rooney und ihre Kollegen berichten, sind für den Farbwechsel von O. wendtii sogenannte Chromatophore verantwortlich. Diese pigmentierten Organe dehnen sich aus oder ziehen sich zusammen, um das Erscheinungsbild der Schlangensterne zu verändern. Könnten sie der Schlüssel für die Sehkraft der Meeresbewohner sein?

„Spannende Entdeckung“

Tatsächlich deuten die Erkenntnisse der Forscher genau darauf hin. Denn die Chromatophore beeinflussen, wie viel Licht die Photorezeptoren der Tiere erreicht. Bei der dunklen Pigmentierung am Tag gelangt Licht nur aus einem bestimmten engen Winkel an die Sensoren. Ziehen sich die Chromatophore nachts  zusammen, verschwindet die dunkle Färbung der Schlangensterne und auch die regulierende Wirkung auf den Lichteinfall. Licht erreicht die Sensoren dann aus einem deutlich breiteren Winkel, was räumliches Sehen unmöglich macht. Die Tiere können dann die Richtung nicht mehr ausmachen.

„Das ist eine spannende Entdeckung,“ erklärt Sumner-Rooney. „Schon vor 30 Jahren wurde vermutet, dass Farbwechsel für die Lichtempfindlichkeit von Ophiocoma verantwortlich sein könnten. Wir sind froh, nun einige Wissenslücken in diesem Zusammenhang schließen zu können und diesen neuen Mechanismus zu beschreiben.“ In Zukunft wollen die Forscherin und ihre Kollegen noch mehr über das Sehvermögen der Schlangensterne herausfinden. Außerdem werden sie untersuchen, ob der Sehsinn der Seeigel womöglich ähnlich funktioniert – immerhin sind auch einige Vertreter dieser Stachelhäuter dafür bekannt, abhängig vom Umgebungslicht ihre Farbe zu wechseln.

Quelle: Lauren Sumner-Rooney (Oxford University) et al., Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2019.11.042

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