Wer langsam ist, braucht besonders scharfe Waffen – das ist das Konzept einer Gruppe von räuberischen Mollusken: Die über 700 Spezies der sogenannten Kegelschnecken sind allesamt Giftmischerinnen, die sich auf unterschiedliche Meerestiere spezialisiert haben. Bei der Jagd rammen sie dem Opfer eine Harpune in den Leib, mit der sie ein Gift injizieren, das binnen Sekunden lähmt. Einige Kegelschneckenarten sind auch für den Menschen eine tödliche Gefahr. Es handelt sich bei den Giften um raffinierte Mischungen aus speziellen Eiweißmolekülen – den sogenannten Conotoxinen.
Schnecken-Gift: Eine pharmakologische Goldgrube
Die Gifte bestehen aus bis zu mehreren hundert Einzelkomponenten, die jeweils eine spezielle Wirkung auf das Nervensystem besitzen. Schon lange stehen die Kegelschnecken deshalb im Fokus der Wissenschaft: Erkenntnisse über ihre Gifte haben bereits zur Entwicklung von Medikamenten geführt. Vor allem bei den Schmerzmitteln besteht ein großer Bedarf an Alternativen zu den Wirkstoffen aus der Gruppe der Opioide. Sie sind zwar sehr effektiv, aber kritisch: Sie machen schnell abhängig und Überdosierungen können tödlich enden. Allein in den USA sterben täglich im Durchschnitt 91 Menschen auf diese Weise.
Bei der Suche nach neuen Schmerzmitteln haben die Forscher um Michael McIntosh von der University of Utah in Salt Lake City nun den Fokus auf das Gift einer speziellen Giftmischerin gerückt: der kleinen Kelgelschnecke Conus regius, die an den Küsten der Karibik vorkommt. Die Wissenschaftler haben den Giftcocktail dieser Schnecke systematisch analysiert und stießen dabei auf die vielversprechende Substanz mit der Bezeichnung Rg1A.
Schmerzlinderung mit schonendem Langzeiteffekt
Untersuchungen an speziell für die Schmerzforschung gezüchteten Mäusen zeigten, dass dieser Wirkstoff einen Rezeptor im Nervensystem blockiert, der für die Übertragung von Schmerzreizen verantwortlich ist. Es handelt sich um ein Wirkprinzip, das sich klar von dem der Opioide unterscheidet, betonen die Forscher. Besonders wichtig ist eine spezielle Eigenschaft der Substanz: Die Dauer der Schmerzlinderung übersteigt ihre Präsenz im Körper bei weitem. Nach etwa vier Stunden ist die Substanz Rg1A
bereits abgebaut – doch der Effekt auf das Nervensystem bleibt noch lange erhalten, zeigten die Experimente mit den Versuchstieren. „Noch 72 Stunden nach der Injektion hält die Schmerzlinderung an“, berichtet McIntosh.
Er und seine Kollegen haben nun mit weiteren Tests begonnen, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Substanz für den therapeutischen Einsatz auszuloten. Neben der vermutlich geringeren Gefahr der Entwicklung von Abhängigkeit, sehen sie vor allem bei einem Aspekt großes Potenzial: „Der Wirkstoff eignet sich vermutlich für die Prävention der Entwicklung von chronischen Schmerzen“, sagt McIntosh. „Denn sobald chronische Schmerzen sich einmal etabliert haben, sind sie schwierig zu behandeln. Diese Verbindung bietet einen möglichen neuen Weg, die Entwicklung von vornherein zu unterbinden und sie könnte auch Patienten helfen, für die es keine weiteren Therapiemöglichkeiten mehr gibt“, so McIntosh.