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Stadt als Evolutionsfaktor

Erde|Umwelt

Stadt als Evolutionsfaktor
Beim Weißklee zeichnet sich eine weitverbreitete Anpassung an das urbane Leben ab. © Marc Johnson

Am Beispiel des Weißklees haben Forscher erstmals im globalen Maßstab aufgezeigt, wie das Leben im urbanen Umfeld Lebewesen verändern kann. Das weitverbreitete Gewächs zeigt demnach in vielen Städten auf der ganzen Welt ein ähnliches Muster einer genetischen Anpassung: Der Klee verzichtet im urbanen Umfeld häufig auf die Investition in einen Abwehrstoff gegen Fressfeinde. Dieses Beispiel verdeutlicht, in welch komplexer Weise menschengemachte Umweltveränderungen die Merkmale von Lebewesen verändern können.

Wo einst unberührte Wiesen, Wälder und Gewässer die Erde prägten, hat der Mensch für drastisch neue Lebensbedingungen gesorgt: Große Teile der Welt wurden in einem unterschiedlichen Ausmaß in Kulturlandschaften verwandelt. Die extremste Form stellt dabei die Stadt dar. Viele ursprüngliche Tier- und Pflanzenarten kommen mit den sehr speziellen Bedingungen in dem von Beton und Asphalt geprägten Umfeld bekanntlich nicht zurecht. In Nischen fanden bestimmte Arten allerdings doch Existenzmöglichkeiten. In manchen Fällen ist bereits bekannt, dass das Stadtleben bei diesen Spezies zu einer adaptiven Evolution geführt hat: Es gibt Hinweise auf genetisch bedingte Merkmals-Veränderungen in den urbanen Populationen.

Es handelt sich dabei um einen Prozess, der auf Auslese basiert: Wenn eine Eigenschaft, wie etwa eine Farbe oder die Bildung bestimmter Substanzen im Körpergewebe, im urbanen Umfeld vorteilhaft ist, kann ein derart ausgerüstetes Exemplar besser überleben und für mehr Nachkommen sorgen. Über Generationen hinweg kann sich das Merkmal dann im Genom der Stadtpopulation einer Art immer stärker etablieren. Bisher sind derartige Effekte allerdings nur regional in bestimmten Städten dokumentiert worden. Das internationale Wissenschaftler-Team des Forschungsprojekts „Global Urban Evolution“ (GLUE) widmet sich der Erforschung dieses Effekts nun hingegen erstmals in einem weiter gefassten Maßstab.

Stadt-Klee ist anders

Als Modell-Organismus wählten sie sich eine Pflanze, die auf der ganzen Welt verbreitet ist und sowohl auf dem Land als auch in der Stadt vorkommt: den Weißklee (Trifolium repens). Im Fokus ihrer aktuellen Studie stand dabei die Fähigkeit dieser Pflanze, Blausäure (Cyanwasserstoff) zu bilden. Die Produktion dieser Substanz basiert auf einer genetischen Grundlage, deren Vererbung sich leicht nachvollziehen lässt. Die Blausäure dient vor allem der Abschreckung von Fressfeinden, wie Schnecke, Kaninchen und Co. Die Produktion ist für die Pflanze allerdings mit Kosten verbunden – die Herstellung der Blausäure benötigt Ressourcen, die somit nicht dem Wachstum und Samenertrag dienen können. Es gibt in den Populationen des Weißklees deshalb auch Pflanzen, die gleichsam das Risiko eingehen, auf die Herstellung zu verzichten – bei ihnen ist die Veranlagung zur Blausäureproduktion inaktiviert. Dabei liegt nahe: Wenn die Bedeutung der Verteidigung schwindet, sind derart veranlagte Pflanzen zunehmend im Vorteil.

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Genau dieser Trend zeichnet sich offenbar häufig bei den urbanen Klee-Populationen weltweit ab, wie aus den Ergebnissen der GLUE-Forscher hervorgeht. Die Ergebnisse basieren dabei auf Untersuchungsdaten aus 26 Ländern – inklusive Deutschlands. Wissenschaftler haben in insgesamt 160 Städten und deren Umland die genetischen Merkmale von tausenden von Weißkleepflanzen erfasst und analysiert. Wie sie berichten, deckten ihre Ergebnisse ein weitverbreitetes Muster auf: Im Vergleich zu den ländlichen Beständen weisen die urbanen Kleepopulationen in vielen Fällen besonders hohe Anteile an Pflanzen auf, die keine Blausäure mehr bilden. Dabei zeichnete sich zudem ein gradueller Effekt ab: Je stärker der Stadtcharakter eines Lebensraums ausgeprägt ist, desto seltener trägt der Klee die Veranlagung zur Herstellung der Substanz.

Modellpflanze für urbane Evolution

Neben anderen möglichen Faktoren führen die Wissenschaftler den Effekt vor allem auf das geringere Vorkommen von Pflanzenfressern im städtischen Raum zurück: Wo der Weißklee in der Stadt wächst, ist er demnach weniger durch Schnecke, Kaninchen und Co bedroht als in einem eher ländlichen Umfeld. Für den Fortpflanzungserfolg des urbanen Klee scheint deshalb in vielen Fällen der Verzicht auf die kostspielige Blausäure-Produktion günstiger zu sein, als sie aufrechtzuerhalten. In dieser Hinsicht sind die Innenstädte von Toronto, Tokio oder München vergleichbar und so kam es offenbar zu der weitverbreiteten Parallele bei dieser evolutionären Entwicklung.

„Diese Studie ist ein Modell, um zu verstehen, wie der Mensch die Entwicklung des Lebens um uns herum verändert“, sagt Co-Autor Rob Ness von der University of Toronto. Die Ergebnisse dokumentieren deutlich, wie der Lebensraum Stadt den Lauf der Evolution beeinflussen kann. Dies kann für Ökologen und Evolutionsbiologen sowie für die Gesellschaft von Bedeutung sein“, meint der Wissenschaftler.

Für GLUE ist die aktuelle Veröffentlichung allerdings erst der Anfang, schreibt die University of Toronto. Das umfangreiche genetische Datenmaterial zum Weißklee, das die mehr als 280 Teilnehmer des Projekts gesammelt haben, kann nun noch lange als Grundlage für weitere Untersuchungen dienen. „Es gab noch nie eine Feldstudie zur Evolution in diesem Umfang oder eine globale Studie darüber, wie die Urbanisierung die Evolution beeinflusst“, sagt Marc Johnson University of Toronto, der das Projekt koordiniert. „Fast jeder, den wir um Mitarbeit baten, hat zugesagt – die Forscher erkannten die Bedeutung dieses Projekts und so wurde unser globales Projekt möglich“, so Johnson.

Quelle: University of Toronto, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abk0989

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