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Stoßzahnlos: Evolution durch Wilderei

Elefanten

Stoßzahnlos: Evolution durch Wilderei
Normalerweise besitzen weibliche Elefanten Stoßzähne - doch der „Selektionsfaktor Mensch“ kann dies ändern. (Bild: Andrew Linscott/iStock)

Einem traurigen Selektionseffekt auf der Spur: Forscher beleuchten, welche genetische Ursache hinter der Verbreitung von Stoßzahnlosigkeit bei weiblichen Elefanten im Zuge der Elfenbein-Wilderei steckt. Demnach konnte sich eine genetische Besonderheit verstärkt durchsetzen, die durch das X-Chromosom vermittelt wird und speziell die Ausbildung von Stoßzähnen bei Weibchen unterbindet. Es handelt sich um ein markantes Beispiel dafür, welch starke evolutionäre Selektionseffekte der Mensch auf Lebewesen ausüben kann, sagen die Forscher.

„Survival of the fittest“ – die am besten an die Herausforderungen ihrer Lebensweise angepassten Individuen überleben und geben ihre Merkmale an Folgegenerationen weiter. Dieses Grundprinzip führt der Darwin’schen Evolutionstheorie zufolge zur Entwicklung von Arten und der Herausbildung ihrer typischen Merkmale. Im Fall der Elefanten entstanden im Verlauf ihrer Entwicklungsgeschichte auf diese Weise auch die Stoßzähne: Sie sind den Tieren bei der Nahrungsgewinnung nützlich und unterlagen dadurch einer positiven Selektion. Doch im Zeitalter des Menschen avancierten diese praktischen Werkzeuge bekanntlich zu einem Fluch für die Dickhäuter: Zu tausenden fallen sie nach wie vor der Gier nach Elfenbein zum Opfer.

Schützender Verlust

Eine besonders schlimme Episode der Abschlachtung von Elefanten spielte sich dabei im Rahmen des Bürgerkriegs in Mosambik von 1977 bis 1992 ab. Während dieses Konflikts waren die Streitkräfte beider Seiten stark auf den Elfenbeinhandel für ihre Finanzierung angewiesen. Um Stoßzähne zu „ernten“, wurden deshalb im Gorongosa-Nationalpark in großem Umfang Elefanten erlegt. So kam es zu einem Rückgang der Population um mehr als 90 Prozent. Wie die Forscher um Shane Campbell-Staton berichten, war dies mit einer Entwicklung verbunden, die auch bereits von anderen stark bejagten Elefantenpopulationen bekannt ist: Durch Vergleiche mit Aufzeichnungen vor der Zäsur konnte das Team dokumentieren, dass die intensive Wilderei in Gorongosa zu einem starken Anstieg der Stoßzahnlosigkeit bei weiblichen Elefanten geführt hat. Etwa die Hälfte ist davon nun betroffen. Bemerkenswert ist dabei: Bei männlichen Tieren tritt das Fehlen der Stoßzähne nicht auf.

Durch Populationsmodelle konnten die Forscher zunächst die Annahme untermauern, dass es sich bei dem Phänomen um eine evolutionäre Entwicklung aufgrund des Selektionsdrucks durch die Wilderei handelt: Da Elefanten ohne Stoßzähne nicht im Visier der Flinten standen, konnte sich das Merkmal offenbar überraschend schnell in der Population durchsetzen. Doch worauf basiert die typisch weibliche Stoßzahnlosigkeit? Dieser Frage gingen die Forscher anschließend durch eine genetische Untersuchung nach. Sie sequenzierten dazu die Genome von sieben weiblichen Elefanten mit Stoßzähnen und elf Individuen, denen sie fehlen. So konnten sie durch genetische Vergleiche nach Unterschieden im Erbgut suchen, die dem Merkmal zugrunde liegen könnten.

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Genetischen Grundlagen auf der Spur

Wie die Wissenschaftler erklären, ging aus dem Fehlen der Stoßzahnlosigkeit bei männlichen Elefanten hervor, dass das Merkmal auf einer genetischen Besonderheit beruht, die eine geschlechtsspezifische Wirkung entfaltet. Somit rückten die weiblichen X-Chromosomen als Träger der verantwortlichen Erbanlagen ins Visier. Die Untersuchungen verdeutlichten, dass diese Erbgutträger bei den Elefantendamen ohne Stoßzähne eine auffallend hohe genetische Variabilität in einem Bereich aufweisen, der ein einschlägig bekanntes Gen umfasst: Von AMELX ist eine Funktion bei der Ausbildung von Zähnen bei Säugetieren bekannt.

Besonders interessant ist: Beim Menschen führen Mutationen, die AMELX und benachbarte Gene betreffen, zu einer Zahnanomalie bei Frauen: Die Entwicklung der oberen seitlichen Schneidezähne ist gestört. Wie die Forscher erklären, handelt es sich dabei um die menschlichen Pendants zu den Stoßzähnen bei den Elefanten. Es liegt somit nahe, dass Mutationen, die das System von AMELX betreffen, der Stoßzahnlosigkeit bei den weiblichen Elefanten zugrunde liegen. Genauere Mechanismen und die Verbreitung bestimmter Mutationen mit Wirkung auf die Stoßzahnentwicklung müssen nun aber erst weitere Studien klären, betonen die Wissenschaftler.

Die Studie verdeutlicht ihnen zufolge allerdings grundlegend, dass der Mensch zu einem erheblichen evolutionären Faktor in der Natur geworden ist: Durch die Selektion auf bestimmte Merkmale im Rahmen von Ausbeutungen kann er die Entwicklung vieler Arten prägen. Wie die Wissenschaftler abschließend hervorheben, können dadurch auch Folgen entstehen, die über die direkt betroffene Art hinaus gehen. Im Fall der Elefanten kann verbreitete Stoßzahnlosigkeit beispielsweise zu Konsequenzen für die Entwicklung des Ökosystems führen. Denn ohne diese Werkzeuge halten die Tiere möglicherweise die Entwicklung von Gehölzen in ihrem Lebensraum weniger in Schach, wodurch sich die Vegetation und damit viele weitere Merkmale des Ökosystems verändern können. Abschließend schreiben Campbell-Staton und seine Kollegen dazu: „Das Verständnis von Dynamiken der schnellen Evolution im Anthropozän ist wichtig, um biologische Auswirkungen menschlicher Aktivitäten aufzuzeigen sowie Strategien zu entwickeln, um die Folgen zu entschärfen“.

Quelle: Science, doi: 10.1126/science.abe7389

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