Die Frage der Forscher war nun: Ändert sich die Zuständigkeit der Neuronengruppen, wenn wir gezielt nach einem bestimmten Objekt suchen? Um das herauszufinden, ließen sie fünf Probanden jeweils eine Stunde lang Naturdokumentationen anschauen. Die in diesem Filmen auftauchenden Objekte gehörten 935 verschiedenen vom Gehirn genutzten Objektkategorien an, wie Cukur und seine Kollegen berichten. Die Versuchsteilnehmer sollten nun entweder den Film einfach nur passiv anschauen oder bei bestimmten im Film erscheinenden Objekten – entweder Mensch oder Auto – eine Taste drücken. Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zeichneten die Forscher währenddessen die Hirnaktivität der Probanden auf. Bei ihrer Auswertung ermittelten sie, wie sich rund 50.000 einzelne Voxel – dreidimensionale Messpunkte in der Hirnrinde – bei den verschiedenen Aufgabenstellungen veränderten.
Umfassende Umwidmung der Zuständigkeiten
„Die Ergebnisse zeigen, dass unser Gehirn viel dynamischer ist als bisher gedacht“, erklärt Cukur. Denn bei der Suche nach einer konkreten Objektkategorie – beispielsweise Mensch – verschiebt sich die gesamte Aufgabenverteilung der Nervenzellen in der Hirnrinde: Neuronen, die normalerweise beim Anblick von Gebäuden, Werkzeugen oder Geräten feuern, werden nun vorübergehend auf Autos angesetzt, Nervenzellen, die sonst für Tiere, Pflanzen, Verben oder bestimmte Materialien zuständig sind, reagieren nun auf den Anblick eines Menschen. Diese Umwidmung betreffe nicht nur das Sehzentrum, sondern auch viele andere Hirnbereiche, berichten die Forscher. Die größten Veränderungen seien im präfrontalen Kortex zu beobachten, der Hirnregion, die für abstraktes Denken, Planung und komplexe mentale Aufgaben zuständig ist.
„Die visuelle Suche nach einer Objektkategorie verzerrt und verschiebt den gesamten semantischen Raum – die kartenähnliche Verteilung der Kategorien in unserer Hirnrinde“, erklären die Forscher. So bekommt beispielsweise die Kategorie Mensch mehr Ressourcen, weiter entfernte, unähnliche dagegen schrumpfen. Diese Umwidmung ermöglicht erst die volle Konzentration auf die anspruchsvolle Aufgabe, aus der Vielzahl der Eindrücke genau das herauszufiltern, was wir gerade suchen, so Cukur und seine Kollegen. Von einem vielseitigen für alle Eindrücke offenen Empfänger werde das Gehirn in diesem Moment zu einem hochspezialisierten Sensor nur für die gesuchte Kategorie.