„Wenn die Temperatur nur tief genug ist, dann können wir Zellen über Dekaden aufbewahren und sie danach wieder zum Leben erwecken“, erklärt Heiko Zimmermann, Kryowissenschaftler am IBMT. Die kritische Marke liegt bei unter minus 130 Grad Celsius. In dieser Kälte herrscht zwischen und in den Zellen in jeder Hinsicht eisige Stille. Weder kristallisieren Substanzen noch findet irgendeine Form des Austauschs zwischen den Zellen statt. „Diesen Zustand darf man nicht mit einem Drei-Sterne-Gefrierfach vergleichen“, witzelt Zimmermann. Die Kühlkette darf niemals unterbrochen werden, sonst gehen die gefrorenen Zellen zugrunde.
Während beispielsweise Eizellen und Spermien längst problemlos konserviert werden können, bereiten größere Objekte Schwierigkeiten: „Das Einfrieren von ganzen Organen oder gar Lebewesen gehört ins Reich der Märchen“, macht Andreas Sputtek klar, Kryoforscher an der Universität Hamburg. Venen und Blutgefäße könnten bereits eingefroren und für Bypass-Operationen verwendet werden. Aber die Größe dieser Transplantate sei stets auf einige Millimeter bis Zentimeter begrenzt.
Eine Wiederbelebung von Gewebestücken ist Zimmermann nun auch bei der Bauchspeicheldrüse gelungen. Die jeweils 8.000 Zellen produzierten nach dem Auftauen wieder Insulin. „Die Rate war nicht ganz so hoch wie bei frischen Zellen, aber erreichte immerhin etwa 60 Prozent“, berichtet Zimmermann.
Das Hormon Insulin benötigt der Körper, um Zucker zu verdauen. Vielen Diabetikern fehlt dieser Stoff. Vor diesem Hintergrund wurden die aufgetauten Gewebeproben von Mainzer Medizinern an Diabetes-Mäusen getestet. Zur Freude der Forscher zeigten die Tiere ein Jahr lang keine Anzeichen der Krankheit. Die Zellen aus dem Kryotank hatten die Aufgabe der defekten Bauchspeicheldrüse übernommen.
„Wir haben jetzt die Erlaubnis, auch menschliche Pankreas-Zellen einzufrieren“ verrät Zimmermann. Eines Tages könnten diese für Transplantationen zwischengelagert und später Diabetikern verabreicht werden. „Der Weg zur Anwendung ist allerdings noch lang und wir müssen noch viele technische Hürden nehmen. Aber ich bin sehr zuversichtlich“, kommentiert Zimmermann diese Vision. Er erwartet, dass die aufgetauten Mini-Gewebestücke zuerst von der pharmazeutischen Industrie verlangt werden. Sie könnte neue Diabetes-Medikamente an den Zellen testen.
Das Einfrieren der Gewebeproben aus der Bauchspeicheldrüse ist allerdings äußerst anspruchsvoll: „Der Verband aus Pankreaszellen stellt eine funktionale Einheit dar, die nicht zerstört werden darf“, erklärt Zimmermann. Eiskristalle könnten die Wände verletzen und die Kontakte zwischen den Zellen unterbrechen. Beim Einfrieren verlieren die Zellen zudem Wasser und können sich so zu Tode schrumpfen.
Potenziert werden diese Schwierigkeiten noch durch die Größe des Zellverbandes. Es ist schlicht unmöglich, an jedem Punkt Idealbedingungen beim Einfrieren zu garantieren. „Ab einem Gewebedurchmesser von fünf Millimetern aufwärts ist dieses Problem noch nicht zufriedenstellend gelöst“, erklärt Andreas Sputtek.
Die besten Überlebensraten erzielt Zimmermann, wenn er die Zellen sehr sanft in den Kälteschlaf versetzt. Jeweils ein Grad pro Minute sinkt die Temperatur in seinen Versuchen. Neben diesem Trick helfen den Forschern Chemikalien, um die Zellen heil in die Todesstarre zu befördern. So genannte Kryoschutzmittel hindern die Eiskristalle am Wachsen. Dafür haben die Fraunhofer-Forscher bisher Dimethylsulfoxid verwendet. Diese Chemikalie verändert jedoch das Erbgut. „Das können wir auf keinen Fall beim Menschen verwenden“, erklärt Zimmermann.
Eine andere Widrigkeit für eine künftige Therapie aus der Kälte besteht darin, dass die Zellen vom Immunsystem als fremd erkannt würden. Nur wenn Empfänger und Spender identisch wären, ließe sich dieses Problem aus der Welt schaffen. „Theoretisch könnten Bauchspeicheldrüsen-Zellen beim Neugeborenen entnommen werden, um diese dann vorsorglich einzulagern“, denkt Sputtek laut nach. „Aber wer will so etwas ethisch vertreten?“
Die Forscher um Zimmermann hoffen, eine andere Antwort auf diese Frage geben zu können: In den Tierversuchen haben sie die Zellen mit Alginat, der Gerüstsubstanz der Algen, ummantelt. Dank der Tarnkappe bemerkt das Immunsystem der Mäuse die fremden Zellen nicht. Das Insulin wandert dagegen durch die Hülle. So wäre jede Gewebespende für den Patienten geeignet. Die Forscher müssen nun das Volumen an Alginat verringern, da ein Transplantat für den Menschen sonst zu groß wäre.