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Überfischung: Aquakultur ist keine Lösung

Erde|Umwelt

Überfischung: Aquakultur ist keine Lösung
Aquakultur
Fischzucht in Aquakultur. © Tapani Hellman

Lange bestand die Hoffnung, dass wir die Überfischung der Meere abwenden können, indem wir Fische, Algen und Muscheln einfach selbst züchten. Doch dieses System der Aquakultur ist nicht nur ökologisch umstritten, es wird auch nicht ausreichen, um den weltweiten Bedarf zu decken, wie Wissenschaftler nun errechnet haben. Demnach wächst die Produktion mittels Aquakultur schlicht zu langsam, um jemals die Weltbevölkerung ernähren zu können. Außerdem sind die Zuchtstationen global sehr ungleich verteilt, was einige Länder langfristig benachteiligen würde.

In der Aquakultur werden Wasserlebewesen wie Fische, Garnelen, Algen und Muscheln gezielt gezüchtet und in großen Käfigen oder Netzen gehalten. Während Algen und Muscheln ihre Nahrung einfach aus dem Wasser herausfiltern können, müssen Fische und Garnelen gefüttert werden. Ihre Nahrung besteht meist aus Fischmehl und -öl, das von Wildfischen stammt. Weil dafür trotzdem Fische gefangen werden müssen und das Fischfutter zudem das Meer verunreinigt und überdüngt, ist die Aquakultur umstritten. Dennoch wurde das System der Aquakultur beziehungsweise des Aquafarmings lange Zeit als Möglichkeit gehandelt, sich weitestgehend unabhängig von Wildfischbeständen zu machen, die Welt also ohne Überfischung der Meere ernähren zu können.

Bilanz aus 70 Jahren Aquakultur

Ob das wirklich so einfach geht, haben nun Forschende um Rashid Sumaila von der kanadischen University of British Columbia hochgerechnet. Dafür werteten sie öffentlich zugängliche Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen aus. Darin waren die Produktionsmengen von gezüchteten Wassertieren und -pflanzen zwischen 1950 und 2018 für verschiedene Länder aufgeführt. Sumaila und seine Kollegen ermittelten daraus zunächst die zehn am häufigsten gezüchteten Arten und die führenden Fischzuchtländer weltweit.

Um herauszufinden, ob sich die Weltbevölkerung mit den gezüchteten Fischen, Muscheln und Algen ernähren lässt, errechnete das Team um Sumaila außerdem, wie stark die Produktion beliebter Meereslebwesen in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Anhand dessen prüfte es, ob die Menschheit im Jahr 2030 ihren Bedarf nach Fischen und Meeresfrüchten durch Aquakultur decken könnte. 173 Millionen Tonnen Wasserlebewesen wären dazu nötig, wie die Forschenden errechneten. Aktuell produzieren wir jedoch gerade einmal 82,2 Millionen Tonnen. Das Ziel ließe sich also nur mit hohen Wachstumsraten erreichen.

Welthunger nicht durch Aquafarmen zu sättigen

Doch das ist nicht in Aussicht: „Wir zeigen, dass die Wachstumsraten in der Aquakultur in allen untersuchten Fällen ihren Höhepunkt bereits erreicht haben und nun rückläufig sind“, berichten Sumaila und seine Kollegen. Dieser Höhepunkt habe bereits im Jahr 1996 stattgefunden. Zwar nimmt die Produktion der zehn wichtigsten Zuchtarten seitdem trotzdem weiter zu, aber dieser Zuwachs wird immer kleiner. Am stärksten von diesem Rückgang betroffen ist laut Forschenden die Aquakultur des Atlantischen Lachses. Lag ihre Zuwachsrate 1970 noch bei 314 Prozent, so ist sie mittlerweile auf 0,9 Prozent gesunken.

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„Der globale Hunger nach Fisch und Meeresfrüchten kann nicht hauptsächlich durch Aquakultur gesättigt werden“, fasst Co-Autor Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel zusammen. Selbst mit technologischen Innovationen ließe sich der Rückstand nicht mehr aufholen. Davon abgesehen würden mehr Tiere auch nicht direkt mehr Nahrung bedeuten. Große Aquafarmen sind nämlich anfällig für Krankheiten und giftige Algenblüten.

Rückkehr zur Fischerei empfohlen

Selbst wenn es technologisch, ökologisch und wirtschaftlich machbar wäre, den gesamten oder zumindest den größten Teil des weltweiten Fischbedarfs aus Aquafarmen zu decken, gibt es laut Forschenden trotzdem noch einen ethischen Grund, der dem entgegenstehen würde. Die Aquakultur-Produktion ist weltweit nämlich sehr ungleich verteilt. 90 Prozent der gesamten Produktion entfallen auf Asien, 60 Prozent allein auf China. Die verbliebenen zehn Prozent teilen sich auf die anderen Kontinente auf, wobei Europa einen Anteil von vier Prozent hat. Dieses Ungleichgewicht hätte langfristig zur Folge, dass viele Länder ihren Bedarf nur dann decken können, wenn sie Wassertiere aus Asien importieren, erklären die Forschenden. Das wäre teuer und würde vor allem in Entwicklungsländern zu Hunger führen.

Sumaila und seine Kollegen plädieren dafür, nicht ausschließlich auf Aquakultur zu setzen, sondern zusätzlich nachhaltige Strategien für den Fang von Wildfisch zu entwickeln. „Ein Umbau der Fischereiwirtschaft zu einer ökologisch verträglichen Fischerei böte ein deutlich höheres Zukunftspotential“, erklärt Froese. So könnte alleine Europa seine Fangmengen um etwa fünf Millionen Tonnen steigern, wenn es die Fischerei wieder aufbauen und ordnungsgemäß bewirtschaften würde. Das wäre mehr als die jährliche Ausbeute, die Europa aktuell aus seinen Aquafarmen bezieht. Gleichzeitig könnte eine umfassende Neuregelung der Fischerei auch verhindern, dass durch den Fang von Futterfischen für die Aquakultur die marine Artenvielfalt indirekt leidet.

Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel; Fachartikel: Frontiers in Marine Science, doi: 10.3389/fmars.2022.984354

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