Das Unbewusste trifft häufig schon eine Entscheidung, bevor man sich bewusst festgelegt hat, haben italienische und kanadische Forscher gezeigt: Selbst wenn ihre Probanden überzeugt waren, sich noch nicht für eine von zwei Möglichkeiten entschieden zu haben, ließ sich in ihrem Unbewussten bereits eine deutliche Präferenz nachweisen. In den meisten Fällen fand sich diese Tendenz in den später bewusst gefällten Entscheidungen wieder. Würden Meinungsforscher also beispielsweise vor einer politischen Wahl die automatischen Assoziationen noch unentschlossener Wähler untersuchen, könnten sie den Wahlausgang besser vorhersagen, lautet das Fazit der Forscher.
Silvia Galdi und ihr Team rekrutierten für ihre Studie 129 Freiwillige aus der norditalienischen Stadt
Vicenza. Dort gibt es eine heftige kontroverse Debatte um den Ausbau eines US-Militärstützpunktes, die die Forscher als Basis für ihre Untersuchung verwendeten. Von den 129 Probanden waren 97 entweder für oder gegen die Erweiterung, während die restlichen 33 angaben, sich noch nicht entschieden zu haben. Alle Befragten nahmen an zwei Testrunden im Abstand von einer Woche teil, die jeweils aus mehreren Teilen bestanden: Zuerst sollten ihren Standpunkt ? dafür, dagegen oder unentschieden ? angeben. Anschließend füllten sie einen Fragebogen aus, in dem sie ihre Ansicht zu den ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen der geplanten Erweiterung beschrieben. Als letztes wurden ihnen in rascher Folge Bilder der Basis und positive sowie negative Begriffe gezeigt, die sie so schnell wie möglich kategorisieren sollten.
Im zweiten Durchgang hatten sich 30 der 33 zuvor Unentschlossenen für einen Standpunkt entschieden. Der Vergleich mit den Testergebnissen zeigte: In mehr als 70 Prozent der Fälle hatte sich bereits eine Woche zuvor in dem Kategorisierungstest abgezeichnet, wie die Entscheidung ausfallen würde. Normalerweise hängt eine Entscheidung davon ab, welche Informationen jemandem zur Verfügung stehen und wie seine persönliche Gewichtung dieser Informationen ist, erläutern die Forscher. Die unbewusst ausgebildete Präferenz beeinflusst demnach entweder die Wahrnehmung weiterer Informationen zugunsten eines Standpunktes, oder sie verändert die Gewichtung eines Arguments. Menschen haben daher manchmal schon eine Meinung gebildet, obwohl sie dies noch nicht wissen, schreiben sie.
Interessanterweise habe sich auch ein umgekehrter Effekt gezeigt: Bei den Probanden, die sich bereits entschieden hatten, war in der ersten Testrunde nicht unbedingt eine Übereinstimmung zwischen dem Standpunkt und den unbewussten Assoziationen messbar. In der zweiten Runde eine Woche später hatten sich die automatischen Reaktionen bei einer Reihe der Teilnehmer jedoch der vertretenen Position angenähert. Die bewusst angeführten Argumente stärken demnach diejenigen Assoziationen, die die eigene Meinung stützen.
Silvia Galdi (Universität Padua) et al.: Science, Bd. 321, S. 1100 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel