Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Ungewöhnliche Riesenviren entdeckt

Erde|Umwelt

Ungewöhnliche Riesenviren entdeckt
Tupanvirus
Tupanviren im Elektronenmikroskop (Foto: Abrahao et al./ Nature Communications, CC-by-sa 4.0)

Es gibt Viren, die so groß sind wie Bakterien und auch sonst verblüffend zellähnliche Merkmale besitzen. Zwei neue Vertreter solcher Riesenviren haben nun Forscher in Brasilien entdeckt. Die sogenannten Tupanviren sind nicht nur sehr groß, sie tragen auch einen ungewöhnlich langen und dicken Schwanz. Ihr Erbgut enthält zudem mehr Gene für die Proteinbiosynthese als jedes andere bisher bekannte Virus. Um selbst Proteine herzustellen, fehlt ihnen eigentlich nur ein Ribosom – die Proteinfabrik der Zellen.

Sie gelten nicht einmal als Lebewesen und bevölkern doch nahezu alle Lebensräume der Erde: Viren sind ein Erfolgsmodell der Evolution. Ihre Strategie ist dabei die radikale Verschlankung ihres Genoms: Viren können ihr Erbgut nicht selbst replizieren und auch selbst keine Proteine produzieren. Ohne ihren Wirt sind sie daher vermehrungsunfähig. Ihnen fehlen die für die Translation nötigen Enzyme und die RNA-Stücke, die den genetischen Code zu den Ribosomen, den Proteinfabriken der Zellen, bringen. Auch die Ribosomen selbst fehlen ihnen. Weil die Gene für die Codierung dieser ganzen Maschinerie nicht mehr nötig sind, besitzen die meisten Viren ein kleines, auf das Nötigste reduziertes Genom. Doch es gibt Ausnahmen: Inzwischen haben Forscher rätselhafte Riesenviren entdeckt, die alle gängigen Vorstellungen sprengen: Sie sind so groß wie kleine Bakterien und enthalten sehr viel mehr Erbgut als normalerweise bei Viren üblich. Sogar einige Gene für die Proteinbiosynthese wurden in der DNA dieser Riesenviren bereits entdeckt.

Zwei noch ungewöhnlichere Exemplare von Riesenviren haben nun Jonatas Abrahão von der Aix Marseille Universität und seine Kollegen aufgespürt. Für ihre Studie hatten sie Proben aus alkalischen Salzseen in Brasilien und aus Meeressedimenten in 3000 Metern Tiefe vor der Atlantikküste Brasiliens entnommen. Bei der mikroskopischen Analyse dieser Proben entdeckten die Forscher verschiedene Amöben, die von einem bisher unbekannten Typ von Riesenviren befallen waren. „Das Elektronenmikroskop enthüllte eine bemerkenswerte Struktur dieser Virionen“, berichten die Wissenschaftler. Denn die kapselförmige Hülle dieser Riesenviren war mit 450 Nanometern Größe nicht sehr groß, an diesem Kapsid hing auch noch ein im Mittel 550 Nanometer langer und 450 Nanometer dicker Schwanz. „Das ist der längste Schwanz, der je bei einem Virus beschrieben worden ist“, konstatieren Abrahão und seine Kollegen. Das gesamte Riesenvirus samt Schwanz kann dadurch bis zu 2,3 Mikrometer groß werden. „Das macht sie zu den größten Virenpartikeln, die bisher bekannt sind“, sagen die Forscher.

Ein fast kompletter Translations-Apparat

Noch mehr Überraschungen aber erlebten die Forscher als sie die DNA dieser Tupanviren getauften viralen Riesen analysierten. Wie sich zeigte, umfasst ihr Erbgut 1,4 und 1,5 Millionen Basenpaare und 1276 bis 1425 proteinkodierende Gene. „Das ist das viertgrößte virale Genom, das bisher bekannt ist“, so Abrahão und seine Kollegen. Zudem verfügen die Tupanviren über fast den gesamten Apparat, der zur Proteinbiosynthese benötigt wird. Die Forscher identifizierten bis zu 70 verschiedene Transport-RNAs (tRNA), Enzyme für den Zusammenbau aller 20 Aminosäuren und elf Faktoren, die für die Translation wichtig sind. Außerdem enthielt das Virengenom auch Bauanleitungen für Proteinmodifikationen und die Reifung der tRNA. „In diesem Translationsbezogenen Gensatz fehlt eigentlich nur das Ribosom“, konstatieren die Forscher. „Damit besitzen die Tupanviren den vollständigsten Translations-Apparat aller bekannten Viren.“

Die Entdeckung der Tupanviren erweitert damit nicht nur das Spektrum der bisher bekannte Riesenviren. Es lässt auch die Grenze zwischen Viren und Lebewesen noch weiter verschwimmen. Denn die Tupanviren besitzen zumindest genetisch einen großen Teil der Zellmaschinerie, die bislang als typisch nur für Bakterien und andere zelluläre Organismen galt. „Diese Entdeckung bringt uns einen Schritt weiter auf dem Weg, die Evolutionsgeschichte der Riesenviren zu verstehen“, sagen Abrahão und seine Kollegen. Denn bisher ist unklar, wie diese rätselhaften Zwitter aus Viren und echten Zellen entstanden sind. Theoretisch könnten ihre Vorfahren normale Viren gewesen sein, die im Laufe der Zeit immer mehr Gene von ihren Wirten übernommen haben. Alternativ wäre aber auch möglich, dass die Riesenviren aus zellulären Vorgängern hervorgingen, die im Laufe der Zeit den größten Teil ihrer Zellmaschinerie wieder reduzierten. Welches dieser Szenarien zutrifft, ist bisher allerdings noch offen.

Anzeige

Quelle: Jonatas Abrahão  (Aix Marseille Universite, Marseille) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-018-03168-1

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Ges–Dur  〈n.; –; unz.; Mus.; Abk.: Ges〉 auf dem Grundton Ges beruhende Dur–Tonart

Mon|o|kel  auch:  Mo|no|kel  〈n. 13〉 optisches Glas für ein Auge; … mehr

Tag|fal|ter  〈m. 3; Zool.〉 1 〈i. w. S.〉 am Tage fliegender Schmetterling 2 〈i. e. S.〉 Angehöriger einer Überfamilie der Schmetterlinge, fast stets bei Tage fliegend, in den meisten Fällen mit am Ende keulen– od. knopfartig verdickten Fühlern: Papilionoidae … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige