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„Unser Land geht einen anderen Weg“

Interview mit dem Botschafter Ecuadors

“Unser Land geht einen anderen Weg”
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Jorge-Jurado Copyright: Christoph Behrens
Ecuadors Botschafter Jorge Jurado über das Konzept des “Buen Vivir”, Alexander von Humboldt und Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel – und wie sein Land dauerhaft verhindern will, dass jemals im Nationalpark Yasuni nach Erdöl gebohrt wird.

Jorge-Jurado---Copyright-Christoph-Behrens_250.jpgnatur: Herr Botschafter, Ihr Land plant, große Ölvorräte in einem Naturschutzgebiet nicht anzutasten, sofern die Welt dafür 3,5 Milliarden US-Dollar bezahlt – die Hälfte der erwarteten Einnahmen. Sie selbst haben die „Yasuní-ITT”-Initiative als „wichtigstes Projekt der Welt” bezeichnet. Stehen Sie noch immer dazu?
Jurado: Ja, denn es gibt kein anderes Umweltprojekt, das so viele Ziele gleichzeitig verfolgt. Erstens den Klimaschutz: Indem wir das CO2 aus dem Öl nicht freisetzen, bremsen wir die Erwärmung der Atmosphäre. Und wir schützen die einmalige Artenvielfalt im Nationalpark Yasuní. Auf einem einzigen Hektar stehen dort mehr Baumarten als in ganz Nordamerika zusammen, die obendrein CO2 binden. Außerdem schützen wir vom Aussterben bedrohte Menschengruppen, etwa Stämme der Huaorani, wenn das Öl in ihrem Lebensraum im Boden bleibt. Wir wollen mit der Initiative beweisen, dass es einen anderen Weg der Entwicklung geben kann, der nicht mehr auf der Ausbeutung unserer Natur beruht. Bis jetzt war die Entwicklung immer stark auf die Gewinnung von Rohstoffen fokussiert.

Sie selbst haben Energietechnik in Berlin studiert. Gleichzeitig wollen Sie 850 Millionen Barrel Öl nicht antasten. Schmerzt es Sie als Ingenieur denn nicht, diese Ressourcen ungenutzt zu lassen?
Als Techniker habe ich genau gesehen, dass es wesentlich bessere Energie-Alternativen gibt. Wir haben im Land genügend andere Ressourcen – etwa Wasser – mit denen wir unseren Energiebedarf decken können. Die fossilen Energieträger könnten für wertvollere Produkte, zum Beispiel Kunsstoffe, genutzt werden, als sie einfach als Kraftstoffe zu verbrennen. Das schmerzt mich: dass wir als Menschheit, obwohl wir die Technik längst haben, das Erdöl nicht besser verwenden als bisher. Wir suchen in Ecuador ja immer noch nach Erdöl, nur eben nicht in Yasuní, das ist unser Kompromiss.

Sie haben viel Lob für die Idee bekommen, das Öl im Gegenzug für Kompensationszahlungen im Boden zu lassen. Dennoch sind seit 2007 noch längst nicht die geforderten Millionen auf dem UN-Treuhandfonds eingegangen. Ihr Präsident Rafael Correa hat gesagt, die Initiative habe viel weniger eingenommen als erhofft, Sie selbst haben die finanzielle Situation als „nicht rosig” bezeichnet. Scheitert die Initiative?
Wir haben von fast jeder Regierung auf der Welt viel politischen Rückhalt bekommen. Als es jedoch an das Finanzielle ging, an konkrete Zusagen, gab es große Schwierigkeiten. Es läuft viel zu langsam, aber es läuft. Bis jetzt haben wir nach den jüngsten Zahlen rund 338 Millionen US-Dollar erreicht. Was wir schaffen wollen, sind 3,5 Milliarden – binnen 13 Jahren.

Aber wir sind ja schon bei fünf Jahren …
Wir rechnen die ersten Jahre als Anlaufzeit. 2010 sollte die Rechnung ungefähr starten. Ende 2010 hatten wir 100 Millionen geschafft, jetzt sind es 238 mehr. Für uns ist das Projekt zu wichtig, als dass wir es aufgrund von Startschwierigkeiten aufgeben würden. Unser Land steht felsenfest dahinter, und wir möchten es mit allen Mitteln zum Erfolg führen.

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Dennoch wurden Ende November weitere Lizenzen zur Erdölförderung vergeben – ein Warnschuss an die Welt, sollte nicht bald genug Geld zusammenkommen?
Das stimmt nicht, wir haben noch keine neuen Lizenzen vergeben, sondern eine Ausschreibung gestartet. Und um das klarzustellen: Nur in den Gebieten südlich des Yasuní-Nationalparks. Manche haben behauptet, es wären innerhalb des Parks neue Lizenzen vergeben worden. Das ist eine glatte Lüge.

Aber es geht ja auch um Block 31 im Park selbst …
Block 31 ist schon vor 15 Jahren vergeben worden, bevor die Yasuní-Initiative überhaupt existiert hat. Es geht dort um eine Bohrung, die 0,0036 Prozent der Oberfläche des Parks betreffen wird, wir sprechen von weniger als 150 Hektar. Es stimmt: Wir sind noch immer abhängig von unseren Ressourcen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei uns noch sehr viele Arme gibt, die auch Entwicklung brauchen. Wir konnten zwar in den letzten fünf Jahren eine Million Menschen aus der absoluten Armut befreien, und wir hatten im letzten Jahr ein Wirtschaftswachstum von 7,8 Prozent. Aber es gibt immer noch große Armut, es gibt immer noch Kinder, die nicht zur Schule gehen. Also müssen wir einen Balanceakt hinbekommen. Aber dafür brauchen wir Geld, und deshalb müssen wir noch immer unsere
Naturressourcen nutzen.

Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel steht Yasuní-ITT sehr ablehnend gegenüber. Niebel hat gesagt, „ich gebe kein Geld fürs Nichtstun”, also für das Unterlassen einer Erdölförderung. Was haben Sie gedacht, als Sie das gehört haben?
Ich war äußerst erstaunt und konnte es lange nicht nachvollziehen. Aber das ist die Meinung von einem einzelnen Minister. Eines kann ich versichern: Wir sind keine Nichtstuer. Wir tun eine ganze Menge. Gerade so ein Projekt auf die Beine zu stellen, zeigt deutlich, dass wir nicht nur finanziell und wirtschaftlich etwas tun, sondern auch stark an ganz neuen Konzepten arbeiten. Zum Beispiel darf Wasser in Ecuador kein Privateigentum mehr sein, sondern ist ein fundamentales Menschenrecht. In unserer neuen Verfassung sind die Rechte der Natur explizit verankert. Wir haben genügend Beweise auf den Tisch gelegt, dass Ecuador sich gerade zu einem der interessantesten und umweltpoltisch radikalsten Länder der Welt entwickelt. Die neue Verfassung erwähnt das Konzept des „Buen Vivir”, das „gute Leben” … Sie beruht sogar darauf!

Was verstehen Sie darunter?
Ein „Leben in Würde” ist die beste Übersetzung. Damit ein Mensch in Würde leben kann, müssen seine Grundbedürfnisse gestillt sein, und er muss sich entfalten können. Dieses Wachstum soll aber innerhalb enger Grenzen erfolgen. Wir wollen kein Ungleichgewicht in der Natur. Entwicklung sollte im Einklang mit der Natur stattfinden. Dieser Gleichklang und diese Würde machen für mich das „Buen Vivir” aus.

Die UN und die EU operieren mit ähnlichen Vorstellungen von einer „Green Economy”. Auch hier soll sich die Wirtschaft nachhaltig entwickeln. Warum lehnen Sie das ab?
Für uns ist die „Green Economy” nicht genug. Sie ist immer noch mit den gleichen ökologischen Makeln behaftet. „Business as usual” mit einem kleinen grünen Anstrich ist für uns keine Umwälzung der Wirtschaft. Ich halte das System der Mainstream-Economy nicht für gewillt, sich von dem Konzept eines unbegrenzten Wachstums zu verabschieden. Ecuador ist jetzt auf einem anderen Weg.

Auch Sie geben dem ITT-Gebiet einen genauen Wert – 3,5 Milliarden Dollar. Das könnte man doch ebenso als Green Economy bezeichnen …
Es geht uns nicht vorrangig um die finanzielle Bewertung. Sie ist für uns lediglich ein Mittel, um unsere Ziele – etwa eine eigene Energiewende – erreichen zu können. Im Unterschied zur Green Economy vergessen wir nicht die wirklichen Werte, also was die Natur für den Menschen und das Leben bedeutet. Im Gegenteil: Wir kehren mit „Buen Vivir” stark zu den Gedanken unserer Vorfahren zurück, die im Einklang mit der Natur gelebt haben. Aber das Konzept ist nicht starr, es soll sich auch aktuellen Entwicklungen wie dem Klimawandel anpassen können.

Spüren Sie denn schon konkrete Auswirkungen des Klimawandels in Ecuador?
Im Regenwald noch nicht, aber im Hochland. Als Alexander von Humboldt bei uns forschte – vor etwas mehr als 200 Jahren –, beschrieb er einen Gletscher am Pichincha – das ist unser Hausvulkan nahe der Hauptstadt Quito. Ich habe nie in meinem Leben einen Gletscher am Pichincha gesehen. Und auf allen anderen mit dauerhaftem Schnee bedeckten Vulkanen ziehen die Gletscher sich zurück. In 50 Jahren haben wir wahrscheinlich fast keinen Schnee mehr und damit auch viel weniger Wasser. Wir steuern auf große ökologische Probleme zu.

Yasuní-ITT gilt als Kernstück des Buen Vivir, mit den Einnahmen daraus möchten Sie „eine eigene ecuadorianische Energiewende” finanzieren. Falls die Initiative scheitert, scheitert dann auch Ihre Politik einer nachhaltigen Entwicklung?
Sie wird sich sicher verlangsamen. Aber nicht scheitern! Wir arbeiten jetzt schon auf diese Energiewende hin. Aufgrund verfehlter Wirtschaftspolitik stecken wir heute in einer widersprüchlichen Situation. In den letzten 30 Jahren wurden praktisch alle Projekte zur Nutzung anderer Ressourcen im Land auf Eis gelegt. Die Politiker gaben sich nur mit den Öleinnahmen zufrieden. Jetzt sind wir zwar Erdölförderland, haben jedoch bislang nicht einmal eine Raffinerie, um diese Mengen zu verarbeiten. Wir müssen also trotzdem Kraftstoff importieren, um diesen dann wieder zu verbrennen. Eine irrationale Situation. Und zur Stromerzeugung bräuchten wir kein Öl, da haben wir genug Potenzial für Wasserkraftwerke.

Wäre es da nicht einfacher, nur eine Raffinerie zu bauen?
Das tun wir auch, vor allem um Öl noch besser exportieren zu können. Aber zugleich arbeiten wir an 14 großen Wasserkraft-Vorhaben, die enorme Höhenunterschiede ausnutzen, um Energie zu erzeugen. Das größte Kraftwerk wird 2016 fertiggestellt, dann soll Ecuador auch Strom exportieren. Wir haben die Energiewende also schon selbst begonnen. Durch die Mittel von Yasuní-ITT könnten wir sie allerdings noch beschleunigen.

Warum sind die Geldgeber so zögerlich? Glauben Sie, die Welt ist noch nicht reif für die Idee?
So könnte man es sagen. Es ist ja auch eine enorme Umwälzung, die nicht zuletzt in den Köpfen stattfinden muss. Viele Länder sind sowohl wirtschaftlich als auch finanziell und politisch noch nicht so weit, um das zu akzeptieren. Irgendjemand musste anfangen, und ich bin sehr froh, dass mein Land den ersten Schritt getan hat.

Interview und Foto unten von Christoph Behrens. Das Interview erschien in unserer Ausgabe vom März 2013 innerhalb eines Schwerpunktes zum Thema Wildnis.

Zum Gesprächspartner
Jorge Jurado gilt international als einer der engagiertesten Verfechter der Yasuní-ITT-Initiative Ecuadors, benannt nach den Ölquellen Ishpingo, Tambococha und Tiputini, die unter dem Yasuni Nationalpark liegen. Ecuador will sie unangetastet lassen, um die Natur zu schützen. Botschafter Jurado hat über 20 Jahre Erfahrung im technischen Umweltschutz und war zwei Jahre Minister für Wasser. In den 70er Jahren hat der 59-jährige Diplom-Ingenieur an der TU Berlin Energietechnik studiert.

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© natur.de – natur Redaktion
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