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Unwetterwarnung aus dem All

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Unwetterwarnung aus dem All
Sonnenstürme können auf der Erde großen Schaden anrichten. Wissenschaftler suchen nach Wegen, um sie zuverlässig vorherzusagen.

Den 13 . März 1989 werden die Manager von Hydro-Quebec nicht so schnell vergessen. Neun Stunden lang fiel das Netz des kanadischen Stromversorgers aus: Sechs Millionen Menschen in der Provinz Quebec waren in den frühen Morgenstunden ohne Elektrizität – bei Temperaturen von minus 15 Grad. Die Ursache für den Blackout war überirdischer Natur: Vier Tage zuvor hatte sich von der Sonne eine gigantische Materiewolke gelöst, die am 13. März gegen 3 Uhr die Erde traf und die Intensität des irdischen Magnetfelds heftig schwanken ließ. In den Hochspannungsleitungen wurden so starke Ströme induziert, dass das Netz von Hydro-Quebec zusammenbrach.

Nicht nur in Kanada waren die Folgen dieses geomagnetischen Sturms zu spüren. Weiter südlich, in New Jersey, brannte ein 36 Millionen US-Dollar teurer Transformator nieder, nachdem er einen starken Spannungsstoß aus einer Überlandleitung abbekommen hatte. Weltweit waren die Funkverbindungen gestört und ein Teil der Steuerelektronik eines japanischen Kommunikationssatelliten fiel aus. Polarlichter, die man sonst nur in hohen geographischen Breiten zu sehen bekommt, waren sogar in Mexiko, der Karibik und im Mittelmeerraum zu bestaunen. Der Rückversicherer Münchner Rück setzte den volkswirtschaftlichen Schaden des Ereignisses später auf eine Milliarde US-Dollar fest.

erste warnzeichen

„Der 13. März 1989 war sicher ein extremer Fall von schlechtem Weltraumwetter. Aber er zeigt, was passieren kann, wenn es auf der Sonne rund geht“, sagt Norbert Jakowski. Der Wissenschaftler ist Projektmanager des „Space Weather Application Center – Ionosphere“ (SWACI) in Neustrelitz, einem Forschungsprojekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. SWACI achtet auf die ersten Zeichen von schlechtem Weltraumwetter. Es misst die Schwankungen der Elektronendichte in der oberen Atmosphäre, der sogenannten Ionosphäre. Sie entstehen durch die variable Sonnenstrahlung und Teilchenschauer von der Sonne. Zusammen mit weiteren aktuellen Daten über unser Zentralgestirn und das erdnahe All erstellen die Wissenschaftler daraus Ionosphären-Wetterkarten. „Derzeit können wir ungefähr eine Stunde im voraus eine Prognose abgeben – allerdings nicht für kleinräumige und kurzfristige Störungen“, sagt Jakowski. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass allein die abendliche Wettervorhersage im Fernsehen drei Tage in die Zukunft reicht – mit inzwischen beachtlicher Zuverlässigkeit. „Kein Wunder“, sagt Jakowski, „schließlich hat die meteorologische Forschung 100 Jahre Vorsprung.“ Rund 100 Kilometer weiter nördlich, in Greifswald, hat in diesem Frühjahr das Myonen-Teleskop MuSTAnG (Muon Spaceweather Telescope for Anisotropies Greifswald) seinen Betrieb aufgenommen. MuSTAnG gehört zu einem Netz aus fünf Beobachtungsstationen, die auf vier Kontinente verteilt sind.

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„Wir wollen die Ankunftszeiten von Materiewolken, die die Sonne ausgestoßen hat und die sich negativ auf die Erde auswirken können, mit einem Tag Vorlaufzeit vorhersagen“, sagt Rainer Hippler, Professor am Institut für Physik der Universität Greifswald. MuSTAnG ist ein weiterer Baustein, um das Weltraumwetter frühzeitig zu erkunden.

heftige Explosionen

Denn obwohl die Sonne 150 Millionen Kilometer von uns entfernt ist, machen sich auf der Erde nicht nur ihre wärmenden Strahlen bemerkbar. In den oberen Schichten der solaren Gaskugel geht es im wahrsten Sinne des Wortes heiß her. Wie in einem kochenden Wassertopf steigen 5500 Grad heiße Blasen auf, verwirbeln dabei und verzerren durch ihre elektrische Ladung das Magnetfeld. Die Folge können heftige Explosionen sein, die vor allem im Röntgen- und ultravioletten Licht zu sehen sind. Oft kommen sie unerwartet und lösen einen Schwall hochenergetischer Strahlung und Teilchen aus, die in Richtung Erde treiben.

Astronauten in lebensgefahr

Innerhalb von acht Minuten erreicht diese Strahlungswolke den erdnahen Weltraum. Ihr energiereicher Teil wird von der Erdatmosphäre zwar zum Glück abgefangen, doch er kann trotzdem die empfindliche Elektronik von Satelliten stören. Und er führt zu Veränderungen in der Ionosphäre, was sich wiederum auf den Funkverkehr und die Signale von Navigationssatelliten auswirken kann. Als nächstes kommen schnelle Elektronen an, die für Astronauten bei Außenbordmanövern sogar lebensgefährlich sein können. Derzeit erarbeiten Wissenschaftler – maßgeblich Physiker der Universität Kiel – für die NASA ein neues Verfahren, das solche Ereignisse und deren Stärke mit einer Vorwarnzeit von mindestens einer Stunde zuverlässig prognostizieren soll.

Nach ein bis zwei Stunden erreichen schließlich die ersten Protonen und schweren Atomkerne die Erde. Sie können einen geomagnetischen Sturm auslösen – wie im März 1989. Die Industriegesellschaften reagieren empfindlich auf solche Ereignisse, weil viele Lebensbereiche von Hochtechnologie abhängig sind. Sehr heftige Stürme sind – wie beim irdischen Wetter – allerdings selten. Die Australian Academy of Science veröffentlichte vor Kurzem einen Erfahrungswert von „einer Handvoll Ereignissen im Lauf von fünf bis zehn Jahren“. Gefährdet sind vor allem die hohen geographischen Breiten, weil dort wegen der Struktur des Erdmagnetfelds besonders viele geladene Teilchen in die Atmosphäre gelangen. Je heftiger ein Weltraumwetterereignis ausfällt, desto weiter reichen seine Auswirkungen in Richtung Äquator.

Der Flugverkehr hat Probleme, wenn das Weltraumwetter schlecht ist. Auf polaren Routen, die Städte in den USA und Asien verbinden, sind Besatzung und Passagiere sowieso höheren Strahlungsdosen ausgesetzt als bei vergleichbaren Flügen in anderen Gegenden der Erde. Während das für die Passagiere, die nicht oft fliegen, kein Problem ist, besteht für die Flugzeugbesatzung durchaus ein gesundheitliches Risiko. Bei sehr starken geomagnetischen Stürmen werden die polaren Fluglinien deshalb gar nicht genutzt. Laut Schätzungen der Australian Academy of Science belaufen sich die Mehrkosten dafür auf 10 000 US-Dollar pro umgeleitetes Flugzeug. Auch Hochspannungsleitungen sind durch geomagnetische Stürme beeinträchtigt. Der Grund sind die dabei induzierten starken elektrischen Ströme. Pipelines aus Metall sind möglicherweise ebenfalls in Gefahr, doch darüber streiten sich die Experten noch. Es gibt Untersuchungen, die auf eine schnellere Korrosion von Röhren hinweisen, die starken geomagnetischen Stürmen ausgesetzt sind. Doch Ristoi Pirjola, Wissenschaftler am Finnischen Meteorologischen Institut in Helsinki, der die Auswirkungen geomagnetischer Stürme intensiv untersucht hat, weist auf Widersprüche in den Ergebnissen hin.

Lecks in Versorgungsleitungen gehören zum Arbeitsalltag von Jürgen Rüffer. Er ist Geschäftsführer des Vermessungsdienstleisters Allsat aus Hannover, der für Eon Ruhrgas den deutschen Satellitenreferenzdienst Ascos betreibt. „ Bei einem Leck muss eine Versorgungsleitung innerhalb von 30 Minuten gefunden werden, auch wenn sie unterirdisch verläuft“, erklärt Rüffer. Damit dies gelingt, brauchen die Wartungsteams vor Ort genaue Referenzsignale. Allsat liefert sie dank eines ausgeklügelten Verfahrens, das die Signale der GPS- und Glonass-Navigationssatelliten nutzt. „Dabei geht es um Genauigkeiten von zehn Zentimetern“, betont Rüffer. Schlägt das Weltraumwetter Kapriolen, ändern sich die Laufzeiten der Navigationssatellitensignale. „Dann müssen die Wartungsteams vor Ort den Messmodus ändern, sonst funktioniert das Verfahren nicht.“ Informationen über den Zustand der Ionosphäre sind dafür unerlässlich.

500 Millionen Dollar Schaden

Die größten Probleme mit dem Weltraumwetter haben Satelliten. Denn hochenergetische Teilchen und die Strahlung der Sonne können die empfindliche Elektronik der Satelliten stören oder gar zerstören. Da Satelliten für Fernsehen, Telefonverbindungen und Navigation zuständig sind, bringen ihre Störungen den Alltag vieler Menschen durcheinander. Laut dem Wirtschaftsverband Satellite Industry Association machte die kommerzielle Satellitenbranche im Jahr 2005 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – weltweit einen Umsatz von 88,8 Milliarden Dollar. Eine Störung oder ein Ausfall geht da gewaltig ins Geld.

In den USA ist die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) für Weltraumwetterdaten zuständig. Auf mehr als 500 Millionen Dollar beziffert die NOAA die Kosten aufgrund von Satellitenausfällen durch schlechtes Weltraumwetter zwischen 1994 und 1999. Doch die Betreiber von Satelliten können vorsorgen, indem sie aktuelle Weltraumwetterdaten zu Rate ziehen – etwa von der NOAA: Stürmt es auf der Sonne heftig, können sie ihre Satelliten vorsichtshalber in einen Ruhemodus versetzen. Dann ist die Gefahr deutlich geringer, dass empfindliche Instrumente an Bord beschädigt werden – oder dass der ganze Satellit ausfällt.

Für sehr viele Störungen gilt: Wüsste man früher und zuverlässiger Bescheid, könnte man das Schlimmste verhindern. Astronauten würden nicht mehr ungeschützt im All arbeiten, Satelliten würden in ihren Ruhemodus versetzt, und man könnte Vorkehrungen in Stromversorgungsnetzen treffen. Doch bislang ist eine zuverlässige Weltraumwettervorhersage nicht möglich. Besonders die Frage, wie heftig ein Ereignis ausfällt, können selbst Experten noch nicht beantworten.

Daten Dringend gesucht

„Die für die Aktivität der Sonne verantwortlichen physikalischen Prozesse sind bislang nicht voll verstanden“, bedauert Alexander Warmuth, Sonnenforscher am Astrophysikalischen Institut Potsdam. „Wir brauchen mehr und genauere Daten, damit die Theoretiker ihre Modelle deutlich verbessern können.“ Nicht einmal den Verlauf der Sonnenaktivität, der grob einem elfjährigen Zyklus folgt, lässt sich exakt voraussagen. Derzeit befinden wir uns in einem Minimum. Die Prognose für das nächste Maximum ist unsicher: Manche Forschern erwarten eine um 50 Prozent höhere Intensität als beim letzten Mal, andere eine um 40 Prozent geringere. Wegen der vielen offenen Fragen betreiben die Raumfahrtagenturen, allen voran NASA und ESA, eine ganze Armada von Sonnenforschungssatelliten. Primär geht es dabei um Grundlagenforschung – aber auch um die Auswirkungen des Weltraumwetters.

das Militär als treibende kraft

Seit den Neunzigerjahren befassen sich verschiedene Staaten intensiv mit dem Weltraumwetter, darunter Australien, Japan und die USA. Die europäische Raumfahrtagentur ESA hat mehrere Studien dazu in Auftrag gegeben. Vergangenen Herbst stellte sie eine Untersuchung über mögliche Dienstleistungen rund ums Weltraumwetter vor. „Das war eine reine Kosten-Nutzen-Betrachtung, keine Marktanalyse“, bremst Alexi Glover von der ESA Schlussfolgerungen, dass die Raumfahrtagentur über die kommerzielle Nutzung von entsprechenden Daten nachdenke.

Dabei gibt es zwischen den USA und Europa große Unterschiede – dort wird ein zentraler Ansatz bevorzugt, während hier viele Kompetenzen unter den einzelnen Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen sind. „Außerdem ist in den USA das Militär die treibende Kraft hinter der Weltraumwetterinitiative, in Europa sind es dagegen zivile Einrichtungen“, sagt Glover. In fünf Jahren, wenn das europäische Satellitennavigationssystem Galileo kommt, wird die Frage nach dem ökonomischen Nutzen wohl anders beantwortet. Allsat-Geschäftsführer Jürgen Rüffer weist darauf hin, dass die Luftfahrtbranche intensiv an automatischen Flugzeuglandungen mit Hilfe von Navigationssatelliten arbeitet: „ Da geht es nicht um Meter, sondern um Zentimeter.“ Natürlich hat die Flugsicherung entsprechend großes Interesse an Weltraumwettervorhersagen, „aber genaue, kurzfristige Prognosen mit entsprechender räumlicher Auflösung sind extrem schwierig“, gibt Rüffer zu bedenken.

Manche Experten sehen die Chancen, die Weltraumwetterdaten zu vermarkten, durchaus opimistisch – zum Beispiel Frank Jansen. Der Physiker, der in Greifswald seit 2001 eine private Weltraumwetterwarte betreibt, initiierte das MuSTAnG-Teleskop, macht für europäische Weltraumwetterprojekte Öffentlichkeitsarbeit und ist bei den einschlägigen europäischen Forschungsaktivitäten seit Anfang an dabei. Für den weltweit größten Rückversicherer Swiss Re hat er im Jahr 2000 an einer Studie über die Folgen des Weltraumwetters aus versicherungstechnischer Sicht mitgewirkt.

Jansen hält die Zeit für gekommen, Weltraumwetterdaten als Dienstleistung anzubieten. Zu seiner Zielgruppe gehören Fluggesellschaften, Stromversorger, Satelliten- und Pipelinebetreiber sowie Tourismusunternehmen in hohen geographischen Breiten. Kunden hat Jansen zwar noch keine, „aber mit zwei Fluggesellschaften stehe ich bereits in Verhandlung“. ■

MICHAEL VOGEL arbeitet als freier Journalist in der Nähe von Stuttgart. So gefährlich Weltraum-Unwetter sind – als er zwei Polarlichter sah, fand er sie schon faszinierend.

von Michael Vogel

Ohne Titel

· Nach heftigen Explosionen auf der Sonne treffen große Mengen energiereicher Teilchen und hochenergetischer Strahlung auf die Erde.

· Dieser Sturm kann Satelliten, Hochspannungsleitungen und Vermessungsinstrumente zerstören.

· Und er gefährdet die Gesundheit auf polaren Flugrouten.

COMMUNITY INTERNET

Europäisches Weltraumwetter-Portal:

www.spaceweather.eu/de

Weltraumwetter-Server der ESA:

esa-spaceweather.net

Space Environment Center der NOAA:

www.sec.noaa.gov

Publikation der Swiss Re zum Weltraumwetter:

www.swissre.com

(bei der Suchfunktion „space weather“ eingeben)

Europäische Öffentlichkeitsarbeit zum Weltraumwetter:

www.sweets2007.eu

Das MuSTAnG-Teleskop:

www.mustang.uni-greifswald.de

Hekktische Sonne: flecken grösser als die Erde

Sogar mit blossem Auge sichtbar war die Sonnenfleckengruppe der Aktiven Region 9196, hier fotografiert am 23. September 2000. Sie gehört zu den größten jemals beobachteten Erscheinungen dieser Art. Sonnenflecken werden von Magnetfeldern ausgelöst. Sie sind etwas kühler als die knapp 6000 Grad Celsius heiße Sonnenoberfläche und erscheinen deshalb dunkel.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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