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Urzeitlicher Blatt-Schlaf im Spiegel von Fraßspuren

Paläobotanik

Urzeitlicher Blatt-Schlaf im Spiegel von Fraßspuren
Symmetrisch angeordnete Fraßspuren an heutigen (rechts) und fossilen Blattstrukturen (links) verdeutlichen, dass Insekten an ihnen in einer gefalteten Nacht-Stellung genagt haben. Rechte Abbildung: © Stephen McLoughlin, linke: © Current Biology/Feng et al.

Ein faszinierendes Bewegungsverhalten einiger heutiger Pflanzen gab es offenbar schon vor Urzeiten, berichten Paläobotaniker: Bereits vor über 250 Millionen Jahren klappten manche Gewächse des Perm-Zeitalters ihre Blätter nachts zusammen. Dies konnten die Forscher anhand von charakteristisch symmetrischen Fraßspuren an fossilen Blättern nachweisen. Offensichtlich haben einst Insekten die Löcher in die Blätter genagt, als sich diese in einer vorübergehend geschlossenen Stellung befanden.

Wer ihnen geduldige Aufmerksamkeit schenkt, wird feststellen: Auch Pflanzen zeigen ein teils komplexes Bewegungsverhalten. Dies faszinierte bereits den altehrwürdigen Pionier der modernen Biologie, Charles Darwin. In seinem Werk „The Power of Movement in Plants“ aus dem Jahr 1880 berichtete er neben vielen Beispielen auch schon über ein Phänomen, das als Nyktinastie bezeichnet wird. Dabei bringen verschiedene Pflanzenarten nachts ihre Blätter in bestimmte Ruhestellungen.

Manche Blätter „legen sich schlafen“

Bei einigen Arten ist dies besonders deutlich erkennbar: Sie klappen am Abend ihre Blätter sorgfältig zusammen. Dabei fungiert die Hauptblattader als „Faltlinie“, sodass die beiden seitlichen Flächen aufeinanderliegen. Am Morgen bewirken bestimmte motorische Elemente dann wieder eine Öffnung der Blattspreite. Zu den Funktionen dieses Verhaltens gibt es allerdings noch einige offene Fragen. Es werden verschiedene Zwecke vermutet: Möglicherweise reduzieren die Pflanzen durch das Einklappen die nächtliche Wärmeabgabe oder vermeiden problematische Wasseransammlungen auf den Oberflächen. Möglicherweise machen sie ihre Blätter aber auch nachts für Fressfeinde unattraktiv oder bieten weniger Deckung, damit die Schädlinge leichter von nachtaktiven Raubtieren erbeutet werden können.

Man könnte meinen, dass es sich bei diesem komplex wirkenden Konzept um eine relativ moderne Entwicklung in der Evolutionsgeschichte der Pflanzen handelt. Doch wie ein internationales Team aus Paläobotanikern nun anhand von fossilen Blättern zeigt, ist das offenbar nicht der Fall. “Unsere Entdeckung beruht dabei auf einem eher unorthodoxen Ansatz”, sagt Seniorautor Stephen McLoughlin vom Schwedischen Museum für Naturgeschichte in Stockholm. Am Anfang der Studie stand die Feststellung, dass es bei Pflanzenblättern, die sich nachts schließen, zu charakteristischen Mustern von Fraßspuren durch Insekten kommen kann: Sie nagen dabei gleich beide der aufeinander liegenden Flächen an. Wenn sich das Blatt dann morgens öffnet, zeigen sich somit zwei spiegelbildlich angeordnete Lochstrukturen rechts und links der Faltachse.

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In geschlossener Stellung durchgenagt

Wie das Team berichtet, stießen sie auf genau solche Muster bei Blattfossilien aus China. Sie stammen von Pflanzen aus der Gruppe der sogenannten Gigantopteriden, die für die Flora des Permzeitalters vor etwa 300 bis 250 Millionen Jahren charakteristisch waren. Es ist bekannt, dass auch ihre Blätter bereits von Insekten angenagt wurden. Durch ihre umfangreichen Untersuchungen konnten die Forscher nun fossile Blätter identifizieren, bei denen sich das für die Nyktinastie typische symmetrische Muster deutlich zeigt. Es handelte sich dabei um ausgewachsene Blätter, die offenbar in einer nächtlichen Faltstellung von Insekten „durchschlagend“ angefressen worden waren.

“Unsere Ergebnisse belegen, dass diese Pflanzen bereits in einem so frühen Stadium der Pflanzenevolution nyktinastische Blattbewegungen entwickelt haben. Das hat mich ausgesprochen überrascht”, sagt Erst-Autor Zhuo Feng von der Yunnan-Universität in Kunming. McLoughlin führt dazu weiter aus: “Es scheint nun klar, dass sich das Schlafverhalten unabhängig voneinander in verschiedenen Pflanzengruppen und zu unterschiedlichen Zeiten im Laufe der Erdgeschichte entwickelt hat, sodass es offenbar einen erheblichen ökologischen Nutzen für die Pflanzen haben muss”, so McLoughlin.

Diesem interessanten Forschungsthema wollen sich die Wissenschaftler nun auch weiterhin widmen: Vielleicht lassen sich auch bei anderen fossilen Gruppen aus der Entwicklungsgeschichte der Pflanzen die charakteristischen Spuren von „Schlafverhalten“ nachweisen.

Quelle: Cell Press, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2022.12.043

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