Schon jetzt ist klar: Da unten lauern Dinge, von den wir nachts träumen – und womöglich schreiend aufwachen. Ein blinder Hummer, der mit einer sehr langen, dünnen Schere Jagd auf seine Opfer macht, ein kleiner Fisch mit riesigem Bauch, der Tiere essen kann, die größer als er selbst sind. Sogar von Laurentaeglyphea neocaledonica fand man im Korallenmeer vor Australien ein Exemplar – bisher hatten Forscher geglaubt, die Krabbe sei seit 50 Millionen Jahren ausgestorben.
Bis zu einer Million verschiedene Tierarten vermuten die Biologen in den Ozeanen. Erst 230.000 Arten, also gerade ein Viertel davon, kennen sie. Auch die Medizin hofft auf die Wunderwesen aus der Tiefe: Sie produzieren häufig Substanzen, die gegen Krankheiten helfen. Zum Beispiel entdeckte die Forscherin Shirley Pomponi von der Florida Atlantic University 1999 eine neue Meeresschwamm-Spezies. Die Schwämme produzieren Stoffe, die gegen Krebs wirken. „Die Anpassung an die extremen Gegebenheiten im Meer hat dazu geführt, dass die Lebewesen chemische Substanzen entwickelt haben, die nicht einmal ein hochtechnisiertes Computerprogramm herstellen kann“, sagt Pomponi.
Allein in den 90er Jahren isolierten Meeresbiologen etwa 2500 Stoffwechselprodukte, die gegen Krebs, also unkontrollierte Zellteilung, wirken. Ähnliche Erfolge verspricht man sich gegen Alzheimer, Malaria und Aids. Doch noch bevor das Ökosystem Meer vollständig erforscht ist, ist es schon akut bedroht. Bei der sogenannten „Grundschleppfischerei“ werden Netze entlang des Meeresbodens geschleift, um das Meer möglichst effizient zu plündern. Sensible Korallenriffe werden so plattgewalzt. „Mit einem Mal werden Ökosysteme, die tausende Jahre Wachstum brauchten, vollkommen zerstört“, sagte der Wiener Meeresbiologe Michael Stachowitsch der Agentur pressetext. „Das ist in etwa so, als walze man einen Wald nieder, um die dort lebenden Rehe zu erlegen.“ Die Forscher wollen mit dem Bericht Argumente für die Einrichtung maritimer Schutzzonen liefern.
Auch dient der „Census“ dazu, etwas Ordnung ins Wirrwarr der Tiefe zu bringen. Denn viele Arten sind bis jetzt doppelt und dreifach aufgeführt. Rekordhalter ist der Brotkrumenschwamm: Er besitzt 56 verschiedene lateinische Namen.