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Vom Kolonialismus geprägte Flora

Ökologie

Vom Kolonialismus geprägte Flora
Die Robinie ist ein Beispiel für eine Pflanzenart, die im Zuge des Kolonialismus auf der Welt verbreitet wurde. © Franz Essl

Kolonialer Signatur auf der Spur: In der Verbreitung von gebietsfremden Pflanzenarten auf der Welt spiegelt sich bis heute ein charakteristischer Einfluss der europäischen Machtentfaltung wider, berichten Forscher: Die Zusammensetzung der eingeschleppten Arten ähnelt sich in Gebieten deutlich, die einst von der gleichen Kolonialmacht kontrolliert wurden. Je länger die Herrschaft andauerte, desto klarer zeichnet sich dieser Zusammenhang dabei auch ab. In den Ergebnissen steckt sowohl historische als auch ökologische Bedeutung, sagen die Wissenschaftler.

Kaum eine Region unseres Planeten ist noch so, wie sie ursprünglich einmal war: Der Mensch hat schon vor Jahrtausenden damit begonnen, viele Ökosysteme durch komplexe Beeinflussungen stark zu verändern. Ein Faktor war dabei die Verschleppung von Pflanzenarten, die natürlicherweise nicht von bestimmten Regionen in andere gelangt wären. Befördert durch den Menschen wachsen heute weltweit Tausende von Spezies an Orten, wo sie einst nicht heimisch waren. In vielen Fällen reihen sie sich in die heimische Flora eher problemlos ein. Einige Arten können allerdings durch eine starke Ausbreitung Ökosysteme schädigen.

Fremd-Floren und Kolonialgeschichte

Bis heute werden immer neue Arten verschleppt – doch das Prinzip hat bereits lange Tradition: Die anthropogene Verbreitung gebietsfremder Floren begann schon früh mit den Migrationsbewegungen des Menschen. Besonders intensiv wurde sie dann allerdings in der Zeit der europäischen Expansion und des Kolonialismus ab dem 15. Jahrhundert. Damals führten die europäischen Kolonialmächte Pflanzen in ihre Herrschaftsgebiete ein und verbreiten auch von dort Arten in ihren Imperien weiter. Oft sollten diese Pflanzen der Bevölkerung als Nahrung, Futtermittel oder als Baumaterial dienen. Aber auch aus ästhetischen Gründen wurden Pflanzen verschleppt. Als blinde Passagiere in Saatgut oder Töpfen reisten allerdings auch viele Arten unbeabsichtigt mit. Einige fanden in den Zielgebieten dann günstige Lebensbedingungen und es entstanden wilde Populationen. In Gebieten mit ähnlichen Grundbedingungen avancierten viele dieser eigentlich gebietsfremden Arten dann zu einem Teil heutiger Pflanzengemeinschaften.

Bei einer Analyse der Verbreitungsmuster dieser Fremd-Floren auf der Welt sind die Wissenschaftler um Bernd Lenzner von der Universität Wien nun auf interessante Detail-Signaturen des Kolonialismus gestoßen. Ihre Ergebnisse basieren auf der Untersuchung der Verbreitung von insgesamt 19.250 Pflanzenarten und Kultivaren, von denen Verbreitungen über ihre eigentlichen Heimatgebiete hinaus bekannt sind. Im Fokus standen dabei 1183 Einzelbereiche in Regionen, die einst von den europäischen Kolonialmächten Großbritannien, Spanien, Portugal und den Niederlanden kolonisiert wurden. In den Verknüpfungen der Daten suchten die Wissenschaftler dann durch statistische Verfahren der ökologischen Forschung nach Mustern.

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Verbreitungsmuster zeichnen sich ab

Es zeigte sich: Noch heute zeichnet sich in der gebietsfremden Flora ein spezieller Einfluss der jeweiligen Kolonialmacht ab. Denn die Zusammensetzung der eingeschleppten Arten ähnelt sich in den entsprechenden Gebieten deutlich. Je länger Regionen von einer Kolonialmacht besetzt waren, desto mehr glichen sich auch die nicht-heimischen Floren, ergaben die Auswertungen. Den Wissenschaftlern zufolge spiegelt sich darin wohl ein bekannter Aspekt des Kolonialismus wider: „Die restriktive Handelspolitik der europäischen Mächte sorgte dafür, dass Pflanzen vor allem zwischen jenen Regionen gehandelt wurden, die von derselben Macht besetzt waren. Daher waren die ausgetauschten Pflanzenarten weitgehend auf die jeweiligen Herrschaftsgebiete beschränkt. Folglich wurden sich die Floren von Regionen, die unter derselben Kolonialmacht standen, ähnlicher verglichen mit den Regionen außerhalb – ein Prozess, der sich mit der Dauer der Besetzung verstärkte“, erklärt Lenzner.

Außerdem stießen die Forscher auf einen weiteren interessanten Zusammenhang: Regionen, die wichtige wirtschaftliche oder strategische Rollen für die Kolonialmächte spielten, zeichnet heute eine besonders starke Ähnlichkeit bei den Fremd-Floren aus. Beispiele dafür sind einstige Handelszentren wie die Regionen im Indo-Malaiischen Archipel, die für den Gewürzhandel entscheidend waren, oder Inseln wie die Azoren oder St. Helena, die beide wichtige Zwischenstationen auf langen, transozeanischen Reisen darstellten. Letztlich geht aus der Studie hervor, dass die Prozesse im Rahmen des Kolonialismus bei der Ansiedlung fremder Arten ebenso wichtig waren wie andere Faktoren, die Ausbreitungsmuster gebietsfremder Pflanzenarten erklären, sagen die Wissenschaftler.

„Es ist wichtig, die Vergangenheit zu verstehen, um daraus Lehren für unsere Zukunft zu ziehen. Wir wussten, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich gebietsfremde Arten in einer Region, in die sie eingeführt wurden, etablieren und ausbreiten und dass dieser Prozess oft mit erheblicher Verzögerung abläuft“, sagt Seniorautor Franz Essl. „Es ist jedoch bemerkenswert, dass wir solche Effekte noch mehrere Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte nach dem Zusammenbruch europäischer Kolonialreiche feststellen können. Das zeigt, dass wir sehr vorsichtig und bewusst mit den Pflanzenarten umgehen müssen, die wir um die Welt transportieren, da sie wahrscheinlich dauerhafte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Lebensgrundlagen der Menschen bis weit in die Zukunft hinein haben werden“, so der Wissenschaftler.

Quelle: Universität Wien, Fachartikel: Nature Ecology and Evolution, doi: 10.1038/s41559-022-01865-1

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