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Von Pflanzen, elektrischen Impulsen und Gehirnen

Erde|Umwelt

Von Pflanzen, elektrischen Impulsen und Gehirnen
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Die fleischfressenden Venusfliegenfallen steuern ihren Klappmechanismus über elektrische Signale. Foto: Noah Elhardt, wikipedia.de, CC-Lizenz
Tiere – und Menschen – stehen buchstäblich dauerhaft unter Strom. Ständig flitzen elektrische Signale durch ihre Nerven, ermöglichen Bewegungen, Riechen, Schmecken, Sehen – und, nicht zu vergessen, die Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse. Ohne die fixen elektrischen Impulse wäre es beispielsweise nicht möglich, beim plötzlichen Auftauchen eines hungrigen Löwen Reißaus zu nehmen. Pflanzen tun sich dagegen im Allgemeinen nicht gerade durch hektische Betriebsamkeit hervor. Sie stehen stets an der gleichen Stelle, bewegen sich höchstens einmal sacht im Wind und wachsen dabei langsam vor sich hin. Schnelle Stromstöße, so die Ansicht vieler Botaniker, braucht man für einen solchen Lebensstil nicht.

Doch die Pflanzen sind offenbar anderer Ansicht: Sie setzen ebenfalls auf Strom – in welchem Maße, kristallisiert sich erst nach und nach heraus. Die ersten Hinweise stammen bereits aus dem Jahr 1873, berichtet „bild der wissenschaft“ in seiner November-Ausgabe: Damals entdeckte der britische Physiologe Sir John Scott Burdon-Sanderson, dass Venusfliegenfallen den Motor ihres Klappmechanismus mit Hilfe von elektrischen Signalen, sogenannten Aktionspotenzialen, aktivieren.

Und die fleischfressende Pflanze sollte nicht das einzige Grünzeug unter Strom bleiben: In der Folgezeit entdeckten Forscher immer mehr Beispiele, bei denen Pflanzen elektrische Impulse zur Signal- und Informationsweiterleitung benutzen. So schicken Maiswurzeln per Stromstoß die Info „Wasser!“ an den Rest der Pflanze, wenn sie nach einer Durstzeit wieder das kühle Nass zur Verfügung haben. Der Hibiskus hingegen bereitet mit Hilfe von Aktionspotenzialen kommendem Nachwuchs den Boden: Sobald eine Bestäubung stattgefunden hat, schickt die Pflanze Signale an das im Inneren der Blüte liegende Ovar mit der Eizelle, wo darauf hin die Stoffwechselaktivität gesteigert wird.

Und Tabakpflanzen setzen sogar doppelt auf Elektrizität: Werden sie verletzt, lösen sie sofort ein Aktionspotenzial aus und kurbeln damit die Produktion von Abwehrstoffen an. Etwas später schicken sie noch ein weiteres, in seiner Stärke sehr variables elektrisches Signal hinterher, das möglicherweise „Auskunft über den Schweregrad der Verletzung gibt“, wie sein Entdecker Axel Mithöfer vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena spekuliert.

Neben diesen konkreten Beispielen gibt es jedoch auch solche, bei denen sich der Sinn der elektrischen Aktivität nicht sofort erschließt. So lösen zum Beispiel bestimmte Algen ungefähr alle 20 Minuten spontan ein Aktionspotenzial aus. Und Maiswurzeln verfügen oberhalb der Wurzelspitze sogar über ein Zellkonglomerat, das praktisch permanent elektrische Signale abgibt – und hin und wieder sogar seine Aktivität synchronisiert. Handelt es sich dabei möglicherweise um eine Art Gehirn, ein zentrales Integrationszentrum, wie der Bonner Wissenschaftler František Baluška glaubt? Sind Pflanzen vielleicht sogar intelligent?

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Baluška zumindest plädiert in „bild der wissenschaft“ für eine Neuberwertung der intellektuellen Fähigkeiten des Grünzeugs. Sein Argument: „Pflanzen registrieren Umweltreize, verarbeiten sie und reagieren mit einer gezielten Antwort – so wie es Nervensysteme können.“ Er ist sogar dafür, den Begriff der „Pflanzen-Neurobiologie“ einzuführen.

Dass Pflanzen ohne Zweifel über ein komplexeres System zur Informationsverarbeitung verfügen als bisher angenommen, bestätigen auch andere Pflanzenforscher. Der neuen Bezeichnung können sie hingegen nichts abgewinnen, wie ein Zusammenschluss von 36 bekannten Forschern in einem Fachartikel aus dem Jahr 2007 ganz klar macht. Schon der Begriff „Neuro“ sei absolut tabu – schließlich gebe es in Pflanzen weder Nerven noch Synapsen.

Der Elektrophysiologe Dietrich Gradmann, der in den 1960er Jahren die spontanen Aktionspotenziale bei Algen entdeckt hatte, führt noch ein anderes Argument ins Feld: Tiere und Pflanzen nutzen für das Erzeugen der Impulse völlig andere Mechanismen – ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Signale ursprünglich einen ganz unterschiedlichen Zweck erfüllten. Tiere lassen nämlich große Mengen positiv geladener Natriumteilchen in ihre Nervenzellen strömen und schleusen kurz danach ebenfalls positiv geladene Kaliumionen aus, um das Ladungsgleichgewicht wiederherzustellen. Anschließend stellen sie den Grundzustand wieder her. Pflanzen dagegen setzen auf einen Ausstrom negativer Chloridionen, dem sie positive Kaliumteilchen hinterherschicken. Das führt im Endeffekt zu einem Verlust an Ladungsträgern innerhalb der Zellen.

Genau das war vermutlich auch der Zweck, zu dem die pflanzlichen Aktionspotenziale ursprünglich entwickelt wurden. Gradmann bemüht noch einmal das Beispiel der Algen: Sie müssen damit leben, dass ständig Kalium und Chlorid aus dem Meerwasser einströmen, was auf Dauer zu einem Problem wird. Ist die Salzkonzentration innerhalb der Zellen nämlich zu hoch, strömt Wasser nach, und die Zellen könnten platzen. Mit dem regelmäßig auftretenden Aktionspotenzial kann dieser Gefahr jedoch gegengesteuert und das überschüssige Salz entfernt werden. „Dass höhere Pflanzen elektrische Signale obendrein noch für manche Informationsweiterleitung nutzen, war eine spätere Entwicklung“, erläutert der Wissenschaftler. Die Entwicklung des tierischen Nervensystems hingegen verlief völlig anders – und mit einem völlig anderen Resultat.

ddp/wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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