Von diesem bemerken die Menschen nur deshalb nichts, weil das menschliche Gehirn sehr leistungsfähig ist: Es berechnet aus den zur Verfügung stehenden Informationen den wahrscheinlichen Bildinhalt. Gefährlich kann die Konstruktion jedoch deshalb werden, weil der innen liegenden Netzhaut die sichere Verankerung fehlt. Sie kann sich leicht ablösen Sehstörungen bis hin zur Blindheit sind die Folge.
Viel besser hat die Evolution das Problem „Auge“ beispielsweise bei den Tintenfischen gelöst: Die Sehorgane dieser Meeresbewohner haben sich aus Hautzellen entwickelt. Die lichtempfindliche Zellen liegen daher oben und damit auf der richtigen Seite. Bei den Vorfahren der Wirbeltiere begann das Sehen hingegen mit lichtempfindlichen Zellen unter der Haut, so dass es zum inversen Auge mit all seinen Konstruktionsproblemen kam, für die die Evolution immer wieder eine Lösung finden musste und fand, wie hochentwickelte Augen wie die eines Adlers zeigen.
Planungspfusch wie beim Auge enthält der menschliche Körper allerorten: Ein Beispiel ist die Luftröhre, die absurderweise von der Speiseröhre abzweigt. Wirbeltiere leben daher ständig in der Gefahr, dass Nahrung beim Verschlucken in die Luftröhre oder die Lunge gelangt. Ersticken ist daher eine vergleichsweise häufig Todesursache. „Einer von 100.000 Menschen pro Jahr erleidet dieses Schicksal“, erklärt Evolutionsbiologe Randolph Nesse in „bild der wissenschaft“. Auch diese Konstruktion ist noch ein Relikt aus einer Zeit, als die Vorfahren der Menschen als primitive Fische im Wasser lebten. Sie nahmen Wasser durch ihr Maul auf, filterten den Sauerstoff zum Atmen und die groben Bestandteile als Nahrung heraus, worauf das Wasser durch Öffnungen hinter dem Kopf wieder herausfloss. Erst als die Vorfahren dann an Land gingen, bildeten sich aus den Riechorgangen Öffnungen, über die Luft eingeatmet werden konnte. Die Verbindung zum Mund blieb erhalten. Bei Weichtieren gibt es hingegen eine direkte Verbindung von den Atemlöchern zur Lunge.
Eine Fülle uralter Fehler der Evolution haben auch genetische Untersuchungen ergeben: Das zeigte eine Analyse von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön, die das Alter von 4.000 Chromosomenabschnitten untersuchten, die mit Erbkrankheiten in Zusammenhang stehen. Die meisten dieser Krankheitsgene existieren bereits seit dem Ursprung der ersten Zellen sind also uralt und auch nach mehr Millionen von Jahren Evolution noch nicht ausgemerzt.
„Die Evolution strebt nicht nach Perfektion“, stellt der Evolutionsbiologe Steve Jones vom University College in London klar. Es reicht völlig aus, wenn ein Lebewesen seine Gene erfolgreich in die nächste Generation bringen kann. Genetisch bedingte Krankheiten wie Krebs brechen daher nur selten vor dem vierzigsten Lebensjahr aus. Ein weiteres Beispiel ist die Krankheit Chorea Huntington, auch unter dem Begriff „Veitstanz“ bekannt. Sie ist erblich, bricht jedoch meist erst zwischen 40 und 50 aus. Anstatt das dafür verantwortliche Gen auszumerzen, hat die Evolution einen Genmechanismus hervorgebracht, der den Ausbruch der Krankheit für die ersten Lebensjahrzehnte unterdrückt.
Geizig ist die Natur ohnehin: Fähigkeiten, die nicht benötigt werden, verschwinden. Das wurde auch dem Dodo zum Verhängnis, jenem legendären Laufvogel auf Mauritius, der nach Ankunft des Menschen auf der Insel innerhalb kürzester Zeit ausgerottet wurde. Seine Vorfahren waren Tauben, die aus Südostasien kamen, das zeigten Gen-Analysen. Da es auf der Insel keine Feinde gab, verloren die Tauben jedoch schnell ihre Fähigkeit, zu fliegen. Statt aufwendig Flugmuskulatur aufzubauen, investierten sie ihre Energie lieber in einen massigen Körper, der viel Nachwuchs hervorbringen konnte. Das Ergebnis war ein dickliches Tier, das am Boden lebte und keine Angst kannte. Die Evolution führt eben nicht zwangsläufig zur Höherentwicklung neue Formen müssen trotz ihrer schier unendlichen Vielfalt nicht zwangsweise stärker, schneller oder klüger sein.