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Warum Frühchen viel Berührung brauchen

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Warum Frühchen viel Berührung brauchen
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EEG-Messung bei einem Frühgeborenen (Foto: Nationwide Children's)
Neugeborene Babys erschließen sich die Welt vor allem durch den Tastsinn. Körperkontakt und Berührung spielen für ihre Entwicklung deshalb eine ganz besondere Rolle. Eine Studie zeigt nun: Mangelnde Nähe zu den Eltern und schmerzhafte medizinische Prozeduren können die taktile Wahrnehmung von Frühgeborenen nachhaltig beeinträchtigen. So reagiert das Gehirn dieser Kinder deutlich vermindert auf sanfte Berührungsreize. Umgekehrt kann intensiver Körperkontakt eine normale Hirnreaktion auf Berührung fördern.

Der erste Kontakt zwischen Mutter und Kind findet über den Tastsinn statt. Noch bevor der Säugling richtig die Augen geöffnet hat, kann er Körperwärme und streichelnde Hände spüren. Das Zusammenspiel von Sinneszellen der Haut und dem Gehirn ist zu diesem Zeitpunkt so gut ausgeprägt wie kein anderer Sinn. Es sind deshalb vor allem stete Berührungen, die dem Neugeborenen nach der Geburt ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit geben. Studien zeigen zudem, dass Neugeborene und vor allem Frühchen bei intensivem Körperkontakt schneller wachsen, seltener an schweren Infektionen leiden, weniger schreien und auch ruhiger schlafen. Der Körperkontakt ist jedoch nicht nur für Psyche, Gesundheit und die Stärkung der sozialen Bindung wichtig. Forscher wissen heute: Er fördert auch die Ausschüttung von Wachstumshormonen und die Reifung des Gehirns.

Wie sehr sich die frühesten Erfahrungen mit Berührung auf die Entwicklung des Nervensystems auswirken können, zeigt nun eine Studie von Medizinern um Nathalie Maitre vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville. Die Wissenschaftler haben getestet, wie das Gehirn von Neugeborenen und von Frühgeborenen kurz vor ihrer Entlassung aus der Frühchenstation auf sanfte Berührungsreize reagiert. Dafür setzten sie 125 Säuglingen wiederholten, kurzen Luftstößen aus. Mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) maßen sie die durch diese Berührung ausgelösten Gehirnströme und verglichen diese Daten mit Reaktionen auf einen Scheinreiz, bei dem keine Luft die Haut der Kinder berührte.

Schlechtere Voraussetzungen

Das Ergebnis: Während Babys, die ganz normal nach rund neun Monaten Schwangerschaft auf die Welt gekommen waren, wie erwartet auf die sanfte Berührung reagierten, zeigten Frühgeborene im Schnitt deutlich verminderte Reaktionen. „Unsere Analysen enthüllten, dass die Hirnreaktionen auf die Berührungsreize bei unseren Frühgeborene nicht nur signifikant schwächer ausfielen, sie unterschieden sich auch in ihrer topografischen Verteilung gegenüber denen voll ausgereifter Neugeborener“, berichten Maitre und ihre Kollegen. Dieser Effekt war umso deutlicher, je früher die Kinder geboren worden waren. Doch auch wenn die Frühchen ihren Rückstand aufgeholt haben und nach Hause entlassen werden, bleibt diese abgeschwächte Reaktion gegenüber Berührungen erhalten, wie die Forscher beobachteten. „Das bedeutet: Babys, die aus Pränatalstationen nach Hause entlassen werden, haben schlechtere Lernvoraussetzungen für die motorische, taktile und multisensorische Erkundung der Umwelt und ihrer Selbst, sowie der sozial-emotionalen Interaktionen“, so die Wissenschaftler.

Die Frage ist, woran dies liegt. Ist es nur die größere Unreife des Gehirns oder könnte das womöglich auch an den notwendigen, aber oft strapaziösen Maßnahmen liegen, die nötig sind, um das Überleben der Frühchen zu sichern? So verbringen Frühgeborene oft viel Zeit im Inkubator, werden durch Schläuche beatmet und regelmäßig gestochen, weil Ärzte ihre Blutwerte kontrollieren müssen.  Tatsächlich zeigte ein Abgleich mit Krankenhausdokumenten: Je häufiger die Kinder während ihres Aufenthalts auf der Frühchenstation angenehmen Körperkontakt von Eltern oder Betreuern genossen hatten, desto stärker reagierten sie im Experiment auf die Berührung. Schmerzhafte Erfahrungen führten hingegen zum Gegenteil: Je mehr unangenehme medizinische Prozeduren die Frühgeborenen erlebt hatten, desto weniger sprach ihr Gehirn auf die sanfte Berührung an. „Dass positive Berührungserlebnisse im Krankenhaus Frühchen dabei helfen, eine normale taktile Wahrnehmung zu entwickeln, hatten wir gehofft“, sagt Maitre. „Dass umgekehrt aber auch schmerzhafte Erlebnisse diese Wahrnehmung beeinträchtigen können, hat uns überrascht.“

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Umso wichtiger ist es den Forschern zufolge, diese negativen Erfahrungen durch viel Kuscheln zu kompensieren. „Körperkontakt ist wichtig, damit das Gehirn Frühgeborener später genauso auf sanfte Berührungen reagiert wie das von Kindern, die die gesamte Schwangerschaft im Mutterleib erlebt haben“, betont Maitre. Einige Krankenhäuser haben die Bedeutung von Körperkontakt bereits erkannt. Sie setzen bei der Betreuung von Frühchen auf die sogenannte „Känguru-Methode“, bei der die Babys regelmäßig auf der nackten Haut der Eltern liegen. „Wenn Eltern nicht die Möglichkeit haben, täglich so viel Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, sind die Krankenhäuser gefragt. Sie könnten zum Beispiel zusätzliche Physiotherapeuten einstellen, um die Säuglinge mit den so wichtigen Berührungserlebnissen zu versorgen“, schließt das Team.

Quelle:

© wissenschaft.de – Daniela Albat
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