Schon bei einem kurzen Blick auf einen Text springen dem Gehirn Wörter mit einer emotionalen Bedeutung förmlich ins Auge: Sie werden sehr viel schneller registriert, verarbeitet und abgespeichert als neutrale Wörter, hat ein Team deutscher Psychologen nachgewiesen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Wörter mit positiven oder negativen Gefühlen assoziiert sind. Interessanterweise ähnelt die Reaktion der erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber emotionalen Gesichtsausdrücken und Bildern, obwohl es sich bei geschriebenen Wörtern um abstrakte Symbole ohne biologische Bedeutung handelt, so die Wissenschaftler.
Für ihre Studie ließen die Psychologen 16 Studenten mehrmals hintereinander Wortfolgen auf einem Monitor anschauen, die aus 180 Wörtern mit unterschiedlichen Bedeutungen bestanden. Sechzig davon, darunter „Liebe“, „Ekstase“, „Glück“, „Freude“, „Erfolg“ und „Treue“, werden allgemein mit positiven Gefühlen assoziiert. Weitere sechzig gehörten zu einer Gruppe neutraler Wörter wie „Papier“, „Pflanze“, „Tier“, „Fahrzeug“ oder „Gebäude“, während die restlichen Wörter ? beispielsweise „Gewalt“, „Krieg“, „Angst“, „Hass“, „Versagen“, „Misserfolg“ und „Eifersucht“ ? im Allgemeinen negative Gefühle hervorrufen. Jedes Wort erschien für maximal eine Sekunde auf dem Bildschirm. Während des Tests zeichneten die Wissenschaftler die Gehirnströme der Probanden auf und überprüften dann zusätzlich, wieviele Wörter aus jeder Kategorie die Testteilnehmer behalten hatten.
Im Gegensatz zu den neutralen Wörtern löste schon ein kurzer Blick auf die Wörter, die in irgendeiner Weise mit Gefühlen verbunden waren, innerhalb von Sekundenbruchteilen eine starke Reaktion im Gehirn aus, zeigte die Auswertung. Auch blieben diese Wörter sehr viel besser im Gedächtnis der Probanden haften. Besonders ausgeprägt war dabei die Reaktion in der linken Gehirnhälfte am Übergang des so genannten Hinterhauptlappens, der das Sehzentrum enthält, in den Schläfenlappen, in dem das Sprachzentrum beheimatet ist.
Demnach bewertet das Gehirn sofort, wenn es entschieden hat, ob eine Buchstabenfolge tatsächlich ein Wort ist oder nicht, die emotionale Bedeutung dieses Wortes ? wahrscheinlich, indem ein Datenstrom vom Seh- zum Sprachzentrum und dann zum so genannten Mandelkern geleitet wird, wo Informationen mit Gefühlen verbunden werden, so die Forscher. Einen ähnlichen Effekt haben auch emotionale Gesichtsausdrücke oder mit Gefühlen assoziierte Bilder. Während das spontane Erkennen und Bewerten emotional aufgeladener Situationen jedoch in der Frühzeit der menschlichen Entwicklung wichtig für das Überleben war, sind Wörter abstrakte Zeichenfolgen, die ausschließlich durch Lernen eine Bedeutung erhalten. Entgegen früherer Annahmen könne also auch Erlerntes das interne emotionale Alarmsystem aktivieren, erklären die Psychologen.
Johanna Kissler (Universität Konstanz) et al.: Psychological Science, Bd. 18, Nr. 6 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel