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Weichmacher: Gefahrenpotenzial verdeutlicht

Nervenschäden möglich

Weichmacher: Gefahrenpotenzial verdeutlicht
Untersuchungsergebnisse bei Goldfischen deuten auf eine Gefährdung des Nervensystems durch Bisphenole hin. (Bild: Christian Wißler)

Viele Plastikprodukte enthalten Bisphenole als Weichmacher. Insbesondere für Bisphenol A (BPA) ist bereits bekannt, dass es gesundheitliche Risiken birgt, vor allem, da es ins menschliche Hormonsystem eingreift. Als besser verträglich galt bislang Bisphenol S (BPS). Eine Studie an Goldfischen zeigt nun jedoch, dass beide Bisphenole gravierende Auswirkungen auf die Signalweiterleitung im Gehirn haben. Bereits bei Konzentrationen, die realistischerweise in der Umwelt vorkommen können, war die Funktion lebenswichtiger Nervenzellen im Gehirn der Fische beeinträchtigt. Die Forscher gehen davon aus, dass die Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind.

Bisphenole sind als Weichmacher in einer Vielzahl von Kunststoffprodukten enthalten – von Lebensmittelverpackungen über Trinkflaschen bis hin zu Spielzeug und Babyschnullern. Besonders verbreitet ist der Weichmacher Bisphenol A (BPA). Weltweit werden jährlich acht Millionen Tonnen produziert, 100 Tonnen gelangen jedes Jahr in die Umwelt. Sie belasten das Trinkwasser und sind sogar in der Muttermilch nachweisbar. Mehrere Studien haben bereits gezeigt, dass BPA durch eine strukturelle Ähnlichkeit zu Östrogen in den menschlichen Hormonhaushalt eingreift, Entwicklungsstörungen verursachen kann und mit zahlreichen Krankheiten assoziiert ist. In Babyschnullern wurde BPA deshalb 2011 EU-weit verboten. Als Ersatz dient häufig das als weniger schädlich geltende Bisphenol S (BPS). Inzwischen gibt es allerdings Hinweise darauf, dass auch BPS nicht unproblematisch ist.

Untersuchungen am Fischgehirn

Ein Team um Elisabeth Schirmer von der Universität Bayreuth hat nun an Goldfischen nachgewiesen, dass beide Bisphenole einen schädlichen Einfluss auf das erwachsene Gehirn haben. „Es hat uns überrascht, wie viele lebenswichtige Hirnfunktionen der Fische durch die in zahlreichen Industriebranchen verwendeten Weichmacher geschwächt werden“, sagt Schirmer. „Die Schädigungen treten, wie wir zeigen konnten, nicht sofort ein. Aber wenn die Gehirnzellen einen Monat lang geringen Mengen von BPA oder BPS ausgesetzt sind, sind die Schäden unübersehbar.“

Für die Studie fokussierten sich die Forscher auf die sogenannten Mauthnerzellen im Gehirn der Goldfische. Diese großen, paarweise auftretenden Nervenzellen sind für die Fluchtreaktion der Fische verantwortlich. Hier laufen alle Sinnesreize zusammen und werden schnell und koordiniert verarbeitet. Nur die präzise Abstimmung der eingehenden Signale ermöglicht den Fischen die lebenswichtige Flucht vor Fressfeinden. Bekannt sind die Mauthnerzellen nicht nur für ihre Größe, die sie für Untersuchungen gut zugänglich macht, sondern auch dafür, dass sie sich in gewissem Maße regenerieren und Schäden ausgleichen können.

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Kommunikation der Nervenzellen gestört

Schirmer und Kollegen setzten verschiedene Gruppen von Goldfischen einen Monat lang unterschiedlichen Konzentrationen von BPA und BPS aus. Für die Untersuchung betäubten sie die lebenden Fische, erregten die Mauthnerzellen in ihrem Gehirn durch elektrische, akustische und visuelle Reize, und maßen die Reaktionen. Dabei zeigte sich: Bereits in einer Konzentration von nur zehn Mikrogramm pro Liter, die durchaus in der Umwelt vorkommen kann, beeinflussten sowohl BPA als auch BPS die Weiterleitung von Aktionspotenzialen in den Nervenzellen. Auch die Verarbeitung von akustischen und visuellen Reizen war beeinträchtigt. Während akustische Signale eine übermäßige neuronale Reaktion hervorriefen, war der Effekt von visuellen Reizen abgeschwächt.

Offenbar störten die Bisphenole das Gleichgewicht von hemmenden und erregenden Signalen in der Kommunikation zwischen den Nervenzellen. „Es ist bekannt, dass zahlreiche Störungen im Nervensystem von Wirbeltieren dadurch ausgelöst werden, dass Erregungssignale und Hemmungssignale nicht oder nur unzulänglich koordiniert sind. Umso bedenklicher ist es, dass die Weichmacher BPA und BPS genau diese Koordination erheblich beeinträchtigen“, erklärt Schirmers Kollege Peter Machnik. Zumindest zum Teil sind diese Effekte den Forschern zufolge darauf zurückzuführen, dass die Bisphenole eine ähnliche Struktur wie Östrogen haben. Das zeigten Schirmer und Kollegen an einer weiteren Gruppe von Fischen, die sie statt mit BPA oder BPS mit einem Östrogen behandelten. Die Auswirkungen waren zwar nicht vollständig gleich, aber in weiten Teilen ähnlich.

Hilfe bei der Entwicklung neuer Weichmacher

Während bisher vor allem bekannt war, dass Bisphenole Organismen in ihrer Entwicklung stören können, zeigt die aktuelle Studie auch schwerwiegende Auswirkungen auf das erwachsene Gehirn. „Die durch Untersuchungen an Fischgehirnen gewonnenen Erkenntnisse rechtfertigen die Einschätzung, dass BPA und BPS das Gehirn erwachsener Menschen ebenfalls in gravierender Weise schädigen können“, sagt Machnik. „Vor diesem Hintergrund ist es dringend geboten, dass Wissenschaft und Industrie neue Weichmacher entwickeln, die diese Bisphenole ersetzen können und gesundheitlich unbedenklich sind.“

Auch dabei könnten Untersuchungen an Goldfischen helfen. Besonders wichtig sei es nämlich, potenzielle Kandidaten schnell auf mögliche Umwelt- und Gesundheitsrisiken zu testen und gegebenenfalls auszusortieren. „Die Tests, die wir genutzt haben, sind besonders effizient und können schnell die Auswirkungen auf neuronale Funktionen prüfen. Zusammen mit ähnlich empfindlichen Testverfahren könnten sie uns den Weg zu den dringend benötigten Weichmachern der nächsten Generation weisen“, so die Forscher.

Quelle: Universität Bayreuth, Fachartikel: Communications Biology, doi: 10.1038/s42003-021-01966-w

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