Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Wenn Menschen Medikamente testen: "Es war mein letzter Strohhalm"

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Wenn Menschen Medikamente testen: "Es war mein letzter Strohhalm"
test.jpg
Neuartige Arzneistoffe werden auf dem Weg zur Zulassung an Tausenden von Freiwilligen getestet. Für notleidende Kranke ist eine solche klinische Studie oft die “letzte Hoffnung”, für Gesunde ein willkommenes Zubrot. Die meisten Probanden bereuen ihre Teilnahme zwar nicht, wie eine Befragung zeigt. Doch sind sie oft schlecht aufgeklärt, was in der klinischen Studie eigentlich mit ihnen geschieht.

“Unser Wirkstoff hat im Einzelfall erste ermutigende Ergebnisse gezeigt”, schreibt der Pharma-Hersteller. Weiter im Text folgt ein Aufruf: “In Deutschland werden für eine Studie noch Patienten gesucht.” Dann die Telefonnummer. Gesucht sind Patienten mit einer seltenen Blutkrankheit. Joachim N. (Namen von der Redaktion geändert) leidet an genau dieser Blutkrankheit. Er hat eine wahre Odyssee an Arzt- und Klinikbesuchen hinter sich. “Die Studie erschien mir als der letzte Strohhalm”, berichtet er heute. Er meldet sich freiwillig als Testperson.

Joachim N. wird einer von mehreren Dutzend Probanden in einer klinischen Untersuchung. Diese erstreckt sich über drei bis fünf Jahre und ist die letzte große Hürde vor der Zulassung eines Medikaments. In diesem Zeitraum wird die Wirksamkeit des Arzneimittels an Freiwilligen getestet. In der Regel sind dies etwa 1.000 bis 5.000 Patienten.

Zwar weiß der Pharmahersteller bereits aus Tierversuchen und kleinen Sudien an Gesunden, wie sich das Arzneimittel im Körper verhält, doch sind die Befunde beim Tier nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar, weshalb letztlich Menschen als Versuchskaninchen herhalten müssen. Anhand der Befunde an Patienten und Gesunden werden auch Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten erfasst. Die genauen Dosierungen werden festgelegt.

“Patienten, die stark unter einer Krankheit leiden, melden sich zunächst zu einer klinischen Studie, weil sie auf eine Wunderpille hoffen”, sagt Bertram Häussler, Direktor der Clinische Studien Gesellschaft mbH (CSG). “Diese Hoffnung kann natürlich nicht immer erfüllt werden.” Zum einen bekommt bei den meisten Studien nur eine Hälfte der Teilnehmer das Medikament, die übrigen ein Placebo. Zum anderen können einige Arzneistoffe nicht das halten, was sie in den vorangegangenen Tierversuchen versprachen.

Anzeige

Von zehn Substanzen fallen acht bis neun während der klinischen Studien heraus, weil sie nicht so wirken wie erhofft oder weil sie zu bedenklichen Nebenwirkungen bei einigen Versuchspersonen geführt haben. “Die Probanden werden aber in der Studie intensiv und individuell betreut. Das ist es, was wir ihnen bieten, nicht mehr und nicht weniger”, erklärt Häussler.

Gesunde Probanden lockt an klinischen Studien oft die lukrative Vergütung: “Der Hauptgrund bei den meisten (gesunden) Teilnehmern ist das Geld”, sagt Gerhard M., der selbst an drei Studien teilgenommen hat. In allen drei Untersuchungen wurde geprüft, wie lange bereits zugelassene Medikamente beispielsweise Aspirin oder Heparin im Blut verweilen. Dazu wurden diese mit einer Kanüle in genau festgelegten Dosen ins Blut geleitet. “Wichtig ist, dass man zuverlässig zu den Routineuntersuchungen und zu den Blutabnahmen erscheint”, meint Gerhard M. Wer sich bewährt, landet in einer Kartei und wird von Studie zu Studie weitergereicht. Einige hundert Euro je Studie sind das übliche Dankeschön.

Um seine Gesundheit habe er sich bei den Tests keine Sorgen gemacht, sagt Gerhard M.. Schließlich würden Menschen weltweit zum Beispiel jeden Tag Aspirin einnehmen. An einer Studie mit einem nicht zugelassenen Medikament hat er jedoch nie teilgenommen. “Da hätte ich Angst vor den unbekannten Nebenwirkungen.”

Diese Angst wird bei den Menschen mit einer quälenden Erkrankung von der Hoffnung auf Linderung oder gar Heilung verdrängt. Im Dezember 2004 erhält Joachim N. zum ersten Mal das nicht zugelassene Medikament, wie er glaubt. “Der Zustand meiner Haut wurde besser”, erzählt er. Doch im Januar verschlechtert sich die Funktion seiner Atemwege mehr und mehr. Ende Mai versagen seine Bronchien gänzlich. Er muss künstlich beatmet werden. Schließlich fällt er für zwei Wochen ins Koma.

Joachim N. vermutet heute, dass der lebensbedrohliche Vorfall durch das Medikament hervorgerufen wurde. Allerdings ist fraglich, ob er tatsächlich das Medikament erhalten hat, da es sich um eine placebokontrollierte Studie handelte. Der betreuende Studienarzt sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Medikament und dem Versagen der Atmung. “Ich fühle mich allein gelassen. Ich habe das Gefühl, der Studienarzt steht nicht mehr auf meiner Seite. Hätte ich geahnt, dass das so gravierend endet, hätte ich nie an der klinischen Studie teilgenommen”, klagt Joachim N.

Risiken und gelegentlich sogar der Tod gehören zum Alltag in Medikamentenversuchen. Das wird oft verschwiegen. “Leider denken viele Studienärzte noch immer: Je weniger ich erzähle, desto besser”, moniert Häussler. Nach einer Befragung an 142 ehemaligen Studienteilnehmern durch die CSG wusste knapp die Hälfte nicht, dass sie die Studie abbrechen kann, wenn erhebliche Nebenwirkungen auftreten.

Ebenso wenige hatten davon gehört, dass über Los entscheiden wird, wer das Medikament bekommt und wer ein Placebo erhält. Die meisten glaubten wie Joachim N., ein Arzneimittel erhalten zu haben. “Sie wurden zu wenig aufgeklärt oder haben die Erläuterungen nicht verstanden”, stellt die CSG fest. Die meisten Probanden bereuen ihre Entscheidung laut Befragung dennoch nicht, jeder zweite würde wieder an einer Studie teilnehmen. Doch Fälle wie der von Joachim N. gehören auch zu den Geschichten hinter der Statistik.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Hy|a|de  〈f. 19〉 1 〈grch. Myth.〉 Nymphe, die mit mehreren anderen in ein Sternbild verwandelt wurde 2 〈Pl.; Astron.〉 ~n Sternhaufen am Kopf des Sternbilds Stier; … mehr

Lö|sungs|an|satz  〈m. 1u〉 1 Ansatz, Versuch zur Lösung eines Problems od. einer Aufgabe 2 〈Phys.; Chem.〉 das Ansetzen einer Lösung … mehr

Ma|gis|ter  〈m. 3〉 1 〈Abk.: M., Mag.〉 akademischer Grad (~prüfung, ~studiengang) 2 〈kurz für〉 Magister Artium; … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige