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Westantarktischer Eisschild bildete sich langsamer als gedacht

Erde|Umwelt

Westantarktischer Eisschild bildete sich langsamer als gedacht
Pine-Island-Gletscher
Blick auf die Zunge des Pine-Island-Gletschers in der Westantarktis. © Thomas Ronge

Die Gletscher des Westantarktischen Eisschilds schmelzen im Zuge des Klimawandels mit zunehmender Geschwindigkeit. Ein Blick in die Entstehungszeit des Eisschilds vor 35 Millionen Jahren liefert nun wichtige Informationen, die dabei helfen können, zukünftige Entwicklungen besser abschätzen zu können: Anhand von Sedimentanalysen haben Forscher gezeigt, dass bereits damals warme Meeresströmungen eine bedeutende Rolle spielten und die Ausbreitung des Eises trotz sinkender globaler Temperaturen verzögerten. Heute könnten sie das Schmelzen der Gletscher beschleunigen.

Der kilometerdicke antarktische Eisschild umfasst die größte Eismasse der Erde – entsprechend groß ist sein potenzieller Einfluss auf die künftige Entwicklung der Meeresspiegel. Ein besonderer Fokus der Klimaforschung liegt auf dem Westantarktischen Eisschild, der sich vom antarktischen Festland bis in die Amundsensee erstreckt. Die Gletscher dieser Region zählen zu den am schnellsten abnehmenden der Welt – mit gravierenden Folgen für den Meeresspiegel. Sollte der Westantarktische Eisschild vollständig kollabieren, würde der Meeresspiegel den Prognosen zufolge um mehr als drei Meter ansteigen.

Bessere Prognosen dank Kenntnis der Vergangenheit

„Für die künftige Entwicklung des globalen Meeresspiegels ist die Stabilität des Westantarktischen Eisschildes von entscheidender Bedeutung“, sagt Gabriele Uenzelmann-Neben vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. „Deshalb arbeiten Forschende auf der ganzen Welt daran, das künftige Verhalten des Eises in einer wärmeren Welt mit Computermodellen zu prognostizieren. Diese sind um so genauer, je mehr man über die Vergangenheit des Westantarktischen Eisschildes weiß. Seine jüngere Geschichte ist dabei gut dokumentiert. Die Frühzeit – insbesondere die Bildungsphase – ist jedoch weitgehend unbekannt.“

Gemeinsam mit ihrem Team hat Uenzelmann-Neben daher einen Blick in die Vergangenheit dieses Eisschilds geworfen. Dazu untersuchten die Forscher die Sedimente im Bereich des Pine-Island-Trogs. Dieser kanalartige Einschnitt beginnt im flachen Bereich der Amundsensee am Meeresboden und läuft von Norden nach Süden direkt auf die westantarktische Küste zu. Hier mündet der Pine-Island-Gletscher ins Meer und transportiert Jahr für Jahr mehr Eis ins Meer als jeder andere Gletscher weltweit. Seine Aufsetzlinie – also die Grenze, an der das Eis noch Kontakt zum Meeresboden hat – zieht sich dabei mehr und mehr in Richtung Land zurück und immer größere Teile werden von Wasser unterspült.

Ungleichmäßiges Sediment

Um die im Laufe der Jahrmillionen entstandenen Schichten des Meeresbodens in diesem Bereich zu erkunden, nutzten die Forscher künstlich erzeugte seismische Wellen. Ausgesendet von einem Forschungsschiff breiten sich diese bis unter den Meeresboden aus. An bestimmten Schichtgrenzen – etwa der Grenze zwischen Sediment und Fels – werden sie reflektiert. Messgeräte registrieren die jeweilige Laufzeit der seismischen Wellen und ermöglichen auf dieser Basis Rückschlüsse auf die innere Struktur des Meeresbodens.

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Das Ergebnis: An der östlichen Flanke des Pine-Island-Troges befindet sich ein großer Sedimentkörper, der auf der gegenüberliegenden westlichen Seite fehlt. Aus Sicht der Forscher ist die einzige plausible Erklärung für diese asymmetrische Ablagerung, dass es zur Zeit der Entstehung des Eisschilds einen Tiefenwasserstrom gab, der sich von Norden nach Süden auf die Küste zubewegt hat. Die Corioliskraft, die durch die Erddrehung entsteht, sorgte dafür, dass sich das Sediment nur einseitig ablagerte. „Dies ist nur möglich, wenn die Ozeanzirkulation zur Zeit der Ablagerung der heutigen ähnlich war“, sagt Uenzelmann-Neben. „Und ähnlich wie heute muss das durch den Trog auftreibende Tiefenwasser damals relativ warm gewesen sein.“

Großer Einfluss von Ozeanströmungen

Ergänzend nutzen die Forscher Sedimentbohrkerne aus dem gleichen Bereich und untersuchten die darin enthaltenen Pollen. Anhand dieser Analysen bestimmten sie das Alter der Sedimentbasis auf 34 bis 36 Millionen Jahre. In dieser Zeit – an der Grenze von Eozän und Oligozän – entstand durch Kontinentaldrift die Drake-Passage zwischen Südamerika und der Antarktis und machte somit den Weg frei für den antarktischen Zirkumpolarstrom. Diese einmal um die Antarkis herumlaufende Ringströmung ist bis heute prägend für die Bedingungen im Südpolarmeer. Zeitgleich sanken weltweit die Temperaturen und der antarktische Kontinent vereiste. Trotz dieser Klimaänderungen sorgte der Tiefenwasserstrom vor der Westantarktis aber dafür, dass sich der dortige Eisschild mit Verzögerung bildete.

„Unsere Studie ist ein starkes Indiz dafür, dass zur Zeit der großen Vereisung warmes Tiefenwasser im Bereich des Amundsensee-Schelfs auftrieb und den Vorstoß des Westantarktischen Eisschildes aufs Meer verzögert hat“, erläutert Uenzelmann-Neben. „Diese wichtige und überraschende Erkenntnis unterstreicht die enorme Bedeutung, die die Ozeanströmungen schon in der Bildungsphase des Westantarktischen Eisschildes hatten und noch heute haben. Mit dem zusätzlichen Wissen über die Frühphase des Eisschildes können nun auch die Prognosen zu seiner künftigen Stabilität und zum Eisrückgang verbessert werden.“

Quelle: Gabriele Uenzelmann-Neben (Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven) et al., Communications Earth & Environment, doi: 10.1038/s43247-022-00369-x

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