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Widerstand zwecklos

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Widerstand zwecklos
Neue Medikamente helfen, wo herkömmliche Antibiotika versagen. Forscher entdecken Wirkstoffe, die Bakterien durchlöchern.

Ein weiteres Mal haben Mikroorganismen im ewigen Kampf mit den Menschen gewonnen: Am 22. Februar bestätigte das Queen Mary Hospital in Hong Kong, daß eine Patientin an den Folgen einer Bakterieninfektion gestorben war. Die Erreger vom Stamm Staphylococcus aureus ließen sich nicht mehr mit herkömmlichen Antibiotika behandeln. Selbst Vancomycin erwies sich als wirkungslos. Dieses Antibiotikum wenden Ärzte nur dann an, wenn alle anderen medizinischen Verteidigungslinien von den Krankheitserregern bereits durchbrochen sind. Bakterien, die gleich mehreren antibiotischen Wirkstoffen widerstehen, breiten sich immer weiter aus. Dafür machen Experten den Antibiotika-Mißbrauch verantwortlich: Obwohl zum Beispiel Vancomycin nur in Krankenhäusern eingesetzt werden soll, wird es in großen Mengen in der Futtermittelindustrie als Masthilfe verwendet. Folgerichtig fanden amerikanische Wissenschaftler in Hühnerfutter bereits Bakterien, die Vancomycin-resistent waren. „Weil die Antibiotikaresistenz ein ernsthaftes Problem für die öffentliche Gesundheit geworden ist, werden dringend neue Arzneimittel benötigt, die anders als die herkömmlichen Antibiotika wirken“, sagt Dr. Michael Zasloff, Gründer von Magainin Pharmaceuticals. Die amerikanische Biotechnologiefirma hat die Zulassung des Medikaments Pexiganan beantragt, nachdem dieses sich in klinischen Tests bewährt hatte. Dem neuen Hoffnungsträger kam Zasloff noch während seiner Zeit als Chef des Institutes für Kindergesundheit und menschliche Entwicklung am amerikanischen National Institute of Health auf die Spur. Bei Versuchen mit Eizellen afrikanischer Klauenfrösche beobachtete er, daß sich Wunden bei diesen exotischen Tieren nicht entzündeten, obwohl die Frösche in einem Aquarium mit schmutzigem Wasser gehalten wurden. Zasloff isolierte Substanzen aus der Froschhaut und fand schließlich Magainin 1 und 2, positiv geladene Proteine, die Bakterien in der Wunde abtöten. Die Magainine haben in Lösung keine feste Struktur. Doch wenn sie in Kontakt mit der negativ geladenen Bakterienmembran kommen, formen sie sich zu Spiralen. „In dieser Gestalt stanzen sie Löcher in die Bakterienzelle“, erläutert Thomas Bigger, Vizepräsident von Magainin Pharmaceuticals. Pexiganan ist eine Kombination beider Megainine und wirkt gegen mehr als 3000 Bakterienstämme. In der klinischen Erprobung setzten die Ärzte das Mittel als Breitbandantibiotikum ein und behandelten infizierte, offene Wunden von Diabetikern. Das Antibiotikum tötet sowohl gram-positive als auch gram-negative Bakterien. Gram-negative Krankheitserreger haben im Gegensatz zu gram-positiven noch eine zweite Hüllmembran. Einige herkömmliche Antibiotika wie etwa Penicillin richten sich gegen diese zweite Hülle – sie vernichten daher lediglich gram-negative Mikroorganismen. Die Pexiganan-Entwickler sind überzeugt, daß Bakterien keine Strategie gegen das neue Medikament entwickeln können, weil es nicht wie herkömmliche Antibiotika wirkt. „Pexiganan durchlöchert die Bakterienhülle mechanisch-physikalisch“, sagt Firmen-Vize Bigger. Bisherige Antibiotika blockieren dagegen Enzyme. Die Bakterien wehren sich, indem sie die blokkierten Eiweiße verändern, bis die Antibiotika wirkungslos werden. Manche Erreger sind noch raffinierter: Sie entwickeln Proteine, die die Antibiotika wieder aus der Zelle hinausschleusen. Ähnlich wie die Magainine wirkt eine andere Substanz, die sich zur Zeit in der letzten klinischen Erprobungsphase befindet. Wenn die BPI (bactericidal permeability increasing protein) genannte Substanz sich an die äußere Hülle von gram-negativen Bakterien anlagert, verändert sie ihre Struktur und perforiert die innere Membran. Die Professoren Peter Elsbach und Jerrold Weiss von der Abteilung für Genetik und Mikrobiologie der New York University haben BPI in Zellen des menschlichen Immunsystems gefunden. Obwohl BPI selbst solche Bakterien tötet, die gegen mehrere Antibiotika resistent sind, ist für Entdecker Elsbach eine andere Eigenschaft der Substanz noch wichtiger. Da BPI sich an Lipopolysaccharide anlagert, kann es die giftige Wirkung dieser Moleküle blockieren, wenn diese sich von der Bakterienhülle ablösen und in den Blutkreislauf driften. Normalerweise sind Lipopolysaccharide keine Bedrohung, weil das Immunsystem durch Infektionen in der Vergangenheit gelernt hat, sie zu erkennen und rechtzeitig zu zerstören. Doch wenn Meningococcus-Bakterien Kleinkinder infizieren, geben sie große Mengen an Lipopolysacchariden in das Blut ab. Das kindliche Abwehrsystem kann meist nicht angemessen reagieren. „Ein Kind, das am Morgen noch gesund ist, spielt im Garten, kommt mittags ins Haus, weil es sich ein wenig schlapp fühlt, und ist 24 Stunden später tot“, beschreibt Elsbach den Krankheitsverlauf. Obwohl die Infektion grundsätzlich mit herkömmlichen Antibiotika behandelt werden kann, sterben viele der kleinen Patienten. BPI wurde bisher bei 26 Kindern eingesetzt – sie überlebten alle. Einige Wissenschaftler feiern BPI und die Megainine bereits als ideale Antibiotika. Denn inzwischen hat man in vielen Tieren Substanzen gefunden, die Bakterien töten, indem sie die Hülle der Erreger durchlöchern. „Wenn die Bakterien bis jetzt noch nicht in der Lage waren, Resistenz gegen diese Substanzen zu entwickeln, so ist es unwahrscheinlich, daß sie das in Zukunft können“, ist Bigger optimistisch. Doch andere Experten warnen davor, die neuen Medikamente häufig einzusetzen. „Denn dann können wahre Teufelsbazillen entstehen“, befürchtet etwa Prof. Chris Inglehearn von der Abteilung für molekulare Genetik der Universität zu London. Wenn Mikroorganismen beispielsweise resistent gegen BPI werden, wird das menschliche Immunsystem einen schweren Stand gegen Krankheitserreger haben, weil es einer seiner natürlichen Waffen gegen Bakterien beraubt ist.

Holger Breithaupt
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