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Wie Bakterien Pflanzen „zombifizieren“

Skurriles aus der Pflanzenforschung

Wie Bakterien Pflanzen „zombifizieren“
Eine Versuchspflanze im Bann des manipulativen Wirkstoffs von Phytoplasmen bildet eine buschige Struktur aus, die als Hexenbesen bekannt ist. (Bild: John Innes Centre)

Von Hexenbesen, Pflanzenzombies und raffinierten Erregern: Forscher haben Einblicke in einen Manipulationsmechanismus gewonnen, durch den parasitäre Bakterien ihre Wirtspflanzen in optimale Opfer verwandeln. Die sogenannten Phytoplasmen geben demnach Wirkstoffe ab, die letztlich Reifungs- und Wachstumsprozesse der befallenen Pflanzen blockieren. Dadurch passen die Bakterien deren Wuchs und Lebensdauer an ihre Bedürfnisse an. Die Einblicke in die molekularen Tricks der Erreger könnten dem Pflanzenschutz zugutekommen, sagen die Wissenschaftler.

Manche Tiere und Mikroben sind für ihre Lebensweise auf Kosten anderer berühmt-berüchtigt. Von einigen dieser Parasiten ist auch bereits bekannt, dass sie ihre Wirte auf teils drastische Weise manipulieren, um sich Vorteile für ihre Ernährung oder Fortpflanzung zu verschaffen. Dabei verändern sie durch Abgabe spezieller Wirkstoffe die Gewebe oder beeinflussen die Entwicklung anderer Merkmale. Manche Parasiten verwandeln ihre Opfer dabei für ihre Zwecke geradezu in „Zombis“. Wie die Forscher um Saskia Hogenhout vom John Innes Centre in Norwich berichten, ist dies auch bei bestimmten bakteriellen Pflanzenparasiten der Fall, die eine erhebliche Bedeutung für die Landwirtschaft haben.

Berüchtigte Erreger im Visier

Bei den Phytoplasmen handelt es sich um Bakterien, die von beißenden oder saugenden Insekten übertragen werden und bei vielen Pflanzen Schäden verursachen können. Zu den wirtschaftlich bedeutenden Wirten dieser Erreger gehören dabei etwa Obstbäume oder Weinreben. Der Befall führt zu Wuchsanomalien, die mit einer reduzierten Blüte und Fruchtbildung verbunden sind. Bei der sogenannten Apfeltriebsucht bilden sich etwa als Hexenbesen bezeichnete Strukturen aus buschig wirkenden Kleinzweigen. Phytoplasmen-Befall kann auch zur Bildung von blattähnlichen Strukturen anstatt von Blüten führen. Welche Mechanismen hinter diesen Wuchsanomalien stecken, wurde bisher allerdings kaum untersucht.

Diesem Forschungsthema haben sich Hogenhout und ihre Kollegen nun gewidmet. Sie führten ihre Untersuchungen dabei an dem berühmten Modell der Pflanzenforschung durch: der Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana). Über dieses unscheinbare Gewächs wurde bereits ein enormes Hintergrundwissen angesammelt und es sind viele molekulargenetische Untersuchungsverfahren etabliert. Diese haben die Forscher nun angewendet, um herauszufinden, was in der Pflanze bei Befall mit Phytoplasmen passiert.

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Sie konnten zunächst verdeutlichen: Im Bann der Parasiten verfällt auch Arabidopsis in eine Art „Zombie-Zustand“, wie es die Forscher bezeichnen. Die Pflanzen entwickeln sich zu Hexenbesen – sie bilden buschige Auswüchse, aber kaum mehr generative Organe. Damit dienen sie den parasitären Erregern als idealer Lebensraum und Nahrungsquelle: Da die Phytoplasmen nur vegetative Pflanzenteile befallen, halten sie ihre Wirte in einem künstlichen jungen Zustand, erklären die Wissenschaftler. Wie sie durch ihre biochemischen sowie genetischen Experimente zeigen konnten, gelingt den Erregern dies durch ein raffiniertes Manipulationsmolekül mit der Bezeichnung SAP05.

Raffiniert manipuliert

Dabei handelt es sich um ein bakterielles Protein, das den Ergebnissen zufolge in komplexer Weise in die molekulare Maschinerie der befallenen Pflanzen eingreifen kann. SAP05 hebt demnach die Funktion von bestimmten Steuer-Molekülen auf, die für die Regulierung von Wachstum und Entwicklung wichtig sind. Die Opfer werden dadurch gleichsam umprogrammiert, wodurch der natürliche Reifungsprozess gestoppt und die Bildung der zahlreichen vegetativen Triebe und Gewebe ausgelöst wird, erklären die Wissenschaftler.

Durch molekulargenetische Experimente konnten sie zeigen, dass die manipulative Funktion des bakteriellen Wirkstoffs SAP05 auf eine bestimmte Feinstruktur bei den anvisierten pflanzlichen Entwicklungsproteinen angewiesen ist. Sind nur zwei bestimmte Aminosäuren in diesen Molekülen verändert, kann SAP05 seine Wirkung nicht mehr entfalten, zeigten Experimente: Genetisch veränderte Arabidopsis-Pflanzen mit derart veränderten Entwicklungsproteinen entwickelten kein Hexenbesen-Wachstum mehr. Dabei handelt es sich somit um einen möglichen Ansatzpunkt für den Pflanzenschutz, sagen die Wissenschaftler: Könnte man diese beiden Aminosäuren in Nutzpflanzen verändern, ließe sich eine dauerhafte Widerstandsfähigkeit gegen Phytoplasmen erreichen.

„Unsere Ergebnisse werfen neues Licht auf einen molekularen Mechanismus, der hinter den pflanzlichen Veränderungen bei Phytoplasmen-Befall steckt. Darüber hinaus könnten sie dazu beitragen, ein großes Problem in der landwirtschaftlichen Produktion zu lösen: Wir zeigen einen vielversprechenden Ansatzpunkt für die Züchtung von Nutzpflanzen auf, um ihnen eine dauerhafte Resistenz gegen Phytoplasmen zu vermitteln“, resümiert Hogenhout.

Quelle: John Innes Centre, Fachartikel: Cell, doi: 10.1016/j.cell.2021.08.029

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