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Wie Mikroben extreme Hitze überleben

Erde|Umwelt

Wie Mikroben extreme Hitze überleben
Chikyu
Das japanische Bohrschiff Chikyu lieferte die Proben aus dem tiefen Meeresgrund. (Bild: JAMSTEC)

Wo liegen die Grenzen des Lebens? Bis zu welchen Temperaturen ist Leben unter dem Meeresgrund möglich – und wie schaffen es Organismen, unter Extrembedingungen zu existieren? Um diese Fragen zu beantworten, haben Forscher Proben aus 1,2 Kilometer Tiefe unter dem Meeresboden entnommen und festgestellt: Selbst bei Temperaturen von 120 Grad Celsius können bestimmte Mikroben überleben. Der Schlüssel dazu ist eine erstaunlich hohe Stoffwechselrate, die es den Mikroorganismen ermöglicht, entstehende Hitzeschäden rasch zu reparieren.

Selbst tief unter dem Meeresboden kann Leben gedeihen: Obwohl Druck und Temperatur mit zunehmender Tiefe ansteigen, Sauerstoff fehlt und organisches Material als Nahrungsquelle weniger wird, haben sich bestimmte Organismen an eben diese Bedingungen angepasst. Doch wo liegt die Grenze des Überlebbaren? Und mit welchen Strategien schaffen es Mikroorganismen der tiefen Biosphäre, mit den lebensfeindlichen Bedingungen zurechtzukommen?

Proben aus der Tiefe

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat ein Team um Felix Beulig von der Universität Aarhus in Dänemark nun Sedimentbohrkerne untersucht, die aus einer Tiefe von bis zu 1,2 Kilometern unter dem Meeresboden im Nankai-Graben vor Japan entnommen wurden. An dieser Stelle schiebt sich die philippinische Platte unter die eurasische Platte. Durch die Plattentektonik nehmen Druck und Temperatur mit der Tiefe besonders stark zu, sodass bereits 1,2 Kilometer unter dem Meeresboden Temperaturen von bis zu 120 Grad Celsius herrschen. Weil die meisten Proteine schon bei rund 50 Grad denaturieren, gelten höhere Temperaturen als besondere Herausforderung für mikrobielles Leben.

„Trotz der hohen Temperaturen konnten wir mikrobielle Zellen fast in der gesamten Sedimentsäule nachweisen, wenn auch in extrem niedrigen Konzentrationen von weniger als 500 Zellen pro Kubikzentimeter in Sedimentschichten mit einer Temperatur oberhalb von 50 Grad Celsius“, berichten die Forscher. Um genauere Informationen zur Überlebensstrategie der gefundenen Mikroben zu erlangen, analysierten die Forscher deren Stoffwechsel. „Unsere Ergebnisse belegen, dass in den Millionen Jahre alten Sedimenten bei extremen Temperaturen aktive Mikroorganismen vorkommen, die Sulfat abbauen und Methan produzieren“, so die Forscher.

Aktives Leben unter extremen Bedingungen

Mit hochempfindlichen Messgeräten maßen die Forscher unter Laborbedingungen die Stoffwechselrate der Mikroorganismen aus der heißen Tiefe – und erhielten ein überraschendes Ergebnis: Während von anderen Mikroorganismen, die im tiefen Meeresboden vorkommen, bekannt ist, dass ihr Stoffwechsel sehr langsam abläuft, stellten Beulig und seine Kollegen bei den von ihnen untersuchten Mikroorganismen eine erstaunlich hohe Stoffwechselrate fest. Obwohl sie unter Extrembedingungen leben, in denen nur wenig Biomasse zur Verfügung steht, waren sie fast so aktiv wie Mikroben, die in lebensfreundlichen Oberflächensedimenten vorkommen.

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„Wir vermuten, dass die Organismen gezwungen sind, einen hohen Stoffwechselumsatz aufrechtzuerhalten, um die Energie bereitzustellen, die zur Reparatur thermischer Zellschäden erforderlich ist“, sagt Beulig. Co-Autorin Tina Treude von der University of California Los Angeles erklärt: „Die Energie, die für die Reparatur von thermischen Schäden an Zellbestandteilen benötigt wird, steigt mit der Temperatur steil an, und der größte Teil dieser Energie ist wahrscheinlich notwendig, um der kontinuierlichen Veränderung von Aminosäuren und dem Verlust von Proteinfunktionen entgegenzuwirken.“

Acetat als Energielieferant

Als Energielieferant dient den Zellen offenbar Acetat, das Salz der Essigsäure. „Acetat, ein kleines organisches Molekül, das auch in Essig vorkommt, ist als potenzielle Nahrungsquelle von besonderem Interesse“, sagt Co-Autorin Verena Heuer vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen. „Acetat erreicht im Porenwasser des Sediments Konzentrationen von mehr als zehn Millimol pro Liter, was für marine Sedimente außergewöhnlich hoch ist.“ Erzeugt wird es in dieser Tiefe wahrscheinlich durch thermochemische Prozesse, bei denen Biomasse zu energiereichen Molekülen umgesetzt wird.

Angesichts der geringen Anzahl an Zellen pro Kubikzentimeter Sediment sicherten die Forscher mit zahlreichen Kontrollexperimenten ab, dass es sich bei den gemessenen Prozessen tatsächlich um biologische Reaktionen handelte und dass diese nicht auf Kontaminationen der Proben zurückzuführen waren. Zusätzlich berechneten sie die zu erwartende Abbaudauer von Sulfat im Sediment und verglichen diese mit ihren experimentellen Ergebnissen. „Angesichts der Tatsache, dass wir zwei sehr unterschiedliche methodische Ansätze vergleichen, die auf Zeitskalen von Tagen bzw. Millionen von Jahren agieren, ist die Übereinstimmung zwischen der experimentellen Ratenbestimmung und der berechneten Abbaudauer erfreulich gut“, sagt Co-Autor Arthur Spivack von der University of Rhode Island.

Temperaturgrenze nach wie vor unbekannt

Um welche Mikroben genau es sich handelte, konnten die Forscher bislang nicht herausfinden. Für DNA-Analysen enthielten die Proben zu wenig Material. Auch die Temperaturgrenze des Lebens, die sie eigentlich gesucht hatten, haben sie noch nicht gefunden. „Wir müssen zurückgehen und tiefer bohren“, sagt Co-Autor Yuki Morono von der Japan Agency for Marine-Earth Science and Technology. „Die endgültigen Grenzen der Biosphäre im Inneren der Erde sind nach wie vor unbekannt. Wie dieses Projekt gezeigt hat, befindet sich die Grenze irgendwo in der ozeanischen Kruste unter den Sedimenten. Sie wird in Zukunft durch wissenschaftliche Meeresbohrungen erforscht werden.“

„Die Tatsache, dass in der Tiefsee bei diesen hohen Temperaturen Leben mit hohen Stoffwechselraten gedeiht, beflügelt unsere Vorstellung davon, wie sich Leben in ähnlichen Umgebungen auf Planeten jenseits der Erde entwickeln oder überleben könnte“, ergänzt Beuligs Kollege Bo Barker Jørgensen.

Quelle: Felix Beulig (Universität Aarhus, Dänemark) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-27802-7
https://www.nature.com/articles/s41467-021-27802-7

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