Das erste Fazit, das die Wissenschaftler aus den Ergebnissen ziehen konnten, lautet: Die Rentiere nutzen offenbar nicht sofort die maximal mögliche Kühlung, sondern schalten je nach Bedarf immer wieder einen Gang hoch. Zuerst beschleunigen sie ihre Atemfrequenz ? von sieben auf beeindruckende 260 Atemzüge pro Minute ?, und atmen dabei praktisch ausschließlich durch ihre Nase. Dabei kühlen zum einen die vorbeiströmende Luft und zum anderen das verdunstende Wasser aus der feuchten Schleimhaut das Blut in den Nebenhöhlen, das dann durch die Drosselvene im Hals wieder zurück ins Körperinnere gepumpt wird.
Reicht diese Nasenkühlung nicht mehr aus, aktivieren die Rens die nächste Stufe: Sie öffnen ihr Maul weit, lassen ihre Zunge heraushängen und hecheln wie Hunde. Auch hier ist es vor allem die Verdunstungskälte der Feuchtigkeit auf der Zunge, die Kühlung bringt, erläutert Blix. Da die Zunge sehr viele Blutgefäße enthält und stark durchblutet ist, ist dieses System effektiver als die Nasenatmung. Zudem können die Tiere offenbar den Blutfluss in der Zunge regulieren: Er stieg im Test auf ein Maximum an, wenn die Temperatur im Gehirn sich der kritischen Marke von 39 Grad näherte.
Erst solchen kritischen Momenten schalten die Tiere dann die nächste ? ultimative ? Kühlung zu: Sie leiten einen Teil des in der Nase gekühlten Blutes so um, dass es nicht in den Körper zurückfließt, sondern in ein Netz aus Blutgefäßen im Kopf, das wie ein Wärmetauscher funktioniert: Das zu warme arterielle Blut, das vom Herzen zum Gehirn unterwegs ist, strömt am kühlen venösen Blut vorbei und gibt dabei die überschüssige Wärme ab. So können die Tiere gezielt und selektiv ihr Gehirn kühlen, sagen die Forscher. Das System sei überraschend effektiv, ergänzt Blix, der zuerst skeptisch war, ob die Luftmenge überhaupt ausreicht, denn: „Nur zwei Prozent des Atemvolumens gehen durch die Nase, wenn die Tiere zum Hecheln mit offenem Mund wechseln“, erläutert er. Bedenke man jedoch die schiere Menge an Atemluft, die bei der schnellen Frequenz eingeatmet werde, sowie die in der freien Wildbahn meist sehr geringe Temperatur dieser Luft, könne man leicht berechnen, dass die Kühlung tatsächlich ausreicht.