Vögel müssen sich beim gemeinsamen Flug abstimmen, um Kollisionen zu vermeiden. Wie sie dies tun, war jedoch bisher unklar. Forscher haben deshalb eine Gruppe Zebrafinken beim Flug im Windkanal genau beobachtet und belauscht. Es zeigte sich: Vor allem bei seitlichen Positionsänderungen orientieren sich die Vögel durch Blicke, beim Wechsel der Flughöhe nutzen sie hingegen oft spezielle Rufe. Diese Rufe kommen auch dann zum Einsatz, wenn die Sicht durch Dunkelheit eingeschränkt ist.
Viele Vogelarten fliegen gemeinsam mit Artgenossen in Schwärmen, um Flugstrecken sicher zu überwinden. Dies erfordert allerdings eine gute Koordination der Tiere untereinander: Flugmanöver müssen koordiniert und die Bewegungen der einzelnen Vögel schnell aufeinander abgestimmt werden. Nur so lassen sich Zusammenstöße vermeiden und die Bewegung des Schwarms als Ganzes steuern.
Mini-Schwarm im Windkanal
„Wie die Vögel das alles im Flug vollbringen, ist bisher nicht bekannt“, sagt Seniorautorin Susanne Hoffmann vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz. „Es wurde vermutet, dass jeder Vogel im Schwarm seine Nachbarn beobachtet und die eigenen Flugmanöver an deren Bewegungen anpasst. Aber auf wie viele andere Tiere kann sich ein einzelner Vogel zeitgleich konzentrieren? Und was machen die Vögel, wenn die Sicht schlecht ist?“ Um einige dieser offenen Fragen zu klären, haben Hoffmann, Erstautor Fabian Arnold und ihre Kollegen eine kleine Gruppe von Zebrafinken im Flug beobachtet und belauscht.
Dafür statteten die Wissenschaftler ihre Zebrafinken mit winzigen, leichten Funkmikrofonen aus, die die nur 15 Gramm schweren Vögel problemlos tragen können. Beim Flug der Vögel im institutseigenen Windkanal konnten sie so die Kommunikation der einzelnen Tiere beim Flug aufnehmen. High-Speed-Videokameras verfolgten zeitgleich die Flugbewegungen der Gruppe, aber auch die Kopfbewegungen der einzelnen Tiere. Dadurch konnten Arnold und seine Kollegen beobachten, ob sich die Zebrafinken bei Positionswechseln im Schwarm auch über Blicke orientieren und abstimmen.
Schulterblick und Warnruf
Die Untersuchungen ergaben, dass die einzelnen Zebrafinken im Schwarm jeweils bevorzugte Positionen einnehmen. Ein Vogel flog beispielsweise mit Vorliebe sehr niedrig über dem Boden und bildete den unteren Abschluss der Gruppe, ein anderer war meist a der Spitze des Schwarms zu finden. “Trotz dieser Vorlieben für die grobe Position in der Gruppe wechselten die Vögel in seitlicher Richtung ständig und schnell ihre Positionen”, berichten die Forscher. Die Auswertung der Videoaufnahmen zeigten, dass sich die Zebrafinken dabei über Blicke orientieren: Schon kurz vor dem Ausscheren drehen sie ihren Kopf um rund 90 Grad, sodass eines ihrer Augen in Richtung des geplanten Manövers schaut und das andere nach vorn.
Neben diesen seitlichen Flugmanövern führen die Zebrafinken aber auch vertikale Positionsveränderungen im Schwarm durch. Bei diesen zeigte sich, dass dafür Lautäußerungen in Form eines speziellen Rufs wichtig waren. Vor allem, wenn ein Vogel im vorderen, unteren Bereich der Gruppe flog, stieß er vor seiner Flugbewegung nach oben diesen Ruf aus – vermutlich, weil die Vögel den Bereich hinter und über sich nicht sehen können. Diese Warnrufe ertönten vor allem dann, wenn der Bereich oberhalb des warnenden Vogels schon relativ dicht mit Artgenossen besetzt war. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Lautäußerungen eines Vogels in einer Gruppe so eng mit den Flugmanövern dieses Vogels zusammenhängen“, sagt Hoffmann.
Flexible Anpassung der Kommunikation
Das Team konnte zudem beobachten, dass sich nach einem solchen Ruf die Fluggeschwindigkeit der anderen Zebrafinken kurzzeitig verringerte. Dies könnte es ihnen erleichtern, die Flugbahn des rufenden Vogels zu beobachten und Kollisionen zu vermeiden. „Die Rufe schienen tatsächlich eine Positionsänderung anzukündigen und Artgenossen entsprechend vorzuwarnen”, so Hoffmann. Als die Wissenschaftler während der Flugtests störende Hintergrundgeräusche in den Windkanal einspielten, passten sich die Vögel daran an und riefen seltener, weil ihre Rufe inmitten des Lärms ohnehin nicht mehr zu hören waren. Als Folge kam es dann jedoch etwas häufiger zu Kollisionen. Dies legt nahe, dass die Rufe im Flug tatsächlich zur Kollisionsvermeidung beitragen.
Ergänzende Experimente zeigten zudem, dass die Warnrufe verstärkt zum Einsatz kommen, wenn die Sicht der Zebrafinken behindert ist – beispielsweise nachts oder in einem abgedunkelten Windkanal. Unter solchen Bedingungen nahm die Häufigkeit der im Flug ausgestoßenen Rufe zu. Dies trug dazu bei, die Vögel trotz der schlechten Sicht und der dadurch eingeschränkten visuellen Abstimmung vor Zusammenstößen zu bewahren. Um noch mehr über die Kommunikation der Zebrafinken im Flug zu erfahren, wollen Hoffmann und ihr Team als nächstes beobachten, wie die Vögel ihre Bewegungen bei einem koordinierten Flugmanöver abstimmen. „Uns interessiert, ob die Vögel auch beim gemeinsamen Ausweichen eines virtuellen Hindernisses Lautäußerungen nutzen“, so Hoffmann. Ob die beobachteten Verhaltensweisen auch auf größere Vogelschwärme und auf Zebrafinken in freier Wildbahn zutreffen, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.
Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (in Gründung); Fachartikel: Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-022-01800-4