Ganz im Thoreau’schen Sinn verhält es sich auch mit der Wildnis in Deutschland. Unberührte Natur, die sich frei entfalten konnte, gibt es nicht mehr. Dafür wurde das Land schon seit den Römern und Germanen zu sehr verändert. Und nicht immer ist alles schlechter geworden, nur weil der Mensch der Landschaft seinen Stempel aufgedrückt hat. Ein Beispiel? Die Heide ist ein durch und durch von unserer Misswirtschaft geprägter Lebensraum. Aber: Mit Charakter, mit Charme, unbedingt erhaltenswert. Auch viele Waldformationen erzählen Geschichte: Hutewälder mit ihren alten, knorrigen Baumveteranen, unter denen sich Schweine tummelten, berichten von einer Kultur, als Haustiere ganz selbstverständlich nicht in Ställen fett wurden. Die Schweine sind längst gegessen und auch die Bäume stehen mittlerweile längst wieder im dichten Wald. Aber sie sind noch da, wie ein gewachsenes Echo, das jahrhundertelang nachhallt.
Natürlich gibt es auch wilde Ecken. Wer je bei einem Unwetter im Gebirge war oder an einer beliebigen Steilküste Rügens, wird höchstens ganz leise sagen: „Das ist gezähmte Natur.“ Und es ist ein großer Verdienst unserer Gesellschaft, dass wir es wieder zulassen, dass Wildnis entstehen darf. Unsere Nationalparke sind ein fantastisches Freiluftlabor dafür. Und jeder weiß, das Experiment braucht seine Zeit. Ein paar Jahrhunderte vielleicht. Aber schon jetzt sieht man die ersten Erfolge.
Und das Tolle ist: Jeder kann sich selbst davon überzeugen, denn unsere Naturschätze liegen quasi vor der Haustür, sind in wenigen Stunden erreichbar und verlangen noch nicht einmal besondere körperliche Qualitäten. Und die Begeisterung, die die Menschen empfinden, wenn sie eine „Wildnis“ wieder entdecken können, zeigt, wie wichtig sie für unser Seelenheil ist. Um den alten Thoreau noch einmal rauszukramen: „Die Wildnis ist es, die die Welt bewahrt.“
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