Beim Lösen einer Rechenaufgabe werden die Zahlen je nach Muttersprache in verschiedenen Gehirnregionen verarbeitet. Zu diesem Schluss kommt ein Forscherteam aus den USA und China aufgrund einer Studie an 24 Probanden mit Chinesisch oder Englisch als Muttersprache. Während bei den englischsprechenden Probanden beim Lösen der mathematischen Probleme eine für die Sprachverarbeitung zuständige Hirnregion aktiv war, benützten die chinesisch sprechenden Versuchspersonen einen Gehirnteil, in dem visuelle Informationen verarbeitet werden. Diese Beobachtung ist unter anderem auf die visuelle Erfahrung beim Lesen zurückzuführen, so die Forscher.
Beinahe überall auf der Welt werden in der Mathematik
arabische Zahlen benutzt. Ob sie jedoch in den verschiedenen Kulturen auch gleich verarbeitet werden, war bisher nicht klar. Yiyuan Tang und sein Team haben nun mithilfe der so genannten funktionellen Magnetresonanztomographie untersucht, welche Hirnstrukturen aktiv sind, wenn englisch- und chinesischsprechende Personen verschiedene mathematische Aufgaben lösen. Die Wissenschaftler stellten den Probanden dazu einfache Additions- oder Zahlenvergleichs-Aufgaben. Bei letzteren mussten die Testpersonen beispielsweise entscheiden, ob die letzte von drei in einer Reihe stehenden Ziffern die größte war.
Das Ergebnis war eindeutig: Je nach Muttersprache waren beim Lösen der Aufgaben andere Hirnregionen aktiv. So wurde beim Lösen der Additions-Aufgabe bei den englischsprechenden Probanden eine Hirnregion beansprucht, die normalerweise für die Sprachverarbeitung zuständig ist. Bei den chinesischen Versuchspersonen hingegen war eine Hirnregion aktiv, in der visuelle Informationen verarbeitet werden.
Die Wissenschafter folgern aus ihrer Studie, arithmetische Berechnungen wie Additionen hingen stärker von der Muttersprache ab als Zahlenvergleiche ? und die Muttersprache bestimme denn auch, wie das Gehirn diese verschiedenen mathematischen Aufgaben verarbeite. Tang und seine Kollegen vermuten, die Unterschiede in der Verarbeitung von Zahlen könnten durch die visuelle Erfahrung beim Lesen während des Erlernens der Muttersprache zustande gekommen sein. So hat eine frühere Studie gezeigt, dass die Fähigkeit, chinesische Zeichen zu lesen, von der Schreibübung während des Erlernens der Muttersprache abhängt. Doch auch andere kulturelle Faktoren, die nicht von der Sprache abhängen, wie etwa unterschiedliche Lernstrategien in der Mathematik oder verschiedene Erziehungssysteme, könnten für die ungleiche Verarbeitung von Ziffern verantwortlich sein, schreiben die Wissenschafter.
Yiyuan Tang (University of Technology, Dalian) et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, doi:10.1073/pnas.0604416103 ddp/wissenschaft.de ? Katharina Schöbi