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Wund-Behandlung mit „Insekten-Salbe“

Schimpansen

Wund-Behandlung mit „Insekten-Salbe“

Dieses Video zeigt, wie die Schimpansendame Suzee eine Wunde am Fuß ihres halbwüchsigen Sohnes Sia inspiziert. Dann fängt sie ein Insekt aus der Luft, nimmt es in den Mund, presst es zwischen die Lippen und drückt es auf die Wunde, während ihre Tochter Sassandra sie dabei beobachtet. © Alessandra Mascaro

Verhaltensforscher haben beobachtet, dass Schimpansen bestimmte Insekten fangen und wie eine Salbe auf Wunden auftragen. Sie gehen deshalb davon aus, dass es sich um eine Art medizinische Behandlung handelt. Welche Insekten die Schimpansen nutzen und inwieweit sie tatsächlich pharmakologische Wirkungen besitzen, muss jedoch erst geklärt werden. Die Affen haben allerdings offenbar gute Erfahrungen mit der Behandlung gemacht. Interessanterweise wenden sie die Insekten nicht nur bei sich selbst an, sondern auch bei verwundeten Gruppenmitgliedern. Dabei handelt es sich somit um ein markantes Beispiel einer prosozialen Verhaltensweise bei unseren tierischen Verwandten, sagen die Wissenschaftler.

Wunden, Parasiten und Erkrankungen vieler Art – seit Urzeiten nutzt der Mensch bekanntlich die „Apotheke der Natur“, um diesen Problemen entgegenzutreten. Dies ist ein speziell menschliches Verhalten, könnte man meinen. Doch das ist nicht der Fall: Es sind bereits zahlreiche Beispiele für den medikamentösen Nutzen bestimmter Naturstoffe aus dem Tierreich bekannt: „Formen der Selbstmedikation wurden bei zahlreichen Tierarten beobachtet, darunter Insekten, Reptilien, Vögel und Säugetiere“, sagt Simone Pika von der Universität Osnabrück. Um Krankheitserreger oder Parasiten zu bekämpfen, werden dabei nahrungsfremde Substanzen aufgenommen, wie etwa bestimmte Pflanzenteile, die pharmakologische Wirkstoffe enthalten.

Dass auch unsere nächsten Verwandten im Tierreich die „Natur-Apotheke“ zu nutzten wissen, war ebenfalls bereits bekannt: Schimpansen und Bonobos schlucken gezielt bittere Blätter von Pflanzen, um durch deren Wirkstoffe Darmparasiten abzutöten. Das neue Beispiel für eine vermutlich medizinische Behandlung stammt nun aus Untersuchungen im Rahmen des Ozouga-Schimpansenprojekts im Loango-Nationalpark in Gabun. Dort untersuchen Pika und ihre Kollegen eine Gemeinschaft aus etwa 45 Schimpansen.

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Ein Insekt mit pharmakologischem Effekt?

Die erste Beobachtung des neuen Verhaltens glückte dabei der Erst-Autorin Alessandra Mascaro vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig: „2019 beobachtete ich ein Schimpansenweibchen namens Suzee, wie sie sich um den verletzten Fuß ihres halbwüchsigen Sohnes Sia kümmerte. Mir fiel auf, dass sie etwas zwischen ihren Lippen zu haben schien, das sie dann auf die Wunde an Sias Fuß auftrug, berichtet Mascar. „Später am Abend schaute ich mir meine Videos noch einmal an und sah, dass Suzee zuerst etwas auffing, das sie zwischen ihre Lippen nahm und dann direkt auf die offene Wunde an Sias Fuß legte. Bei der Besprechung dieser Beobachtung mit den Teammitgliedern wurde klar, dass ein solches Verhalten bisher unbekannt war.“

Weitere Sichtungen waren somit gefragt – und die folgten auch: Schon eine Woche später sah Co-Autorin Lara Southern von der Universität Osnabrück das Verhalten bei einem erwachsenen Männchen. Im Laufe des folgenden Jahres filmten die Forscher dann systematisch Tiere mit Verletzungen und werteten die Aufnahme aus. So konnten sie schließlich zahlreiche Fälle der Behandlung dokumentieren und das Vorgehen beschreiben. Zunächst fangen die Schimpansen demnach das Insekt mit der Hand und immobilisieren es dann durch Zerquetschen zwischen den Lippen. Anschließend wird es auf die Wunde gelegt und mit den Lippen oder Fingerspitzen wie zum Einreiben bewegt. Diese Prozedur wiederholen die Tiere dabei auch mehrmals. Die verwendete Insektenart konnte bisher nicht identifiziert werden. Nur grundlegende Merkmale sind bekannt: Aus den schnellen Fangbewegungen der Affen und den Aufnahmen geht hervor, dass es sich um ein etwa fünf Millimeter großes Fluginsekt handelt.

Die Autoren vermuten, dass die aufgetragenen Insekten entzündungshemmende, antiseptische oder schmerzstillende Eigenschaften haben könnten. Es liegt somit nahe, dass es sich um einen gezielt therapeutischen Einsatz auf den Wunden handelt. Möglicherweise ist dies ein Element der lokalen Kultur der Schimpansen. Beim Menschen hat der medizinische Gebrauch von Insekten eine lange Tradition. Dabei kommen viele unterschiedliche Insektenarten zum Einsatz. Bei einigen wurde eine antibiotische oder antivirale Wirkung auch wissenschaftlich nachgewiesen. Im nächsten Schritt wollen die Forscher deshalb nun auch das geheimnisvolle Schimpansen-Salben-Insekt identifizieren. Anschließend sollen dann Analysen zeigen, inwieweit es pharmazeutische Eigenschaften besitzt.

Interessantes Sozialverhalten

Neben diesem Aspekt sehen die Wissenschaftler aber auch in dem sozialen Verhalten der Tiere im Zusammenhang mit der Behandlung eine wichtige Bedeutung: Nachdem Mascaros erstmals beobachtet hat, wie sich das Schimpansenweibchen Suzee als „Heilerin“ betätigt hat, dokumentierte auch ihre Kollegin Southern ein weiteres Beispiel dieser Art: „Ein erwachsenes Männchen, Littlegrey, hatte eine tiefe offene Wunde an seinem Schienbein, und Carol, ein erwachsenes Weibchen, das ihn pflegte, streckte plötzlich die Hand aus, um ein Insekt zu fangen“, berichtet Southern. „Was mich am meisten beeindruckte, war, dass sie es Littlegrey reichte, er es auf seine Wunde legte und anschließend Carol und zwei andere erwachsene Schimpansen ebenfalls die Wunde berührten und das Insekt darauf bewegten. Die drei nicht miteinander verwandten Schimpansen schienen diese Verhaltensweisen somit nur zum Nutzen ihres Gruppenmitglieds auszuführen“, sagt Southern.

Dazu sagt die Kognitionsforscherin Pika: „Solche Beispiele für eindeutig prosoziale Verhaltensweisen werden bei nicht-menschlichen Arten selten dokumentiert, aber diese Beobachtungen könnten nun auch die Skeptiker überzeugen“. Neben der Untersuchung des verwendeten Insekts wollen sich die Forscher deshalb nun auch die soziale Dimension des Verhaltens untersuchen – etwa die Hauptakteure und Empfänger der Behandlungen, sowie die sozialen Lernprozesse, die mit der möglicherweise kulturellen Übertragung verbunden sind. „Es ist einfach faszinierend zu sehen, dass wilde Schimpansen nach jahrzehntelanger Forschung immer noch mit unerwarteten neuen Verhaltensweisen überraschen“, sagt Co-Autor Tobias Deschner von der Universität Osnabrück abschließend.

Quelle: Universität Osnabrück, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.12.045

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