Das Y-Chromosom ist beim Menschen eindeutig wichtig, denn es entscheidet zwischen der Entwicklung zu einem weiblichen oder männlichen Wesen: Frauen haben zwei X-Chromosomen, während Männer ein X- und ein Y-Chromosom besitzen – auch bei Mäusen ist das der Fall. Allerdings ist das Y-Chromosom im Vergleich zu seinem weiblichen Gegenpart ziemlich kümmerlich: Es umfasst nur etwa ein Fünftel so viele Gene. Unter ihnen jedoch diejenigen, die für die Entwicklung der männlichen Fortpflanzungsfähigkeit wichtig sind.
Doch offenbar sind dies nur wenige: Die aktuelle Studie der Forscher um Monika Ward von der University of Hawaii baut auf früheren Ergebnissen auf, die nahelegten, dass nur zwei Gene auf dem Y-Chromosom – Sry und Eif2s3y – für die grundsätzliche Reproduktionsfähigkeit eines männlichen Individuums nötig sind. Dieser Spur sind Ward und ihre Kollegen nun durch Experimente mit Mäusen genauer nachgegangen.
Den Forschern zufolge gibt es auf dem X-Chromosom beziehungsweise auf dem Chromosm 11 Erbanlagen, die Sry und Eif2s3y sehr ähneln, was die Frage aufwarf, ob sie die Funktion dieser beiden Gene ersetzen könnten, wenn das Y-Chromosom fehlt. Um dies zu überprüfen, erzeugten sie gentechnisch veränderte Mäuse, denen die Y-Chromosom-DNA komplett fehlt. Dafür verstärkten sie bei diesen „No Y-Individuen“ die Genaktivität der Erbanlagen auf dem X-Chromosom und dem Chromosom 11, die den Funktionen der Y-Chromosom-Genen Sry und Eif2s3y ähneln.
Mäuse-Väter der besonderen Art
Resultat: Die Tiere ohne Y-Chromosom, aber mit Substitution entwickelten sich zu Männchen. Allerdings besaßen sie abnormale Hoden, die nur Spermien ohne Geißeln ausbilden konnten. Dennoch waren diese Spermien in einigen Fällen prinzipiell befruchtungsfähig, wie Versuche zeigten: Wenn die Forscher sie in Eizellen injizierten, entwickelten sich daraus Embryonen und schließlich Mäuse. Die Nachkommen der No Y-Männchen waren gesund und erreichten eine normale Lebenserwartung, berichten die Forscher. „Die Y-Chromosom Gene sind zwar für die Entwicklung von reifen Samenzellen und einer normalen Befruchtung notwendig – sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen“, sagt Ward. „Wenn man allerdings durch künstliche Befruchtung nachhilft, ist das Y-Chromosom nicht unbedingt erforderlich“, resümiert die Forscherin.
Die Studie liefert damit neue Hinweise zur Funktion und Entwicklungsgeschichte des Y-Chromosoms: Die Ergebnisse untermauern die bisherige Vermutung, dass die Y-Chromosom-Gene homologe Erbanlagen auf anderen Chromosomen besitzen, die deren Funktion sogar übernehmen könnten. „Das sind gute Nachrichten“, sagte Ward, „dies suggeriert, dass es Backup-Strategien im Genom gibt, die unter bestimmten Umständen einspringen könnten“. Genau das scheint bei manchen Arten auch tatsächlich passiert zu sein: Es gibt zwei Nagetierarten, die ihre Y-Chromosomen verloren haben. Es geht also prinzipiell auch ohne.