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„Recht haben, kämpfen und dennoch verlieren“

Faszinierende Figuren: Terézia Mora über Ignaz Semmelweis

„Recht haben, kämpfen und dennoch verlieren“
Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft sprechen über historische Gestalten, die sie beeindruckt haben. In dieser Ausgabe: die Schriftstellerin Terézia Mora über den ungarischen Arzt und Geburtshelfer Ignaz Semmelweis.

Wie sind Sie auf Ignaz Semmelweis gestoßen?

Terézia Mora: Als Kind in meiner ungarischen Grundschule. Nicht so sehr, weil dort der Schutz von Müttern großgeschrieben worden wäre, sondern weil wir natürlich als kleines Land darauf achten, den Kindern frühzeitig einzutrichtern, wer unsere Großen waren. Unter ihnen nimmt Semmelweis als „Retter der Mütter“ einen festen Platz ein. Heute trägt die Budapester Medizinuniversität seinen Namen.

Was lässt ihn in Ihren Augen besonders erscheinen?

Dass ein Mann in einer frauenfeindlichen Zeit sagt: Es nicht egal, was mit den Müttern passiert. Hebammen sind nicht dumm. Es ist eine gute Idee, die Hände zu desinfizieren, wenn man aus der Leichenhalle zu Gebärenden kommt. Seine Beobachtung war ja: Wenn die Frauen zu Hause gebären, sterben nicht so viele. Wenn sie in Abteilungen gebären, die von Hebammen geleitet werden, ist die Sterblichkeit ebenfalls geringer. Am höchsten war sie ausgerechnet dort, wo die Spezialisten, die Herren Doktoren, die bestausgebildeten Ärzte das Sagen hatten. Semmelweis fragte: Warum ist das so?

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Deswegen wurde er angefeindet?

Ja. Bis heute ist es im Wissenschaftsbetrieb so, dass es Schulmeinungen gibt, die von Leuten in den entscheidenden Positionen vertreten werden: Hände waschen im chirurgischen Bereich? Ja, warum denn? Das haben wir doch noch nie gemacht. Dagegen kam Semmelweis mit seiner Erkenntnis, dass Ärzte, die direkt vom Seziertisch in den Kreißsaal kommen, Keime übertragen, nicht an. Die Situation eskalierte, als er anfing, offene Briefe zu schreiben, immer sonderlicher wurde, sich in ein Beleidigtsein hineinsteigerte und schließlich in der Irrenanstalt landete. Dort starb er an Misshandlungen durch die Pfleger. Das wurde aber erst ein Jahrhundert später bei der Exhumierung festgestellt.

Warum nicht schon nach seinem Tod bei der Obduktion?

Weil man gelogen hat – aus offensichtlichen Gründen. Niemand stellt sich doch hin und sagt: Bei uns ist jemand erschlagen worden.

Hat er etwas Vorbildliches?

Semmelweis ist jedenfalls ein Beispiel dafür, dass ein Mensch recht haben und kämpfen kann – und dennoch verliert. Aber am Ende war sein Kampf ja doch nicht vergebens. Die Frage ist, ob er klüger hätte kämpfen können. Möglicherweise war er vor allem Opfer seiner Zeit. Wenn sich heute eine ungarische Wissenschaftlerin wie Katalin Karikó der RNA-Forschung widmet, die eine wichtige Rolle bei Impfungen wie auch für die Behandlung von Krebs und Schlaganfällen spielt, dann findet sie schon eher Gehör. Natürlich muss sie dafür auf Englisch publizieren.

Interview: Dr. Winfried Dolderer

Terézia Mora geb. 1971, deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin ungarischer Herkunft. Inhaberin der „Brüder-Grimm-Poetikprofessur“ (Kassel) 2021. Werke unter anderen „Auf dem Seil“ (2019), „Die Liebe unter Aliens“ (2016).

Ignaz Semmelweis (1818– 1865), ungarischer Chirurg und Geburtshelfer, Entdecker der Ursache des Kindbettfiebers. Fand mit seinen Erkenntnissen über den Zusammenhang von Hygiene und Infektionsschutz zu Lebzeiten kein Gehör.

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