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Als ein Physiker das H-Bomben-Rezept im Zug verlor

Kalter Krieg

Als ein Physiker das H-Bomben-Rezept im Zug verlor
H-Bombentest
Test der ersten US-Wasserstoffbombe "Ivy Mike" im Jahr 1952. (Bild: US Atomic Energy Commission)

Das US-Atomwaffenprojekt und die Entwicklung einer Wasserstoffbombe war in den 1950er Jahren eines der am strengsten gehüteten Geheimnisse der USA. Doch 1953 geschah das Undenkbare: Ein US-Physiker ließ ein streng geheimes Dokument mit Details zur Konstruktion der H-Bombe in einem Nachtzug von Princeton nach Washington DC liegen. Als er dies bemerkte, war der Umschlag mit den Dokumenten weg. Wie es dazu kam und welche Anstrengungen unternommen wurden, um die verlorenen Unterlagen wiederzufinden, hat nun ein Historiker auf Basis kürzlich freigegebener FBI-Akten untersucht.

Im Jahr 1953 waren die USA die einzige Nation der Welt, die herausgefunden hatten, wie man eine thermonukleare Waffe konstruieren kann – eine Bombe, deren explosive Energie nicht aus der Kernspaltung, sondern aus der Kernfusion stammte. „Der Schlüssel des sogenannten Teller-Ulam-Design bestand darin, dass man die Röntgenstrahlung einer explodierenden Atombombe benötigte, um das Material der Bombe zu extremer Dichte zu komprimieren“, berichtet der Wissenschaftshistoriker Alex Wellerstein vom Stevens Institute of Technology in New Jersey. Erst dann würde ein Erhitzen dazu führen, dass die Kernfusion in Gang kommt. Im November 1952 demonstrierte ein erster Test die Machbarkeit dieser tödlichen Technologie. Doch parallel dazu entbrannte ein immer heftigerer Streit innerhalb der Physikergemeinschaft, ob der Bau und Besitz von Wasserstoffbomben ethisch überhaupt vertretbar seien. Auch der „Vater“ der Atombombe, der Physiker J. Robert Oppenheimer gehörte damals zu den prominenten Gegnern der thermonuklearen Aufrüstung.

Vorfall im Nachtzug

In diese Gemengelage fällt der historische Vorfall, dessen Details Wellerstein nun näher beleuchtet hat. Demnach ging ausgerechnet inmitten dieses Streits und der politischen Versuche, die Proteste der Physiker kleinzuhalten, ein geheimes Schlüsseldokument zur H-Bombe verloren – eine sechsseitige Kurzzusammenfassung des von dem Physiker Edward Teller und dem Mathematiker Stanislaw Ulam kurz zuvor ausgeklügelten Zündmechanismus für die Wasserstoffbombe. Der Physiker Archibald Wheeler, einer der Mitarbeiter des Wasserstoffbombenprojekts, verlor dieses Dokument bei einer nächtlichen Zugfahrt von Princeton in die US-Hauptstadt Washington. „Ich mag die Absurdität in der Abfolge der Ereignisse“, sagt Wellerstein. „Aber darüber hinaus ist es auch eng mit vielen weiterreichenden Themen des Kalten Krieges verknüpft.“ Was bei dieser Zugfahrt tatsächlich passierte, hat der Historiker aus den zuvor geheimen Akten des FBI zu diesem Vorfall rekonstruiert.

Demnach hatte Wheeler den Plan, die geheimen Dokumente im Zug noch einmal durchzugehen, bevor er sie am nächsten Morgen in Washington einem Komitee vorstellen würde. Der Forscher nahm abends die geheimen Dokumente aus seinem Bürosafe und packte sie ein: „Er legte sie in einen weißen Umschlag, den er dann zusammen mit einem anderen Geheimpapier in einem Packpapierumschlag verwahrte. Diesen legte er in seinen Aktenkoffer“, berichtet Wellerstein. Später am Abend bestieg der Physiker den Schlafwagen, stellte seinen Aktenkoffer zwischen sich und die Abteilwand und schlief ein. Kurz vor der Ankunft in Washington, ging er dann mitsamt des Aktenkoffers in den Waschraum, um sich frisch zu machen. Weil noch zwei andere Männer dort waren, ergriff Wheeler eine Vorsichtsmaßnahme, als er auf die Toilette musste: „Wheeler nahm den Packpapierumschlag mit sich in die Klokabine“, berichtet Wellerstein. „Weil er nichts zum Ablegen fand, klemmte er ihn zwischen einige Rohre und die Wand.“

Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf: Als Wheeler fertig war, verließ er die Kabine, ohne an den Umschlag zu denken. Erst als schon ein weiterer Zugpassagier diese Toilettenkabine benutzte, fiel ihm ein, dass die Dokumente noch hinter dem Rohr klemmten. „Nach dem Motto ‚Sicherheit vor Etikette‘ kletterte Wheeler auf das Waschbecken und spähte über die Tür in die Kabine hinein“, so Wellerstein. Er konnte den Umschlag nicht sehen, aber sah, dass der Mann auf dem Klo zumindest nichts las.“ Tatsächlich war der Packpapierumschlag noch da, als Wheeler nach Freiwerden der Kabine hineinstürmte. Er kehrte zu seinem Platz im Abteil zurück. „Zweifellos mit einem Seufzer der Erleichterung“, so der Historiker. Doch Wheeler hatte sich zu früh gefreut: Als er eine halbe Stunde später die Dokumente noch einmal durchgeben wollte, fehlte der zuvor im äußeren Umschlag enthaltene weiße Umschlag mit dem H-Bomben-Rezept. Als eine nochmalige Durchsuchung des Aktenkoffers, der Waschräume und des gesamten Waggons ihn nicht zutage förderte, geriet der Physiker Panik. „Wheeler konnte den FBI-Aufzeichnungen zufolge nur noch unzusammenhängend stammeln“, berichtet Wellerstein.

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Verschwinden des Umschlags bis heute ungeklärt

Doch was war mit dem Umschlag geschehen? In den folgenden Stunden und Tagen ließ das FBI nichts unversucht, um die Dokumente wiederzufinden. FBI-Chef Edgar J Hoover persönlich hinterließ auf mehreren FBI-Akten entsprechende Notizen: „Geht allen Hinweisen nach. Lasst keinen Stein unumgedreht“, schrieb er beispielsweise. Doch trotz eingehender Verhöre Wheelers, des Schaffners und mehrerer Mitreisender blieb der genaue Hergang unklar: Hatte Wheeler den weißen Umschlag mit den Geheimdokumenten vielleicht selbst aus dem äußeren Umschlag herausgenommen, um sie vor dem zu Bett gehen noch einmal zu überfliegen? Aber wohin hatte er sie dann gelegt? Und warum blieben sie verschwunden? „In meinem bevorzugten Szenario hat der Nachtschaffner den Umschlag gefunden und ihn einfach weggeworfen“, sagt Wellerstein. „Denn er wusste, dass er sich nur in Schwierigkeiten bringen würde, wenn er ihn behielt oder zugab, ihn gesehen zu haben.“

Tatsächlich finden sich bis heute keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die Geheimdokumente gestohlen und beispielsweise von einem Spion an die Sowjetunion übermittelt worden sind. „Das wäre zwar weitaus aufregender, aber es gibt keinerlei Belege dafür“, sagt Wellerstein. „Zudem wäre es für einen Agenten merkwürdig, nur eines der beiden Geheimdokumente im Manilaumschlag mitzunehmen.“ Dennoch trug dieses Ereignis dazu bei, die Paranoia der US-Behörden zu dieser Zeit weiter zu schüren. Archibald Wheeler allerdings, der Unglücksrabe, der all dies in Gang gesetzt hatte, kam mit einer Verwarnung davon: „Er war als Wissenschaftler einfach zu wertvoll“, sagt Wellerstein. „Man konnte es sich nicht leisten ihn zu bestrafen, ohne dem US-Atomprogamm zu schaden.“

Quelle: Alex Wellerstein (Stevens Institute of Technology, Hoboken), Physics Today, doi: 10.1063/PT.3.4364

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