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Angst vor Anatolien

Geschichte|Archäologie

Angst vor Anatolien
Im Herzen der Türkei liegt das Silicon Valley der Bronzezeit. Zentralanatolien war der Schmelztiegel für alle technischen und geistigen Entwicklungen der Vorgeschichte. Von hier kam ein kräftiger Schub für die europäische Kultur.

Die Klassische Archäologie ist nicht daran interessiert, in Kleinasien Hochkultur zu finden, sagt Dr. Eberhard Zangger, Geoarchäologe und derzeitiger Unruhegeist der deutschen Altertumsforschung. Was ist gemeint? Der Geist fiel nicht vom Himmel – auch nicht in Griechenland, wie die Gralshüter von Hellas uns immer noch glauben machen wollen. Die bewunderungswürdigen Leistungen der griechischen Antike in Sachen Geist, Kultur und Politik haben Europa entscheidend geprägt, daran rüttelt heute kein Mensch – aber die Wurzeln reichen weiter zurück und liegen auch nicht in Griechenland.

Die Begeisterungsfähigkeit Klassischer Archäologen und Philhellenen geht meist nur soweit, wie Säulen aufrecht stehen. Kurz danach (zeitlich: davor) beginnt für sie die Vorzeit – schlicht die Barbarei. Doch die Arbeiten der vorgeschichtlich orientierten Archäologen machen immer deutlicher, daß die spannende Zeit der Zivilisation in der Bronzezeit und davor lag. Um mehr von den frühen Zeugnissen der Menschheit zu finden, müßte man allerdings “den ganzen klassischen Schrott beseitigen”, so Zangger, denn jede bedeutende antike Stätte in Kleinasien habe einen bronzezeitlichen Vorgänger gehabt. Deshalb seien die Brachialmethoden von Troja-Ausgräber Schliemann und Kreta-Erkunder Sir Arthur Evans für die Archäologie Glücksfälle gewesen – ohne ihre tiefen Schnitte würden wir die Bronzezeit nicht kennen.

Wenn man davon ausgeht, daß die ganz frühen Menschheitsentscheidungen – Seßhaftigkeit, Ackerbau, Viehzucht und erste Ansätze städtischen Lebens – im Vorderen Orient gefallen sind, kommt die menschliche Kulturentwicklung im 3. und 2. Jahrtausend vor unserer Zeit beschleunigt in Fahrt.

Wie es im 3. Jahrtausend hinter diesen kleinasiatischen Brückenköpfen landeinwärts aussah, ist noch weitgehend unbekannt. Es gab eine Vielzahl von regionalen Machtzentren, die wohl in wechselnden Koalitionen mit- und gegeneinander händelten und handelten. Nach der alle verbindenden Sprache, dem Luwisch, werden sie hilfsweise, da historisch kaum faßbar, als “die Luwier” zusammengefaßt. Spätestens um 2200 v. Chr. aber brach der Fortschritt ab – von Syrien über Anatolien und die Ägäis bis nach Griechenland. Die Gründe sind noch nicht restlos geklärt. Die alten Gesellschaftsstrukturen zerbröselten, Innovationen wurden vergessen, alles wurde ein bis zwei Nummern kleiner. In das politische Machtvakuum von Griechenland drängten Gruppen aus dem heutigen Kroatien. Die Entwicklung in Anatolien bleibt dunkel.

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Für Eberhard Zangger war schon immer klar: “Die Handelswege von Mesopotamien gingen bis Zentralanatolien und von dort an die Küste. Hier stießen die Routen aus Syrien und vom Schwarzen Meer dazu, in Troja dann auch noch die aus Europa. Deshalb hat sich Troja durchgesetzt.” Geopolitik auf Handelswegen.

Die Menschen vor der klassischen Antike, in der angeblich barbarischen Zeit, bildeten keineswegs kleine, selbstgenügsame, ortsfeste Häufchen, sondern waren global denkende und handelnde Großgruppen mit ausgeprägter sozialer Gliederung. Die Beschränkung wissenschaftlicher Neugier auf nur eine Region ist deshalb völlig unzureichend. Aberwitzig wird es gar, wenn ein Ort wie Troja zum “Schicksalsberg der Archäologie” hochgejubelt wird. Im besten Fall ist es der teutsche Schicksalsberg der deutschen Archäologie: Für einen Amerikaner hat Troja überhaupt keinen Stellenwert.

Michael Zick
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