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Beschädigter Glanz

Lübeck 1384

Beschädigter Glanz

Die Kürasse glänzt gülden, aber sie ist stark beschädigt. An der rechten Schulter ist der metallene Brustharnisch von einer Kanonenkugel durchschlagen. Kaum vorstellbar, dass der Soldat François Antoine Fauveau, der den Harnisch in der Schlacht von Waterloo 1815 trug, diese Verletzung überlebt haben könnte. Der Harnisch ist eines von etwa 380 Exponaten, die in der Ausstellung „Napoleon und Europa, Traum und Trauma“ gezeigt werden, und er soll in seinem Glanz und seiner Beschädigung Traum und Trauma der napoleonischen Zeit erfahrbar machen. Das jedenfalls ist die Intention von Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und Kuratorin der Ausstellung, die noch bis zum 25. April 2011 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen sein wird. Erstmals werden in einer Ausstellung die unterschiedlichen Auswirkungen der napoleonischen Machtpolitik und ihrer Rezeptionslinien in ganz Europa beleuchtet. Gegliedert in zwölf Sektionen, will die Ausstellung, abseits von Klischees, ein differenziertes Panorama der napoleonischen Ära zwischen Krieg, Politik, Verwaltung, Kunstraub und Kulturblüte darstellen. „Wir werden zeigen, wie Napoleon eine ganze Generation in Europa elektrisierte und ihr für das eigene Leben eine neue Perspektive und Dynamik gab. Da existieren wunderbare allegorische Darstellungen von Napoleon als Retter Europas. Das ist der Traum. Auf der anderen Seite gibt es diese zu schnelle und brutale Reorganisation des europäischen Raumes, die mit Kriegen einherging und tiefe Wunden hinterließ in den verschiedenen kollektiven Erinnerungen“, sagt Bénédicte Savoy. Napoleon habe den Vielvölkerstaat Europa verletzt mit schwerwiegenden Folgen, nämlich der Geburt des Nationalismus im 19. Jahrhundert, der Europa bis heute präge. Ziel war es, so die Kuratorin, Objekte zu zeigen und somit eine Ausstellung zu gestalten, die Traum und Trauma jener Zeit beleuchten und die genährt ist von den Forschungen zur Verflechtungs- und Erinnerungsgeschichte Europas. „Zu dieser europäischen Verflechtungs- und Erinnerungsgeschichte gehört, dass eine ganze Generation junger Männer europaweit die physische Erfahrung von Verletzung, Schmerz und Tod prägte, mit dem sich die Geschichtsschreibung aber bislang kaum beschäftigt hat“, sagt Savoy. In den Kriegen der Grande Armée und gegen sie starben etwa zwei, wahrscheinlich drei Millionen Europäer, Hundertausende wurden verletzt. Ein besonderer Schwerpunkt der Ausstellung – und bisher nicht gezeigt – ist daher der Themenbereich zur Verwundung der Soldaten, deren Kriegsversehrungen zu Neuerungen in der Medizin führten. In der Sektion „Traum vom Weltreich“ haben sich die Ausstellungsmacher dieses Themas angenommen. Gezeigt werden Fotos von einem Massengrab bei Vilnius aus dem Jahr 1812, das erst 2001 entdeckt worden war und in dem die Gebeine von 35000 Soldaten der Grande Armée liegen, Zahnvollprothesen, sogenannte Waterloo-Zähne, Amputationswerkzeuge und Darstellungen zur Anleitung von Beinamputationen. Ein in der Wissenschaft ebenfalls blinder Fleck ist der Archivraub unter Napoleon, der erstmals in einer Ausstellung thematisiert wird, und dessen Visualisierung dank der Forschungen von Dr. Yann Potin, Kurator im Nationalarchiv in Paris und Berater der Bonner Schau, möglich wurde. „Die Herausforderung einer historischen Ausstellung lag für mich darin“, sagt Bénédicte Savoy, „Graustufen der Geschichte sichtbar zu machen, etablierten Betrachtungsweisen neue Perspektiven entgegenzusetzen und darzustellen, was uns Bürger des 21. Jahrhunderts an dieser Geschichte noch berührt. Der Kunstraub zum Beispiel ist eine Frage, die uns heute im Zusammenhang mit Restitutionsfragen beschäftigt, und das ist auch unter Napoleon debattiert worden.“ Die Exposition steht unter der Schirmherrschaft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Sie wird im Jahr 2012 in Paris im Musée de l’Armée zu sehen sein. Das Museum ist einer der größten Leihgeber für die Bonner Ausstellung. „Darüber freue ich mich sehr“, sagt Savoy, „denn die letzte Napoleon-Ausstellung in Frankreich war 1969, also vor mehr als 40 Jahren, zu seinem 200. Geburtstag, und es war eine reine Huldigung. Dass unsere sehr andersartige Ausstellung nach Paris wandert, zeugt in vielerlei Hinsicht von einem Wandel. Man übernimmt eine in Deutschland konzipierte Ausstellung auch über die Schattenseite Napoleons und zeigt sie im Musée de l’Armée, das sich direkt neben Bonapartes Grab im Invalidendom befindet – das wäre noch vor einigen Jahren in Frankreich eine ‚exposition impossible‘ gewesen.“ Im Prestel Verlag erscheint zur Schau ein gleichnamiger Katalog, 384 Seiten mit 450 Abbildungen, 39,95 Euro.

Bénédicte Savoy studierte Germanistik an der École Normale Supérieure in Paris und promovierte im Jahr 2000 mit einer Dissertation zum napoleonischen Kunstraub. Seit 2003 lehrt sie Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin, zuerst als Juniorprofessorin und seit 2009 als Professorin. Sie ist Mitglied der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Wissenschaften und Mitglied des Exzellenzclusters TOPOI – Formation und Transformation von Raum und Wissen in den antiken Kulturen der FU Berlin. Sie hat vielbeachtete Publikationen veröffentlicht zum napoleonischen Kunstraub, zur europäischen Museums- und Sammlungsgeschichte und zum deutsch-französischen Kulturtransfer. Ihr jüngstes Forschungsprojekt, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem französischen Pendant, der Agence Nationale de la Recherche (ANR), untersucht die deutsch-französischen Kunstbeziehungen anhand deutscher Künstler und ihrer Pariser Zeit im 19. Jahrhundert.

Quelle: TU Berlin
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