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DER GIGANT AUF DEM GÖBEKLI

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

DER GIGANT AUF DEM GÖBEKLI
Neue Funde im ältesten Tempel der Welt verändern unser Bild von den Menschen der Steinzeit. Steht hier die erste Götterstatue?

„Ich muss keinen Deut zurückrudern. Alles, was ich bisher über den Göbekli Tepe gesagt habe, hat weiterhin Bestand – es wird nur noch rätselhafter und verrückter.“ Klaus Schmidt, Prähistoriker des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin, zieht als Beleg den riesigen Pfeiler 18 heran, den er jetzt bis auf den gewachsenen Fels ausgegraben hat. Der T-förmige Steinblock im ältesten Tempel der Welt präsentierte sich bislang als monolithischer Pfosten mit einem stilisierten Kopf, reliefierten angewinkelten Armen auf den Seitenflächen und einem Fuchsrelief. Der Rest steckte im Erdboden.

Nun entpuppt sich Pfeiler 18 als menschliche Statue mit Stola, Gürtel, Lendenschurz und an der Schmalseite zusammentreffenden Armen. Der Fünfeinhalb-Meter-Koloss steckt in einer in den Felsboden gemeißelten Steinpfanne, deren Rand mit einer kleinen Entenparade geschmückt ist. Der Ausgräber nennt die zeitliche Dimension: „So wie der Pfeiler jetzt hier steht, wurde er vor 12 000 Jahren aufgestellt.“

Unvergleichbar und Rätselhaft

Dass dieses religiös aufgeladene Kunst-werk die Jahrtausende bis heute überdauert hat, ist den steinzeitlichen Anatoliern zu verdanken: Die hatten das Heiligtum in der Hügelwelt der heutigen Südosttürkei nahe der pulsierenden Provinzstadt Sanliurfa nach einer unbekannt langen Zeit der Nutzung sorgsam zugeschüttet. Warum sie es beerdigten, weiß niemand. Das ist nur eines der vielen Rätsel, die die Kultanlage aufgibt, und mit jeder Grabungskampagne kommen neue Informationsfetzen dazu. Wie diese Nachrichten sich zu Einsichten in die damalige Welt verdichten lassen, bleibt die Crux des Archäologen – denn es gibt trotz intensiver Suche bislang nirgends einen vergleichbaren archäologischen Fundplatz.

Klaus Schmidt deutet die Stätte auf dem „Göbekli“ als zentrales Bergheiligtum für die Jäger und Sammler einer größeren Region im nördlichen Mesopotamien am Übergang von der Alt- zur Jungsteinzeit. Sie konnten Ton noch nicht zu Keramik brennen, experimentierten aber wohl schon mit Anbau und Ernte von Wildgräsern und Getreide. Da Schmidt keinerlei Spuren von Wohnbauten oder Feuerstellen auf der Kuppe gefunden hat, geht er davon aus, dass die Menschen nicht auf dem Hügel gelebt haben, sondern hier für Riten oder Begräbnisse zusammenkamen. Häuserreste am Fuß des Hügels könnten von einem Lager und einer Verköstigungsstation der Pilger zeugen. „Mit dem alltäglichen Leben hat das hier nichts zu tun. Das ist Religion in kanonisierter Form.“ Die Riten waren demnach schon in Regeln gegossen – was einen fortgeschrittenen Denkprozess voraussetzt.

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Bislang hat der deutsche Archäologe mit seinen türkischen Partnern und kurdischen Arbeitern vier große runde Steinbauten mit einem Durchmesser von jeweils bis zu 20 Metern ausgegraben. Dabei kamen über 40 Pfeiler ans Licht der Neuzeit: Sie ragen zwischen 2,50 und 5,50 Meter in die böige Luft der ostanatolischen Hügellandschaft. Viele von ihnen sind mit den Reliefs eines ganzen Zoos geschmückt: Fuchs, Stier, Löwe, Schlange, Ente, Wildschwein, Geier. Wildschweine und ein nicht konkret zu benennendes Reptil tauchen zudem mehrfach als vollplastische Steinfiguren auf. Auf den Pfeilern finden sich außerdem wiederkehrende Symbole wie stehende oder liegende Sicheln, Kreise, Punkte und senkrechte oder waagerechte H-Zeichen. Schmidt sieht darin ein neolithisches Notationssystem, mit dem Nachrichten fixiert und weitergegeben wurden. „Das ist noch nicht Schrift“, wiegelt der Archäologe ab. Aber als „ neolithische Hieroglyphen“ bezeichnet er die in variablen Zusammensetzungen wiederkehrenden Symbole schon (bdw 4/2005, „Die ersten Hieroglyphen“).

AUSGRABEN MIT WAGENHEBER

In der Mitte jeder Kreisanlage stand ein extra großes Pfeilerpaar, vier davon sind nun bis auf den Untergrund ausgegraben. Die Pfeiler 18 und 31 in der „Anlage D“ sind mit jeweils über zehn Tonnen und fast sechs Metern die größten. Der Hangdruck der Jahrtausende hatte sie selbst in der kompakten Verfüllung in Schieflage geraten lassen. Deshalb mussten sie mit Ingenieur-Know-how, massiver Holzverschalung und Wagenhebern aufgerichtet und stabilisiert werden, bevor die Archäologen im letzten Jahr daran gehen konnten, sie bis auf den Grund freizulegen.

Pfeiler 18 brachte die reichsten Details: Der – auf dem Göbekli erstmals auftauchende – Schurz imitiert ein Fuchsfell, der Gürtel ist mit neolithischen Hieroglyphen geschmückt, die Hände haben ausgearbeitete Finger, wobei die Daumen – anatomisch korrekt – kürzer sind. Nur das Geschlecht der Figur lässt sich nicht dingfest machen. Die anderen drei komplett freigelegten Pfeiler sind nicht ganz so detailliert ausgeschmückt, aber alle sind so gestaltet, dass an einer Darstellung menschlicher Wesen nicht mehr zu zweifeln ist.

Klaus Schmidt geht inzwischen – vorsichtig – noch einen großen Schritt weiter: „Möglicherweise treten wir hier den in der Menschheitsgeschichte frühesten Götterbildern entgegen.“ Damit stößt er in die aktuelle Debatte über die Mechanismen zivilisatorischer Entwicklung. Derzeit glauben die meisten Wissenschaftler, dass religiöses Empfinden die erste Triebkraft für die kognitive und kulturelle Evolution des Menschen war – und nicht der Kampf gegen die Natur ums nackte Überleben. Schmidt stellt die altsteinzeitlichen Gesellschaften, die sich allmählich ab dem 12. Jahrtausend v.Chr. im Vorderen Orient zu formieren beginnen und sich auf dem Göbekli Tepe so monumental in Szene setzten, in einen geographisch weiten Rahmen: „Es waren jägerische Gruppen, die bruchlos das Erbe der Eiszeitjäger Eurasiens fortführten.“

Es ging ihnen offenbar gut, sie mussten nicht darben oder den Tieren lange hinterher hetzen. Das günstige Klima des frühen Holozäns deckte ihnen den Tisch. Sie konnten Spezialisten für den Bau der ersten Monumentalbauten der Welt freistellen. Und sie hatten Muße, ihren Gestaltungswillen künstlerisch umzusetzen. Die gewaltigen Anlagen, die Pfeiler, Reliefs und Plastiken im Bergheiligtum Göbekli Tepe wurden nicht von Anfängern geschaffen. Auch andernorts finden die Archäologen inzwischen immer wieder Belege für Gruppen, die mehr waren als jagende und sammelnde Familienverbände. Hinweise auf zumindest temporäre Sesshaftigkeit in festen Siedlungen gibt es schon im 12. Jahrtausend v. Chr. Im 10. Jahrtausend v.Chr. erbauten die Einwohner von Tell Qaramel nördlich vom syrischen Aleppo monumentale Rundtürme, die denen in Jericho in nichts nachstehen, aber mehrere Tausend Jahre älter sind. Der Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise dauerte lang, die Jäger und Sammler ließen sich Zeit, bis sie Bauern wurden.

EIN KEILER ALS TODEsSYMBOL?

Zeitlich und örtlich mittendrin präsentiert sich nun die einzigartige Kultanlage vom Göbekli Tepe mit immer neuen Befunden in den bekannten Kreisanlagen und weiteren Funden in der näheren Umgebung: Es tauchen zentnerschwere Felsplatten mit fensterähnlichen, sauber ausgestemmten Öffnungen auf, sogenannte Türloch- oder Fenstersteine, die Reste eines „Felsentempel E“ mitten im Geröll des Hügels werden freigelegt, und an verschiedenen Plätzen auf der Bergkuppe graben die Archäologen weitere dreidimensionale Tierskulpturen aus. Wobei ein Keiler mit deutlich hervortretenden Rippen neue Rätsel aufgibt – ein Todessymbol wie der Knochenmensch?

Das größte Geheimnis aber bergen die Schichten im Berg, die noch gar nicht von einem Spaten berührt wurden. Nachdem die Archäologen sich in der letzten Kampagne an zwei Stellen bis auf den gewachsenen Felsuntergrund gegraben hatten, wurde deutlich, dass der Kern des Hügels 15 Meter dick ist. „Was da drin ist, wissen wir nicht“, sagt Klaus Schmidt. „Wir kennen nur die Bergflanken bis auf den Grund.“ Allzu gern hätte er deshalb einen Riesenschnitt vom Felsen bis in die – aufgeschüttete – Bergkuppe hinauf. Das würde mit ziemlicher Sicherheit spektakulär werden, denn diese im Kern liegenden Bauten sind älter als die bisher ausgegrabenen Teile. Das weiß der Ausgräber, weil die große Anlage D mit den Monumentalpfeilern seitlich in die bestehende Architektur hineingebaut wurde – und die entstand zweifelsfrei früher. „Da kommen wir mit Sicherheit bis in die Altsteinzeit“, meint der Berliner Archäologe mit Zweitwohnsitz in Sanliurfa.

Was bedeutet die Schlange?

Etwas näher ist Schmidt inzwischen einem anderen Merkmal des „ Göbekli“ gekommen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Bonner Ägyptologen Ludwig D. Morenz kann er seine neolithischen Hieroglyphen besser einordnen und gegen die Kollegenkritik absichern: Auch die Schrift im Niltal begann mit einem abstrakt anmutenden Notationssystem wie die Sicheln, Kreise und „H“ -Zeichen in den anatolischen Bergen. Vor allem die Mini-Tierdarstellungen waren, so Schmidt und Morenz, nicht bloße Ornamentik und auch nicht Abbild des Gezeigten, sondern Symbol für etwas anderes, etwas nicht direkt oder konkret Darstellbares. Die in den Göbekli-Reliefs häufig zu sehende Schlange könnte zum Beispiel Schnelligkeit, Gefahr oder Überraschung, Tod oder Tödlichkeit, Boden oder die irdische Welt meinen. Wir kennen heute den Code nicht und werden ihn auch nicht knacken. Aber die Menschen der Göbekli-Welt konnten ihn „lesen“. Das wären erste Metaphern, die einen neuen Sprung im menschlichen Denken darstellen. Der wird inzwischen als die „symbolische Revolution des Neolithikums“ bezeichnet analog zur „neolithischen Revolution“ , der Sesshaftwerdung.

Die großen Kreisanlagen, die monumentalen Skulpturen und die vielgestaltigen Reliefs auf dem Göbekli Tepe finden nach der Beerdigung der Kultanlage keine Weiterverbreitung, das grandiose Erbe der steinzeitlichen Jäger und Sammler begründet keine Tradition. Aber die kleinen „mobilen“ Bildzeichen – Schlange, Vielfüßler, Skorpion, Vogel – lassen sich durch die folgenden Jahrtausende im ganzen Vorderen Orient verfolgen. In Ägypten wurden aus einem solchen symbolischen Notationssystem die Hieroglyphen und später die sprachgestützte Schrift – in Ostanatolien blieb die Entwicklung stecken. Warum? Das bleibt ein Mysterium.

Eine handfeste Frage zeichnet sich auf dem Göbekli Tepe im Georadar ab: Völlig überraschend tauchten bei den Bodenerkundungen die Untergrundstrukturen von kleeblattförmigen Kreisanlagen auf – drei Stück, dicht nebeneinander, jede einzelne größer als alles, was bisher ausgegraben wurde. Und das nur auf der ersten bislang bearbeiteten Kuppe des Berges. Insgesamt hat der Göbekli vier solche geheimnisvollen Höcker… ■

MICHAEL ZICK, ehemaliger bdw-Redakteur, begleitet die Ausgrabungen am Göbekli Tepe seit ihrem Beginn vor 15 Jahren.

von Michael Zick

Der Nabel der Welt

Göbekli Tepe, der „Nabel-Berg“, mit dem ältesten Tempel der Welt, liegt fernab der türkischen Touristenzentren.

VERHEISSUNGSVOLLE HÜGELLANDSCHAFT

Obwohl am Göbekli Tepe schon vier große runde Steinbauten ausgegraben sind (grün markiert), ist das nur ein Bruchteil dessen, was an steinzeitlichen Schätzen dort noch in der Erde schlummert. Die schwarz-weißen Strukturbilder sind das Resultat geophysikalischer Messungen, die zeigen, dass es weitere kleeblattförmige Kreisanlagen gibt, von denen jede einzele größer ist als das gesamte bisher freigelegte Areal. All das auszugraben, wird etliche Jahre dauern.

KOMPAKT

· Auf dem Göbekli Tepe wurde der größte Steinpfeiler komplett ausgegraben – und entpuppte sich als Statue.

· Die Symbole darauf erinnern stark an ägyptische Hieroglyphen.

· Geomagnetische Messungen haben gezeigt, dass beim Ausgrabungsgebiet noch weit größere Kreisanlagen liegen.

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Klaus Schmidt SIE BAUTEN DIE ERSTEN TEMPEL Das rätselhafte Heiligtum der Steinzeitjäger C.H. Beck, München 2007, € 24,90

Clemens Lichter (Hrsg.) VOR 12 000 JAHREN IN ANATOLIEN Die ältesten Monumente der Menschheit Theiss, Stuttgart 2007, € 39,90

Michael Zick TÜRKEI – WIEGE DER ZIVILISATION Theiss, Stuttgart 2008, € 36,–

Hansjürgen Müller-Beck DIE STEINZEIT – DER WEG DES MENSCHEN IN DIE GESCHICHTE C.H. Beck, München 2009, € 8,95

INTERNET

Aktuelle Nachrichten über die Arbeiten am Göbekli Tepe: www.dainst.org – Abteilung Instanbul – Aktuelle Projekte des Standorts – Göbekli Tepe

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